Smart-Kopfhörer Erst mit klugen Kopfhörern macht Siri Sinn

Düsseldorf · Künftig brauchen wir nicht mehr ständig auf unser Smartphone schauen, weil ein kleiner Knopf im Ohr ständig mit uns kommuniziert. Sollen wir uns darüber freuen?

 Kabellos und wasserdicht: Die winzigen InEar-Kopfhörer der Firma Bragi übernehmen zu Teilen die Kontrolle des Smartphones. Durch eingebaute Mikrofone läuft die Steuerung der Funktionen über die Stimme.

Kabellos und wasserdicht: Die winzigen InEar-Kopfhörer der Firma Bragi übernehmen zu Teilen die Kontrolle des Smartphones. Durch eingebaute Mikrofone läuft die Steuerung der Funktionen über die Stimme.

Foto: Bragi

Wer wissen will, wie wir morgen leben werden, sollte diesen Film schauen. "Her” heißt er und mit ihm bekommt man ein gutes Gefühl dafür, wie sich unsere digitale Lebenswelt bald verändern wird. In dem Film geht es um einen Mann (Joaquin Phoenix), der sich in einer futuristischen Welt in seine künstliche Sprachassistenz (Scarlett Johansson) verliebt. Als der Film 2013 ins Kino kam, erschien alles dort gezeigte wie eine irrwitzige Utopie. Jetzt scheint sie plötzlich zum Greifen nah.

In dem Film wird Joaquin Phoenix morgens von einer weiblichen Stimme in seinem Kopfhörer geweckt. "Du hast in zehn Minuten einen Termin”, sagt Scarlett Johansson. "Beeil Dich.” Tatsächlich werden heute Millionen Menschen jeden Morgen durch ihr Smartphone geweckt. Für viele von ihnen geht der erste Blick aufs Display: Facebook, E-Mails, Whatsapp checken. Doch schon bald werden wir das nicht mehr brauchen. Künstliche Sprachassistenz-Systeme sind dabei, die Kommunikation mit dem Smartphone zu übernehmen. Und versorgen uns bereits heute über den Knopf im Ohr über alle Informationen, die wir haben wollen.

Ein paar Kostproben:

Um sich von Siri, der Sprachassistentin meines iPhones, das Wetter ansagen zu lassen, reicht ein Fingertipp auf die Fernbedienung der Apple-Kopfhörer. Diese übermitteln die gesprochene Frage nach dem Wetter ans Smartphone und spielen Siris Wettervorhersage im Ohr ab.

Um Musik zu hören, reicht ein Fingertipp auf die neuen Knopf-Kopfhörer von Motorola. Um den Sound zu ändern, drücke ich einfach etwas länger.

Mit den winzigen kabellosen Kopfhörern des Münchner Startups "Bragi” kann ich Telefongespräche mit einem Kopfnicken annehmen. Und noch vieles mehr.

Ohne dass wir es mitbekommen haben, schreitet die digitale Evolution voran. Höchstwahrscheinlich wird das iPhone 7 keinen separaten Audio-Ausgang mehr haben. Wer seine kabelgebundenen Kopfhörer an das neue iPhone anschließen will, muss sie wohl über Adapter mit der Ladebuchse des iPhones verbinden. Wahrscheinlicher ist: Apple wird bald ebenfalls kabellose Kopfhörer auf den Markt bringen. Der Klinkenstecker hat ausgedient.

Erste Anzeichen dieser Entwicklung sind bereits heute im Alltag sichtbar: In der Straßenbahn und bei Starbucks telefonieren viele Jugendliche längst nicht mehr mit dem Smartphone am Ohr, sondern über das Mikrofon im Lautsprecherkabel, das sie sich an den Mund halten. Sie tippen keine Whatsapp-Nachrichten mehr auf ihrer Smartphone-Tastatur, sondern versenden Sprachnachrichten. Es sieht zwar komisch aus, augenscheinlich ins Leere zu sprechen. Aber es ist so ungemein praktisch.

Einiges spricht dafür, dass den neuen smarten Kopfhörer ein anderes Schicksal widerfährt als ihren digitalen Vorgänger-Produkten. Die Google-Brille, die digitale Informationen in Sichtfelder projizieren kann, erntete zu viel Skepsis, um sich am Massenmarkt zu etablieren. Die Smartwatch, die zugleich Armbanduhr und verlängertes Display des Smartphones sein will, wurde von vielen als überflüssiges Spielzeug empfunden. Der kleine Knopf im Ohr dagegen könnte tatsächlich Begeisterung auslösen. Denn er erlöst die Generation Smartphone von ihrem Zwang, ständig auf das kleine grelle Display schauen müssen. Endlich sind Augen und Hände wieder frei für andere Dinge.

 Einmal tippen um Musik abzuspielen, zwei Mal tippen zum Vorspulen bis zum nächsten Lied: Dank neuer "Hearables" kann das Smartphone immer öfter in der Tasche bleiben.

Einmal tippen um Musik abzuspielen, zwei Mal tippen zum Vorspulen bis zum nächsten Lied: Dank neuer "Hearables" kann das Smartphone immer öfter in der Tasche bleiben.

Foto: Bragi

Dennoch stellen sich Fragen: Nervt der Knopf im Ohr nicht irgendwann im Alltag? Und ist die dauerhafte Bluetooth-Verbindung ins Ohr nicht gesundheitsschädlich? Der Praxistest zeigt: Es gibt genug Alltagssituationen, in denen der Knopf im Ohr tatsächlich Spaß und Sinn macht. Und dem Bundesamt für Risikobewertung zufolge gehen von Bluetooth-Headsets keine Gesundheitsgefahren aus.

So deutet vieles darauf hin, dass intelligente Sprachassistenz-Systeme uns künftig ständig im Alltag begleiten werden. Die kleine, preislich erschwingliche Box "Echo” von Amazon, erdacht zum Aufstellen im Wohnzimmer, soll nicht nur Funktionen des Smartphones übernehmen ("spiele mir Musik von Depeche Mode”), sondern auch die Steuerung der Wohnzimmer-Elektronik übernehmen ("Schließe die Jalousien”). Ob das Segen oder Fluch ist, entscheiden zuerst die amerikanischen Nutzer. In Deutschland ist das Gerät noch nicht erhältlich.

Die digitalen Vordenker im Silicon Valley wissen jedenfalls, dass ihre längst etablierten, aber noch immer wenig genutzten Sprachassistenz-Systeme erst mit neuen Produkten Sinn ergeben. Apple lässt "Siri” auf dem iPhone und iPad den Nutzern auf Fragen antworten, die Android-Konkurrenz nennt eine identische Funktion "OK Google”. Und auch Microsoft lässt "Cortina” auf seinen Windows-Geräten mit dem Nutzer kommunizieren. Erfolg werden die Systeme erst haben, wenn man zu ihrer Nutzung nicht mehr sein Smartphone an den Mund halten muss.

Kabellose Kopfhörer zu diesem Zweck gibt es bereits, wenn auch längst nicht alle den Nutzen bieten, den sie versprechen. Einfache Bluetooth-Kophörer gibt es schon für rund 12 Euro. Wer spielerischer veranlagt ist, kann die Luxusvarianten von Samsung oder Motorola wählen. Oder greift gleich zu den eleganten Mini-Kopfhörern von "Bragi”. Das deutsche Startup hat bei einem der erfolgreichsten Crowdfunding-Projekte Europas 3,4 Millionen Euro im Internet eingesammelt — anvisiert waren ursprünglich 260.000 Euro.

Das Unternehmen wirbt damit, die weltweit ersten Smart-Kopfhörer erfunden zu haben. Im Test halten sie tatsächlich, was sie versprechen: Auch ohne externes Mikrophon lässt sich Siri auf dem iPhone über die Stimme steuern, die kleinen Knopf-Kopfhörer können dank wasserdichtem Gehäuse auch unter der Dusche getragen werden und unterdrücken je nach Einstellung die Umgebungsgeräusche. Ihre Schwäche: eine wenig intuitive Bedienung — und eine überaus wackelige Bluetooth-Verbindung zum Smartphone.

Dass die digitale Evolution in vielerlei Hinsicht eine überaus langwierige Angelegenheit ist, ließ sich dieser Tage in Köln beobachten. Dort wurden testweise an Straßenkreuzungen Bodenampeln installiert. Dank ihnen sollen Fußgänger vor Unfällen gewarnt werden, die den Blick andauernd nur auf das Smartphone gerichtet haben.

Vielleicht haben sie das ja bald nicht mehr nötig.

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