RP Plus Das Ende der Verrichtungsboxen

Düsseldorf (RPO). Als erste Stadt in NRW zieht Dortmund die Reißleine. Weil sich in der Stadt hunderte Prostituierte aus Bulgarien niedergelassen haben, ist die komplette Stadt zur Sperrzone erklärt worden. Nun fürchten die Nachbarstädte, dass das Problem Straßenstrich zu ihnen wandert.

Dortmund 2011: Demo für den Straßenstrich
7 Bilder

Dortmund 2011: Demo für den Straßenstrich

7 Bilder

Endlich sind sie weg. An der Ravensberger Straße in Dortmund herrscht Erleichterung, seitdem am vergangenen Montag die städtischen Kehrmaschinen die Straße gesäubert haben. Keine Spritzen und Kondome mehr auf den Straßen, keine Bretterverschläge mehr, in die sich die Prostituierten mit ihren Freiern zurückziehen können. Das Beste: Es sind überhaupt keine Prostituierten mehr auf der Straße zu sehen.

Einen Tag nach der Meisterfeier von Borussia Dortmund hat die Stadt ihr Versprechen umgesetzt und den bis dato größten Straßenstrich Deutschlands aufgelöst. Damit nicht genug: Die komplette Stadt wurde zur Sperrzone erklärt. Vorausgegangen waren Bürgerbeschwerden und lange politische Diskussionen. Anwohner weigerten sich, ihren Kindern zu erklären, warum ihnen auf dem Weg zur Grundschule so viele spärlich bekleidete Frauen begegneten. Von grotesken Situationen ist die Rede, von Revierstreitigkeiten der Frauen und ihrer Zuhälter untereinander. Was war passiert?

Aus 60 Frauen wurden 700

Prostitution ist in Deutschland ein legales Gewerbe. Sie wird geduldet, solange sie nicht im öffentlichen Raum Aufsehen erregt. So wie in zahlreichen anderen Städten wurde der Straßenstrich an der Dortmunder Ravensberger Straße von den Anwohnern hingenommen. Doch in den vergangenen vier Jahren stieg die Zahl der Frauen, die auf dem Straßenabschnitt anschaffen gingen, rapide an.

Seit dem EU-Beitritt Bulgariens 2007 wurden aus 60 Frauen auf der Ravensberger Straße innerhalb von vier Jahren 700. Die Situation eskalierte, der Rat der Stadt forderte das Ende der Straßenprostitution. Am 15. Mai kam die Bezirksregierung Arnsberg diesem Wunsch nach. "Der Jugendschutz und der öffentliche Anstand sind nicht mehr zu gewährleisten", sagte Regierungspräsident Gerd Bollermann und erklärte das Verbot von Straßenprostitution im gesamten Dortmunder Stadtgebiet für zulässig. Verstöße werden mit einem Bußgeld geahndet. Anwohner berichten, inzwischen wären keine Freier mehr auf der Straße gesichtet worden. Scheinbar ist das Problem gelöst.

Nachbarstädte sind misstrauisch

Doch Essens Oberbürgermeister traut dem Frieden nicht. "Mit der Ausweitung des Sperrbezirks auf das gesamte Stadtgebiet löst Dortmund das Problem nicht, sondern wälzt es auf die umliegenden Kommunen ab", sagte Reinhard Paß. Er kündigte an, die Auswirkungen der Entscheidungen "sehr genau zu beobachten".

Einige Prostituierte haben bereits angekündigt, sich in den Nachbarstädten im Ruhrgebiet und in Köln niederzulassen "Sollen sie ihn doch schließen", sagte eine der Prostituierten, "dann gehe ich irgendwo in einem Puff anschaffen". Sie könne ohnehin nicht mehr viel hier verdienen, seitdem die Konkurrenz aus Bulgarien die Preise in den Keller gedrückt hatte. Die Frauen aus Osteuropa boten Geschlechtsverkehr für 15 Euro an, ohne Kondom.

Dabei hatte Dortmund lange als Vorbild gegolten. Manche sprachen schon vom "Dortmunder Modell": Der Straßenstrich in der Nordstadt, mitten in einem Wohngebiet, war gut ausgeleuchtet, in einem Betreuungsbüro des katholischen Sozialdienstes konnten die Frauen im Zweifelsfall um Hilfe bitten. Die Stadt baute sogar spezielle "Verrichtungsboxen": Garagengroße Bretterverschläge, in denen Freier und Prostituierte im Auto unbeobachtet bleiben konnten. Heute ist klar: Das ehemalige Vorzeigemodell ist gescheitert.

"Wir wollen es Prostituierten so unbequem wie möglich machen"

Dass ihre Sorgen nicht grundlos sind, wissen auch die Politiker anderer Ruhrgebietstädte. In Lünen, Bochum und Schwerte sorgt man sich ebenfalls darum, dass die Städte zum Zufluchtsort der aus Dortmund vertriebenen Frauen werden könnten. Auch in Witten will man die unerwünschten Damen nicht sehen. "Wir wollen es Prostituierten, die von Dortmund nach Witten kommen wollen, mit den uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln so unbequem wie möglich machen", sagte Ordnungsdezernent Frank Schweppe.

Besonders gut nachvollziehen kann man die Dortmunder Probleme in Köln. Die Domstadt hat ebenso wie die Ruhrgebietsmetropole seit Jahren ein Problem mit der großen Zahl an Prostituierten. Und ebenso wie in Dortmund wurde der Straßenstrich in der Kölner Südstadt Anfang April verboten. Doch am Rhein macht man sich wenig Hoffnung, dass dieses Verbot Wirkung zeigt: "Wenn wir Sperrbezirke ausweisen, werden die Damen anderswo auftauchen", sagt Referent Christian Sommer. Zuletzt hatte die Nachbarstadt Bonn Ende 2010 weite Teile der Stadt als Sperrzone deklariert, um die Prostituierten aus der Stadt zu jagen.

In Köln wähnt man sich sicher, dass es genau diese Damen sind, die nun versuchten, in der Südstadt Fuß zu fassen. Auch dort ist ein Großteil der Frauen bulgarischer Abstammung. Die nun beschlossene Regelung sieht vor, den Strich an der Brühler Landstraße und am Militärring nur von 20 bis 6 Uhr zu dulden. Verstöße werden mit bis zu 1000 Euro geahndet. Um eine langfristige Lösung zu finden, haben die Lokalpolitiker es nicht bei dem Sperrbezirk belassen. Die Stadtverwaltung hat nun den Auftrag, ein Konzept zu entwickeln, das eine dauerhafte Lösung gegen überhand nehmende Straßenprostitution bietet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort