Rechtsextremismus-Experte über Wehrhahn-Attentat "Ralf S. war in der Szene kein Unbekannter"

Düsseldorf · Am Tag nach der Festnahme des mutmaßlichen Wehrhahn-Attentäters beschäftigt viele nur eins: Hat Ralf S. allein gehandelt? Fragen an den Rechtsextremismus-Experten Alexander Häusler.

So präsentierte sich der Verdächtige Ralf S. auf Facebook.

So präsentierte sich der Verdächtige Ralf S. auf Facebook.

Foto: Screenshot Facebook

Häusler beobachtet die rechte Szene schon seit Jahren. Der Sozialwissenschaftler ist Mitarbeiter des Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus und Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf und unter anderem Mitherausgeber der Buchreihe "Edition Rechtsextremismus".

Herr Häusler, kannten Sie die rechte Szene schon im Jahr 2000?

Alexander Häusler Ja, auch damals habe ich schon auf die Szene geschaut. Seitdem die Taten des NSU bekannt sind, hat sich aber der Blick sowohl der Gesellschaft insgesamt als auch der Behörden deutlich geändert. Man hat damals die Gefahr rechtsextremer Gewalt und auch rechten Terrors deutlich - um nicht zu sagen: sträflich - unterschätzt.

Hat auch das Attentat am Wehrhahn den Blick verändert?

Häusler Der Anschlag und der spätere Brandanschlag auf die Synagoge waren Anlass für den sogenannten "Aufstand der Anständigen", der damals von Bundeskanzler Schröder ausgerufen wurde, nach dem Motto: Das kann nicht so weitergehen. Wir müssen ein deutliches Zeichen gegen Rechts setzen.

Wie haben Sie das damals erlebt? Haben Sie geglaubt, dass es sich um eine politisch motivierte Tat handelt?

Häusler Ja, weil schon zu dieser Zeit eine Neonazi-Szene in Düsseldorf sehr aktiv war, die sich deutlich antisemitisch geäußert hat. Die Szene existierte rund um die "Kameradschaft Düsseldorf", in deren Dunstkreis auch ein "Nationales Info-Telefon Rheinland" betrieben wurde. Das hatte den Anspruch, eine Informations- und Koordinationsstelle für die Szene zu sein. Da konnte man schon deutlich feststellen, dass von diesen Strömungen eine Gefahr ausgeht.

Viele haben das damals anders gesehen. Dass es kein Bekennerschreiben nach dem Wehrhahn-Anschlag gab, betrachteten Politik und Behörden als Hinweis, dass es sich nicht um eine politische Tat handeln kann. Warum, glauben Sie, haben die Behörden damals kein rechtes Gewaltpotential gesehen?

Häusler Das ist mir auch unverständlich. Natürlich weiß man im Nachhinein einiges besser. Und es ist erfreulich, dass es aufgrund akribischer Nachforschungen gelungen ist, jemanden festzunehmen. Aber man fragt sich natürlich: Warum ist das nicht direkt erfolgt? Der Militaria-Händler Ralf S. war ja kurz nach der Tat vernommen worden und kam dann auf freien Fuß.

War Ralf S. Ihnen schon vor dem Anschlag ein Begriff?

Häusler Es war zumindest bekannt in Düsseldorf, dass die Neonazi-Kameradschaft einen Treffpunkt in seinem Militaria-Laden hatte. Schon Monate vor dem Anschlag hieß es in einer alternativen Stadtzeitung, dass Neonazis sich dort bewaffnen können. Das war kein Geheimnis, um es ganz deutlich zu sagen. Insofern kann man nicht sagen, dass Ralf S. ein Unbekannter war.

Aber war er jemand, der auch als gefährlich betrachtet wurde? Oder eher als ein Helfer der Szene?

Häusler Wie gefährlich jemand ist, sieht man den Leuten ja nicht an der Nasenspitze an. Menschen, die Beate Zschäpe früher gesehen haben, sagen heute im NSU-Prozess: Das ist ein nettes Mädchen gewesen.

S-Bahnhof Wehrhahn in Düsseldorf: Bomben-Anschlag im Juli 2000
15 Bilder

2000: Bomben-Anschlag in Düsseldorf am S-Bahnhof Wehrhahn

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Foto: Werner Gabriel

Wie agierten Neonazis um die Jahrtausendwende herum?

Häusler Schon vor 2000 hatte es eine Umstrukturierung in der Szene gegeben. Kurz vorher war das erste Verbotsverfahren gegen die NPD in die Wege geleitet worden. Die Partei hielt sich daraufhin taktisch zurück. Immer mehr die Führung übernahmen die sogenannten "Freien Kameradschaften".

Wie gewaltbereit waren diese Kameradschaften?

Häusler Es kursierte das "Lone Wolf"-Konzept, das ich "Werwolf"-Konzept nenne: Anleitungen zu Mord- und Terrortaten, begangen von Leuten, die alleine losziehen, damit sie nicht die ganze Gruppe enttarnen, wenn sie geschnappt werden. Diese Konzepte kursierten auch in Nordrhein-Westfalen.

Kann man daraus Rückschlüsse ziehen auf die möglichen Motive beim Wehrhahn-Attentat?

Häusler Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag, Sven Wolf, hat Ralf S. als "der rechten Szene zuzurechnend" bezeichnet. Das wirft neue Fragen auf. Damals ist behauptet worden, es gebe keine rechte Szene, die gewaltorientiert ist. Hat Ralf S. also allein gehandelt oder gab es Mitwisser? Diese Frage steht absolut im Raum.

Was glauben Sie: Könnte Ralf S. möglicherweise als Einzeltäter gehandelt haben?

Häusler Das kann ich überhaupt nicht beurteilen. Das wäre Aufgabe eines Untersuchungsausschusses, diese Frage zu klären — erst recht, wenn man sagt, dass der Festgenommene Teil der rechten Szene ist. Fakt ist: Die Tat ist einzuordnen in eine stark vorangeschrittene Militarisierung der Szene, in der Gewaltkonzepte und Anleitungen zu Straf- und Mordtaten kursierten. Das ist wahrscheinlich auch in Düsseldorf der Fall gewesen. Da liegt noch viel im Dunkeln, das aufgeklärt werden muss.

Wenn Sie das Jahr 2017 mit dem Jahr 2000 vergleichen — sind wir in Düsseldorf dann weiter, was den Umgang mit Rechtsextremismus angeht?

Häusler Absolut. Im Land wie in Düsseldorf wird das Phänomen deutlicher wahrgenommen. Hinweise auf rechte Gewalt werden ernst genommen. Sie werden nicht mehr dargestellt als Behauptungen der Linken. Es gibt in Düsseldorf ein breites Engagement gegen Rechts, so dass diese Strömungen hier nicht so Fuß fassen konnten wie in anderen Regionen.

(hpaw)
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