Borussia Mönchengladbach Der schwere Abschied vom langen Leiden

Mönchengladbach · Borussias Fans und ebenso die des 1. FC Köln haben viel ertragen müssen. Jetzt kommt der Erfolg, doch die Umstellung ist nicht leicht.

Gladbach - Köln: So feiert die Borussia
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Wenn zwei Fangruppen in derart gelebter Abneigung verbunden sind wie die Anhänger von Borussia und die des 1. FC Köln, dann will man dort nichts hören von Gemeinsamkeiten. Wer sich abheben will, kann das Verbindende nicht gebrauchen. Und doch gibt es eine Entwicklung im Fan-Dasein in beiden Lagern, die eine Schnittmenge formt. Es ist die Beobachtung, dass sich Borussen wie Kölner über viele Jahre letztlich irgendwie auch sehr darin gefallen haben, mit ihrem Verein ach so verlässlich zu leiden und mit ihren Lieblingen immer wieder aufs Neue tragisch zu scheitern.

Es ist diese masochistische Ader, die sich in beiden Fanblöcken seit den 1990ern breit machte, ja breit machen musste, weil beide Vereine eben die Leidensfähigkeit der Anhänger immer wieder neuen Belastungsproben unterzogen. Leiden und Scheitern wurden bekannte Gefühlswelten, und irgendwann wurden diese Gefühlswelten zum Selbstzweck erhoben. Denn wer selbst in dunkelsten Tagen bei der Stange bleibt, wer aushält, wenn ganz Fußball-Deutschland über seinen Verein lacht, der nimmt für sich in Anspruch, wahrhaft treu zu sein. Nun, da Borussias Entwicklung seit ein paar Jahren positiv ist und auch der FC zuletzt von seinem Image als Chaos-Klub abrückte, müssen die Anhänger in beiden Lagern damit umgehen, Erfolg in ihr Fansein einzuordnen. Das ist nicht immer einfach, denn eines will kein Fan sein und auch neben sich nicht stehen sehen: den Erfolgsfan.

Irgendwie sind Borussia und der FC fast immer auf Augenhöhe durch ihre Derbys marschiert. In den 70ern als Top-Teams der Liga mit einer besseren Borussia, in den 80ern als Europacup-Kandidaten mit einem besseren FC, und ab den 90ern dann oft vereint in der Tristesse, vereint im Abstieg, vereint in der Frage, was aus diesen beiden Vereinen zur Hölle nur geworden ist. Hier die Borussia, die zweimal, schaurig schlecht, den Fahrstuhl in Liga zwei antreten musste. Die sich gleich dreimal in der Endphase des DFB-Pokals als Favorit von einem unterklassigen Gegner dü-pieren ließ: 1992 im Finale gegen Hannover, 2001 im Halbfinale bei Union Berlin, 2004 im Halbfinale bei Alemannia Aachen.

Die Borussia, die einst die Torfabrik war und dann mal 1998 in zwei Spielen hintereinander 2:8 gegen Leverkusen und 1:7 in Wolfsburg verlor. Die Borussia, die es schaffte, 1996/97 eine Hinrunde lang kein einziges Auswärtstor zu schießen, die "Auswärtsdeppen" also, in deren Fall man einem geflügelten Spruch zufolge den Opa fragen musste, wann der VfL denn zuletzt auswärts gewonnen hatte. Die Borussia, deren Fans in ihrem ersten Zweitliga-Spiel in Chemnitz das Banner mit der Aufschrift "Der Mythos gibt sich die Ehre" hissten und dann mitansehen mussten, wie ihr Mythos sangund klanglos 0:2 verlor.

Auf der anderen Seite der 1. FC Köln, der nach fünf Abstiegen das Image der Fahrstuhlmannschaft wieder los werden will. Auf dessen Jahreshauptversammlungen sich Journalisten schon wochenlang freuten, weil sie wussten, dass es launig, lustig und giftig werden würde, weil sich Fans, Verantwortliche und Ehemalige sicherlich wieder verbal angehen würden.

Borussia Mönchengladbach: Jecke Spiele an Karneval
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Jecke Borussen-Spiele an Karneval

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Der FC, der sich das rheinische DFB-Pokalfinale 1995 verbaute, weil er daheim gegen Zweitligist Wolfsburg verlor. Der FC, von dem Spötter lange sagten, das Beste an seinen Heimspielen sei die Musik vor dem Anpfiff. Der FC, der 2002 mal 1033 Minuten lang ohne eigenen Treffer blieb. Der FC, der mit seiner "elitären Arroganz" eine Fallhöhe produzierte, von der der Sturz immer sehr tief ausfiel. Der FC, bei dem niemand richtig wusste, wo 1990 eigentlich die Millionen-Ablöse für Thomas Häßler aus Turin hingeflossen war. Der FC, bei dem Spieler schon mal betrunken ein Auto ins Gleisbett lenkten oder alkoholisiert auf einer Polizeiwache landeten. Was konnte man als Fan über die Jahre verlässlich leiden mit diesen beiden Vereinen, weil sie eben verlässlich dafür sorgten, dass gelitten wurde.

Und nun das. Plötzlich sind fähige Männer am Ruder. Trainer mit einer klaren Linie. Vorstände mit realistischen Erwartungshaltungen. Mit Konzepten. Macher mit betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten. Plötzlich gibt es intern kaum noch Kapriolen und extern kaum noch Häme. Plötzlich stellen sich Kontinuität und Erfolg ein. Und genau das ist eine Herausforderung für die Anhänger auf beiden Seiten. Sie wollen natürlich den Erfolg, wollen Siege, wollen Europacup- Teilnahmen. Aber sie wollen eben auch nicht vergessen wissen, dass sie zum Weizen zählten, als sich in den schlechten Jahren die Spreu vom Weizen trennte, was die Fan- Treue anbelangte. Fans fällt es schwer, gute Zeiten zu genießen. Weil sie die schlechten noch in guter Erinnerung haben, und weil Leiden eben elementarer Bestandteil des Fanseins ist.

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Foto: dpa, rwe nic

Wer leidet, ist treu. Wer nicht treu ist, kann nicht leiden. Wenn ein Fan nichts zu mäkeln und zu kritisieren hat, wird es langweilig für ihn. Insofern müssen sie sich in beiden Lagern erst noch daran gewöhnen, dass man auch in erfolgreichen Zeiten guten Gewissens Anhänger sein darf. Und treu. Denn gute Zeiten hatten die Vereine ja vorher auch schon mal. Und wenn es zu erfolgreich wird, erzählt man sich halt immer wieder die Geschichte, als man sich in Chemnitz 1999 als Mythos die Ehre gegeben hatte. Und verlor.

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