Neuerung auf NRW-Straßen Der Reißverschluss soll schließen

Düsseldorf (RP). Auf allen Autobahnen der Republik spielt sich tagtäglich das gleiche ab. Vor Fahrbahn-Verengungen knubbelt es sich beim Einfädeln. Nordrhein-Westfalen will Autofahrern das Einfädeln erleichtern.

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Foto: ddp

Eine durchgezogene Linie vor Baustellen soll Autofahrern künftig das reibungslose Reißverschlussverfahren erleichtern. Damit will der Landesbetrieb Straßen NRW Konflikten und Staus vorbeugen. Die Meinungen über die neue Methode sind jedoch geteilt.

Autofahrer verhalten sich in der Regel nicht kooperativ, sondern egoistisch. Was sich hinter ihren Rücklichtern abspielt, interessiert sie nicht. Zum Beispiel ein vom eigenen Fehlverhalten erzeugter Stau. Sagt Michael Schreckenberg, Professor für die Physik von Transport und Verkehr an der Universität Duisburg/Essen. "Pkw-Fahrer haben permanent das Gefühl, überholt zu werden. Deshalb fühlen sie sich grundsätzlich benachteiligt."

Durchgezogene Linie

Und weil sie sich benachteiligt fühlen, schließen sie vor Hindernissen oft so nah zum Vordermann auf, dass sich Autos auf der betroffenen Spur nicht mehr einfädeln können. Mit einer durchgezogenen Linie vor Autobahnbaustellen will der Landesbetrieb Straßen NRW die Autofahrer nun zwingen, den Spurwechsel erst kurz vor einer Baustelle vorzunehmen.

Obwohl das so genannte Reißverschlussverfahren sogar über die Straßenverkehrs-Ordnung geregelt ist, funktioniert es im wirklichen Leben nur bedingt. Entweder versuchen die Autofahrer, sich zu früh einzufädeln oder sie hindern eben andere daran, kurz vor dem Hindernis - wie es eigentlich richtig ist - auf ihre Spur einzuschwenken.

"Das führt immer wieder zu massiven Konflikten", sagt Bernd Löchter von Straßen NRW. Vor allem aber führt es zu Staus. "Je früher man sich einordnet, desto länger sind die Staus, lautet eine Faustregel", sagt Verkehrs-Experte Schreckenberg. Das Problem: Die Kapazität der Autobahn unmittelbar vor der Baustelle wird nicht genutzt.

Anwendung ab sofort

Mit einer durchgezogenen Linie, die 800 Meter vor der Baustelle beginnt und erst 150 Meter davor endet, soll sich das ändern. Angewendet wird das Verfahren ab sofort in Nordrhein-Westfalen bei Baustellen auf sechsstreifigen Autobahnen, in denen der linke Fahrstreifen gesperrt ist. Ausgedacht hat sich die neue Methode ein Mitarbeiter von Straßen NRW, der sich damit bei einem internen Anti-Stau-Ideenwettbewerb beteiligte und den ersten Preis gewann.

Auf zwei Baustellen, auf der A1 bei Westhofen und der A2 bei Hamm, wurde das Verfahren getestet. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen begleitete den Test mit der Videokamera. Ergebnis: Die Verkehrsfläche wurde besser ausgenutzt, die Staugefahr sank. Löchter: "Eine Aussage über die Unfallhäufigkeit ließ sich aus der Untersuchung jedoch nicht ableiten."

Schreckenberg begrüßt die Initiative zwar, bleibt aber skeptisch. Die Verstöße gegen das Überfahren der durchgezogenen Linie müssten entsprechend geahndet, solche signifikanten Stellen also stärker kontrolliert werden. "Sonst verhalten sich die Leute wie bisher auch." Ein Autofahrer, der nicht genannt sein möchte, die Test-Baustelle an der A2 aber häufig passierte, bestätigt das. "Die Autofahrer waren durch die neuen Markierungen völlig orientierungslos, fuhren zick-zack, wechselten häufig die Spur. Auf solche Experimente sollte man besser verzichten."

Experte: Fortbildung wichtig

Für Verkehrs-Experte Schreckenberg liegt ein Grund, warum Autofahrer kein funktionierendes Reißverschlusssystem hinbekommen, darin, dass sie es nicht verstehen. "Hier wäre etwa eine regelmäßige Fortbildung wichtig." Genauso wie bei wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Ursache von Staus. So sei zum Beispiel das ständige Wechseln einer Spur ein Unding und führe nicht dazu, dass man schneller voran komme. "Aber wer sich langsam bewegt, hat eben Zeit zu beobachten - und fühlt sich sofort wieder benachteiligt."

Momentan werde sogar geprüft, ob es Sinn mache, den Spurwechsel im Stau zu verbieten. Denn nur das Verbleiben auf der eigenen Spur garantiere flüssiges Vorwärtskommen.

Dafür soll auch die durchgezogene Linie vor Baustellen sorgen. Noch aber fehlen genaue Messdaten, wie sich das Einfädeln optimal gestalten lässt. Schreckenberg vergleicht das Reißverschlusssystem mit einer Sanduhr, in der sich die Sandkörner zwar auch behindern, aber eine effiziente Durchfluss-Geschwindigkeit zu erreichen ist.

Webcams auf Baustellen

Vielleicht werden die erforderlichen Daten bald von einer weiteren prämiierten Idee aus dem Anti-Stau-Wettbewerb geliefert. Webcams mit Blick auf die Baustellen sollen den Pkw-Fahrern in naher Zukunft einen Blick auf ihre Strecke ermöglichen - per Internet, Handy oder Navi. Entsprechende Daten ließen sich auch für wissenschaftliche Studien auswerten.

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