Solingen Anschlagsopfer ohne Hass

Solingen · Mevlüde Genç sprach vor Schülern der Remscheider Abendrealschule über den Schmerz, beim Brandanschlag in Solingen "fünf Töchter" verloren zu haben. Gleichzeitig warb sie für Nächstenliebe und Friedfertigkeit.

 Sie empfinde gegenüber der deutschen Gesellschaft keinerlei Hass, sagte Mevlüde Genç vor den Abendrealschülern.

Sie empfinde gegenüber der deutschen Gesellschaft keinerlei Hass, sagte Mevlüde Genç vor den Abendrealschülern.

Foto: Jürgen moll

19 Jahre nach dem grausamen Brandanschlag auf ihre Familie wird Mevlüde Genç nicht müde, für Gewaltverzicht und ein tolerantes Miteinander zwischen allen Nationen und Kulturen zu werben. Bei ihrem Besuch in der Remscheider Abendrealschule sprach die Solingerin über ihre Migration nach Deutschland vor 42 Jahren und ihr Leben, wie es sich nach der Gewalttat vom 29. Mai 1993 verändert hat.

Als vier zur rechtsextremen Szene gehörende junge Männer damals das Zweifamilienhaus anzündeten, verlor sie zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte — Mevlüde Genç spricht von ihren "fünf Töchtern", die im Feuer umkamen. Weitere Familienmitglieder erlitten teils lebensgefährliche Verletzungen.

Wenn sie über ihre Gefühle spricht, differenziert sie genau. "Ich weiß, was Schmerz bedeutet. Gegenüber der deutschen Gesellschaft empfinde ich keinerlei Hass", übersetzt der Dolmetscher, der Mevlüde und ihren Mann Durmus Genç nach Remscheid begleitet hat. Verachtung bringe sie ausschließlich den "vier Leuten entgegen, die mein Haus angezündet haben". Kontakt mit den Familien der Täter, die heute alle wieder auf freiem Fuß sind, gebe es keinen. "Und das möchten wir auch nicht", sagt das Ehepaar.

Ausdrücklich bekennt sich die Frau zu Deutschland, dessen Staatsangehörigkeit sie angenommen hat. "Wir sind Teil dieses Landes. Unsere Kinder besuchen deutsche Schulen, haben deutsche Freunde."

Dass das Zusammenleben bis heute Schwierigkeiten mache, sei Ausdruck von zu wenig Dialogbereitschaft auf Seiten der einheimischen Bevölkerung und der Migranten: "Die Kennenlern-Phase zwischen Deutschen und Türken hat nicht gut funktioniert." Nur zwei Jahre nach dem Anschlag ist Mevlüde Genç mit 27 deutschen Kindern als Zeichen der Versöhnung in ihre Heimatstadt am Schwarzen Meer gereist. "Wir haben bis heute Kontakt", erzählt sie weiter.

Wenn die tiefgläubige Frau von ihren schmerzvollen Erinnerungen spricht und für Nächstenliebe und Friedfertigkeit plädiert, ist sie sehr ernst. Erst als sie von Schulleiter Herbert Koenen auf ihre Reise nach Berlin angesprochen wird, wo sie am 18. März als Wahlfrau in der Bundesversammlung den Bundespräsidenten wählte, umspielt ein Lächeln ihren Mund. Mit der Bundeskanzlerin habe sie mehrfach gesprochen und mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ein längeres Gespräch geführt. "Und auch der neue Bundespräsident Joachim Gauck hat mich herzlich begrüßt."

Den Abendrealschülern gibt sie mit auf den Weg, für viele Begegnungen zwischen den Kulturen zu sorgen: "Wir alle sind nur Gäste auf dieser Erde und Gottes Geschöpfe. Wir müssen gut miteinander auskommen, indem wir uns tolerieren und akzeptieren."

(RP/rl)
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