Analyse Salto vorwärts in der Schulpolitik

Solingen · Nach langen Jahren des Kampfes springt die CDU über ihren ideologischen Schatten, stimmt nahezu geschlossen für die vierte Gesamtschule und lässt dabei ihre schulpolitische Sprecherin zurück.

 Nicole Molinari spricht derzeit nur für sich selbst.

Nicole Molinari spricht derzeit nur für sich selbst.

Foto: Köhlen (Archiv)

Was lange Zeit unmöglich schien, ist am Donnerstagabend eingetreten. Der Chef der größten Fraktion, Bernd Krebs (CDU), hält im Stadtrat ein flammendes Plädoyer für die Gesamtschule und erntet donnerndes Tischklopfen vom politischen Gegner der Kooperation aus SPD, Grünen, BfS und DSW, während die vielen Hände der eigenen Fraktion merklich still halten. Überzeugt und überzeugend verkündet Krebs das Ende ideologischer Grabenkämpfe, lobt die Gesamtschulen in Solingen für ihre gute pädagogische Arbeit und mahnt letzte Zweifler, doch endlich den Willen der Eltern zu akzeptieren. "Der Elternwille ist nicht nur erkennbar, er ist mit Händen zu greifen", sagt Krebs.

Seit Jahren gibt es in Solingen die Abstimmung mit den Füßen. Zuletzt wurde annähernd jedes zweite Kind aus der vierten Klasse an einer der drei Solinger Gesamtschulen angemeldet. Tendenz: weiter steigend. Folge: hohe Ablehnungszahlen. Auch in diesem Jahr haben wieder mehr als 200 angehende Fünftklässler keinen Platz in der Wunschschule bekommen. Zugleich haben jüngste Anmeldungen erneut dramatisch gezeigt, dass die Hauptschule nur noch sehr gering nachgefragt wird. Dabei ist erst in diesem Sommer mangels Nachfrage die Hauptschule Ohligs geschlossen worden. Das war der Schulpolitik seit Jahren bekannt. Doch erst die große Elternbefragung im Herbst hat den Stein ins Rollen gebracht. Ergebnis: Eltern sagen Ja zur vierten Gesamtschule und zu einer neuen Sekundarschule. Ihr Interesse an der Hauptschule tendiert gegen Null.

Politik, die das ignoriert, stattdessen in über zehn Jahre alten Debatten verharrt, riskiert, von der Realität überholt zu werden. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat die CDU den Salto vorwärts in der Schulpolitik vollzogen. Die Fraktion stimmte geschlossen für den Schulfrieden und die Errichtung der vierten Gesamtschule in Höhscheid sowie einer neuen Sekundarschule in Central — mit Ausnahme der langjährigen schulpolitischen Sprecherin der Fraktion, Nicole Molinari. Sie bestimmte bisher maßgeblich die Schulpolitik ihrer Partei. Ihre einsame Entscheidung im Stadtrat gegen die vierte Gesamtschule ist persönlich zu erklären. Vor über einem Jahrzehnt hatte sie sich maßgeblich in der Initiative "pro-BiSS" engagiert, der Gegenbewegung des damals geplanten, aber nicht zustande gekommenen Bürgerbegehrens zum Bau einer vierten Gesamtschule. Über "pro-BiSS" fand Nicole Molinari den Weg zur CDU und wurde schulpolitische Sprecherin der Christdemokraten.

Dem Mehrheitsbeschluss ihrer Fraktion für die neue Gesamtschule wollte Molinari sich nicht beugen. Zunächst soll es außer ihr noch drei weitere Abweichler gegeben haben, am Donnerstag bei der Abstimmung im Rat stand sie isoliert da. Ohne Wissen des Fraktionschefs ergriff sie eigenmächtig das Wort und begründete ausführlich ihr Votum gegen die Gesamtschule. Für Krebs hatte sie da schon längst "eine Grenze überschritten." Schon vor der Sitzung war Molinari Redeverbot gegenüber der Presse erteilt und waren "Ordnungsmaßnahmen", die bis zum Fraktionsausschluss reichen können, angedroht worden. Doch die streitbare Schulpolitikerin lässt sich nicht einschüchtern und beharrt auf ihrem Weg. Die Konsequenz kann nur sein, dass sie ihr Amt als schulpolitische Sprecherin niederlegt. Sie hatte es zunächst ruhen lassen und sich eine interfraktionelle Auszeit verordnet. Fraktionschef Krebs übernahm das Amt kommissarisch.

Förmlich abberufen sei Nicole Molinari noch nicht, betont Krebs. "Darüber muss die Fraktion im Januar entscheiden." Nicole Molinari selbst denkt nicht an Rücktritt vom Sprecheramt. "Es gibt Dinge, die ich nicht ändern kann", sagt sie. "Ich werde gerne weiter Einfluss nehmen, denn wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch noch andere Schulen haben."

(RP)
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