Leverkusen Stadionverbot: Fans fürchten Willkür

Leverkusen · Ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das unter anderem Stadionverbote auf Verdacht zulässt, hat in Fankreisen für Unmut gesorgt. "Nordkurve 12", die Dachorganisation der Bayer 04-Fanszene, hat jetzt ein Protestschreiben verfasst.

Ulrich Wissing ist Bayer 04-Fan mit Leib und Seele. Sein erstes Spiel im Stadion hat er 1993 gesehen — und bemüht sich seitdem, nach Möglichkeit keins mehr zu verpassen. Seit etwa eineinhalb Jahren leitet er nun die Dachorganisation der Bayer 04-Fanszene: den Verein "Nordkurve 12". Wissing ist absolut unverdächtig, gewalttätig oder gewaltbereit zu sein — und doch könnte es ihm theoretisch passieren, dass ein Stadionverbot gegen ihn verhängt wird. Denn wie der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil festgelegt hat, ist es zulässig, ein solches Verbot auch auf Verdacht auszusprechen.

Ein Dauerkarteninhaber des FC Bayern München hatte den BGH wegen eines zweijährigen bundesweiten Stadionverbotes gegen ihn angerufen. Er war nach eigenen Angaben unverschuldet in eine Auseinandersetzung mit Fans des MSV Duisburg geraten. Obwohl seinerzeit nicht weiter gegen ihn ermittelt wurde, hatte Duisburg das Verbot ausgesprochen — und bekam jetzt von den Richtern Recht.

Rund 80 Verbote in Leverkusen

In einem zwei Seiten umfassenden Schreiben hat "Nordkurve 12" dieses Urteil jetzt als möglichen "Freifahrtschein für Willkür" angeprangert. Als Beispiel nennt Wissing einen Vorfall rund um das Spiel Bayer 04 gegen Frankfurt vom vergangenen Freitag. Da habe die Polizei am Kiosk in Höhe des Küppersteger Kreisels eine Gruppe gewaltbereiter Fans, aber auch unbeteiligte Passanten "eingekesselt" und ihre Personalien festgestellt. Leverkusens Polizeiinspektionsleiter Wolfgang Elbracht erklärte gestern, von einem Kessel könne keine Rede sein. Man habe aber in der Tat etwa 30 gewaltbereite Fans, die versucht hätten, zu den Frankfurter Bussen zu gelangen, abgefangen und deren Personalien eingefordert. "Das waren leider wieder mal unsere Ultras", bestätigt Stefan Thomé, Leiter des Leverkusener Fanprojekts. Doch auch er sagt: "Die haben sich am Kiosk gezielt auch unter Unbeteiligte gemischt." Und diese hätten durch das Gerichtsurteil schnell potenzielle Kandidaten für ein Stadionverbot werden können.

Bayer 04-Kommunikationschef Meinolf Sprink betonte gestern, man sei mit dem Instrument Stadionverbot bisher immer sehr sensibel umgegangen. Die größte Menge der mehr als 80 Verbote resultierte aus dem von Krawallen überschatteten Derby der Leverkusener in Köln in der vergangenen Saison. "An 97 Prozent ist etwas dran", versichert er. Bayer 04 leiste gerade durch Leute wie Thomé oder den Fanbeauftragten Andreas Paffrath ausgezeichnete Arbeit im sozialpädagogischen Bereich zur Gewalt-Verhinderung. "Wir reden über eine relativ kleine Gruppe", die trotzdem unbelehrbar bleibe. "Und da ist es nun mal unsere wichtigste Aufgabe, für Sicherheit auf den Rängen zu sorgen." Deshalb kann Sprink "mit der Grundausrichtung des Urteils auch gut leben".

Ein Urteil, mit dem sich Ulrich Wissing und viele andere Fans nicht abfinden wollen. Sie hoffen aus Angst vor Willkür nun auf das Bundesverfassungsgericht.

(RP)
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