Düsseldorf Fernweh in Schuhkartons

Düsseldorf · Mit einer Kunstaktion setzt sich eine Schulklasse, die nur aus Flüchtlingen und Migranten besteht, mit dem Thema Fremde auseinander. Dabei träumen sich manche in ihr Heimatland zurück, andere finden ihre Wunschorte anderswo.

"Dieses Körbchen ist mir wichtig", sagt der 17-jährige Mamadou Bah. In der Hand hält er ein winziges Abbild eines Henkelkörbchens aus Knete. "Man nimmt es mit, wenn man zum Markt geht, und trägt es dabei auf dem Kopf", sagt er und setzt es sich kurz auf. Für den Schüler ist es die verkörperte Erinnerung an seine Heimat Gambia, aus der er mit 15 Jahren vor Verfolgung floh. Mamadou besucht mit 28 weiteren Jugendlichen eine sogenannte Seiteneinsteiger-Klasse für Flüchtlinge und Migranten am Theodor-Fliedner-Gymnasium. Mit Hilfe der Künstlerin Anja Garg verarbeiteten sie ihre Herkunfts- und Fluchtgeschichte, aber auch ihre Lieblingsorte und Wunschziele zu kleinen Dioramen. Derzeit sind sie unter dem Titel "Kennst du das Land - Heimat und Fremde" im Goethe-Museum zwischen Texten und Bildern der Italienreisen des Dichters ausgestellt.

In Mamadous kleinem Pappkoffer finden sich neben dem Körbchen auch ein gekneteter Mörser mit Stößel, getrocknete Blumen und ein Regenschirm in den gambischen Nationalfarben. "In Gambia regnet es viel", sagt der 17-Jährige und ist ein bisschen verlegen, als er das kleine Knet-Smartphone erklären soll, dass ebenfalls in dem Karton liegt. Seine Familie sei arm, ein Handy habe niemand besessen. Seit zwei Jahren, als er mit einem Freund aus dem Land floh, habe er nichts mehr von seinen Verwandten gehört. Doch ein Leitspruch, den der Schüler wie ein kleines Gedicht auf den Kofferrand geschrieben hat, zeigt, dass Mamadou immer in die Zukunft schaut. Übersetzt lautet er ungefähr: Versuche, alles zu tun, was in deiner Macht steht, denn es kann dir immer besser gehen.

In Arthur Beckers Karton herrscht eisiger Winter: Eine weiße Landschaft mit Schneemännern, eine bunte Jurte aus Filz und Fotos aus Kasachstan zeigen die Heimat des 17-Jährigen. "Ich vermisse den Winter", sagt Arthur. "In Deutschland ist es nie so richtig kalt. Dafür mag ich den Sommer hier." Sein Herkunftsland, das er wegen geringer Bildungs- und Berufschancen verlassen habe, sei karg, es gebe wenig Schönes zu sehen. Umso mehr liebe er den Touristenort Burabai, auf Kasachisch Borovoe, dreimal war er schon an den von Bergen und Wäldern umsäumten Seen. Ein winziges Bildchen in Arthurs Koffer erinnert an den Ort. Am meisten vermisst Arthur jedoch seine Freunde, die er nur noch selten sieht. In den Ferien fliege er allerdings wieder nach Kasachstan, um sie und seine Verwandten zu besuchen.

"Die Schüler haben ihre Biografien gezeigt, ihre intimsten Gedanken für uns geöffnet", sagt Heike Spies, Leiterin des Goethe-Museums. Sowohl sie als auch die Projektleiterin Silke Hoffmann seien beeindruckt von den Ergebnissen der Arbeit, die jetzt den Besuchern einen Blick in die Heimat und die Träume der Jugendlichen ermöglicht. Die Seiteneinsteigerklasse umfasst Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren, die unter anderem aus Syrien, Afghanistan, Kroatien, Albanien, Südkorea, Kanada, Indien, Rumänien und China stammen. Fotos der Freiheitsstatue, Malerein, die das Weltall abbilden, Geldscheine ferner Länder, kleine Zeichnungen, Spielzeuge, Sprüche und Mitbringsel zeugen davon, wo die Schüler herkommen, wo Sie hinwollen und was die 15- bis 18-Jährigen gerade bewegt.

Die Koffer waren schon im Fliedner-Gymnasium ausgestellt, wo sie den Seiteneinsteigern halfen, in Kontakt zu ihren deutschen Mitschülern zu kommen. Das sei schwierig, sagt Mamadou, der zwar fließend Englisch, aber nach bisher fünf Monaten Unterricht noch nicht so gut Deutsch spricht. Der Inhalt der Kartons regt zum Gespräch an, bei dem die Mitschüler nicht nur etwas über die Herkunft Mamadous und seiner Klassenkameraden erfahren können, sondern auch über deren zum Teil ungewisse Zukunft. "Obwohl ich gute Noten bekomme, weiß ich noch nicht, ob ich eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen werde", sagt Mamadou.

(bur)
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