Mönchengladbach Herr von Unruh und die Kultur der zweiten Chance

Mönchengladbach · Der Gründer der "Anonymen Insolvenzler", Attila von Unruh, warb vor Mittelständlern für ein "System für den Neuanfang".

 Attila von Unruh, Hauptredner des Abends, ist Gründer der "Anonymen Insolvenzler".

Attila von Unruh, Hauptredner des Abends, ist Gründer der "Anonymen Insolvenzler".

Foto: BVMW

Es gehört einiges dazu, vor einem Publikum, das aus erfolgreichen Unternehmern besteht, über die eigene Insolvenz zu sprechen und eine Kultur der zweiten Chance einzufordern. Genau das tat Attila von Unruh beim Neujahrsempfang des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) im voll besetzten TiG. Obwohl Scheitern und Insolvenzen speziell hierzulande stigmatisiert sind, wie von Unruh aus eigener Erfahrung weiß.

 CDU-Landtagskandidat Frank Boss mit Zerrin Börcek, Businesscoach aus Düsseldorf

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Foto: Angela Rietdorf

Der Hauptredner des Abends ist Gründer der "Anonymen Insolvenzler". Nicht zufällig spielt der Name auf die älteste aller Selbsthilfegruppen, die Anonymen Alkoholiker, an, denn wie bei Abhängigen die Sucht ist bei Unternehmern das Thema Insolvenz schambesetzt. Man spricht nicht darüber, versucht, allein mit Problemen fertig zu werden. So war es auch bei von Unruh selbst. Lange Zeit Unternehmer und Gründer erfolgreicher Firmen, verkaufte er 2000 seine Eventagentur an einen Geschäftspartner, räumte ihm eine Darlehensbürgschaft ein und rutschte zwei Jahre später zusammen mit dem neuen Eigentümer in die Insolvenz. "Ich habe gekämpft und mit Banken verhandelt, aber keine Lösung gefunden. Das fühlte sich an wie ein Strick um den Hals." Schließlich ging er in die Privatinsolvenz: "Vorher hatte ich das immer als komplettes Versagen eingestuft." Nun jedoch suchte er andere Betroffene und stellte fest: Es sind viele und vor allem sehr fähige Unternehmer darunter. Aber Insolvenz bedeutet: Keine Kreditwürdigkeit mehr, kein Dispokredit, ein entsprechender Schufa-Eintrag macht selbst den Wechsel des Telefonanbieters unmöglich. Bei Kammerberufen wie Anwalt oder Architekt zieht die Insolvenz sogar dauerhaft den Verlust der Zulassung nach sich. Nach einer Insolvenz wieder auf die Beine zu kommen und einen Neuanfang zu schaffen, ist dementsprechend extrem schwierig. Und das, obwohl "Re-Starter" nachweislich erfolgreicher seien als Erstgründer: "Es ist ein Fehler im System. Es muss möglich sein, aus den eigenen Fehlern, aus dem Scheitern, zu lernen und das Gelernte umzusetzen." In den von ihm gegründeten Selbsthilfegruppen, in denen sich in ganz Deutschland rund 13.000 Betroffene organisieren, lernt er viele ideenreiche Menschen kennen, die nach einem gelungenen Neuanfang sehr erfolgreich sein können. "Es sind zum Beispiel Start-ups dabei, die schlicht und einfach mit ihrem Produkt zu früh auf den Markt kamen, als die Zeit noch nicht reif dafür war. Es fehlt in Deutschland ein System für den Neuanfang."

 OB Reiners (r.) ließ sich von Stefan Wagemanns nicht entlocken, ob er ein zweites Mal zur OB-Wahl antritt.

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Foto: Rietdorf Angela

Aus den Erfahrungen der Selbsthilfegruppen heraus hat er mit Mitstreitern ein Netzwerk aufgebaut, das Spezialisten aus allen Bereichen umfasst und bei Bedarf vermittelt. Er plädiert dafür, sich als in Schieflage geratener Unternehmer rechtzeitig Hilfe zu holen. Es gelte, das Gefühl des Versagens zu bekämpfen, wertzuschätzen, was man bis dahin geschaffen hat - und mit Fehlern offen umzugehen. "Nur wenn Fehler erlaubt sind, können aus verrückten Ideen erfolgreiche Innovationen entstehen." Auf die Frage von Stefan Wagemanns, Moderator und BVMW-Kreisverbandsleiter, was er heute bei einer Insolvenz anders machen würde, erklärte von Unruh: "Nicht mehr so lange warten, um mir Hilfe zu holen."

(RP)
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