Gamescom 2016 in Köln Darum bin ich ein Gamer

Düsseldorf · Am Sonntag endet die Gamescom. Spielbegeisterte suchen dort das, was für sie längst mehr ist als simple Unterhaltung, sondern Teil ihrer Kultur. Doch was heißt das eigentlich?

Gamescom 2016 - Rundgang über die Computerspielmesse in Köln
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Gamescom 2016 - ein Rundgang über die Computerspielmesse

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Ich gebe es zu: Ich bin ein Gamer. Immer noch. Trotz meiner mittlerweile 45 Jahre hat mich das, was mich seit meiner Jugend begleitet, nie mehr losgelassen. Und ich kenne die abschätzigen, mitleidigen Blicke all jener, die nicht verstehen, was daran so faszinierend sein soll, ein paar bunte Pixel zu steuern.

Nun, diese Blicke sind im Lauf der vergangenen Jahre immer seltener geworden. Nach Angaben des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) ist mit einem Anteil von 46 Prozent fast jeder zweite Deutsche ein Gamer — mehr oder weniger.

Der BIU zählt in der Statistik auch alle Gelegenheitsspieler, die nur ab und an zu einem simplen Zeitvertreib auf ihrem Smartphone greifen. Sicher, auch sie spielen, aber sie gehören nicht zu denen, für die das mehr ist als eine kleine Abwechslung und für die Games ein Teil ihrer Kultur geworden ist.

Doch was heißt das? Für mich mit 45 Jahren ist da immer noch die Faszination von den fantastischen Welten auf dem Monitor oder dem Fernseher, in die ich eintauche — und in denen ich über Tastatur und Maus oder über den Controller eben das habe: die Kontrolle.

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Gamescom 2019 - die besten Spiele auf einen Blick

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Foto: Hersteller

Ich lenke die Figuren und entscheide, was sie tun. Ich bin nicht nur passiver Konsument, ich bin aktiver Teil der Geschichte, die ich unmittelbarer erlebe als beim Lesen eines Buches oder beim Schauen eines Films. Und wenn ich an einer Stelle scheitere, dann liegt es nicht am Drehbuch, sondern an mir und meinen mangelnden Fähigkeiten.

Gamer seien erbärmlich. Das habe ich in meiner Jugend öfter gehört, als es noch heute der Fall ist. Aber Gamer lernen früh eine wichtige Lektion — niemals aufgeben. Wenn ich im Spiel scheitere, muss ich besser werden und lernen, wie ich die schwierige Passage meistern kann.

Wenn ich das nach unzähligen Anläufen geschafft habe, dann ist es mein Erfolg, den ich schwer erarbeitet habe. Die darauf folgende nachlassende Anspannung, das Gefühl, es endlich geschafft zu haben — es brennt sich ins Gedächtnis und hinterlässt etwas, das niemals mehr verblasst.

Es schafft eine emotionale Bindung zu dem, was andere als billige Unterhaltung abtun. Und das teile ich unausgesprochen mit anderen Gamern, die diesen Moment in einem bestimmten Spiel ebenfalls erlebt haben. Wir tragen T-Shirts oder Kostüme als Zeichen unserer Leidenschaft und unserer gemeinsamen Erfahrung, die jeder für sich gemacht hat.

Mit den gewachsenen technischen Möglichkeiten der Computer und der Konsolen sind auch die Spiele aufwendiger geworden. Die Top-Titel arbeiten mit einem Budget im Rang eines Hollywood-Blockbusters. Hinter den Geschichten steht ein Heer von Drehbuchautoren, die komplexe Welten erschaffen.

Und insbesondere in den besseren Spielen haben die unterschiedlichen Rassen oder Charaktere eine eigene vielschichtige Historie, die ihr Handeln und ihre Denkweise bestimmt. In den besseren Spielen gibt es Religionen, Ideologien und politische Systeme. Es gibt Verrat, Intrigen und wechselnde Bündnisse. In den besseren Spielen lebt man oft in Grauzonen. Und es wird von mir verlangt, zu allem Stellung zu beziehen, das eine anzunehmen und das andere abzulehnen.

 Zockt auch noch mit 45: Ludwig Jovanovic.

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Foto: Jovanovic

Es ist ein Zwang zur Selbstreflexion, die mich aber in eine virtuelle Welt zieht, in der ich mich positionieren muss — und in der ich mit Extremsituationen konfrontiert werde. In einigen Spielen muss ich nicht schnell reagieren, vielmehr muss ich entscheiden und eine Option wählen — vielleicht auch auf Kosten einer gut geschriebenen Figur, zu der ich in unzähligen Stunden eine Beziehung aufgebaut habe.

Oder das Spiel führt mich zu einem Ende, bei dem ein Charakter stirbt. Das mag logisch, unausweichlich und konsequent sein, aber die Tragik wühlt mich mindestens so sehr auf wie der Tod eines liebgewonnen Buch- oder Filmcharakters.

Die Erfahrung ist vielleicht sogar noch intensiver, weil hinter jedem Ende 20, 30 oder mehr als 100 Stunden stehen, die man in der virtuellen Welt verbracht hat und die ein besonderes Band zu dem Spiel, zu der Geschichte, zu den Charakteren und zu den Herausforderungen geknüpft haben.

Manche Spiel-Enden dagegen sind so überraschend komplex, dass ich danach zunächst meine Gedanken ordnen muss — bevor ich mich online austausche und mit anderen Spielern diskutiere. Weltweit. Gamer sind längst Teil einer globalen Gemeinschaft, die durch die Spiele verbunden ist. Und durch das Internet.

Wer in einem Online-Spiel mit anderen Gamern gemeinsam ein Ziel verfolgt, lernt, was Teamfähigkeit bedeutet. Erst recht, wenn man sich mit Spielern aus der ganzen Welt in einem Team wiederfindet und sich mit rudimentären Wortfetzen in diversen Sprachen verständigt. Das funktioniert, so lange alle ein Verständnis dafür haben, was man für das Team tun kann, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.

Außenstehende reduzieren das oft auf die Darstellung vor allem von Gewalt. Doch das ist so, als ob man alle Quentin-Tarantino-Filme automatisch ablehnt, ohne sie gesehen zu haben — ungeachtet der Story oder der cineastischen Meisterhaftigkeit.

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Es wird den Online-Spielen nicht gerecht, in denen ich viele großartige Momente erlebt habe. Mit Gamern aller Altersklassen, Sprachen, Hautfarben, Religionen, Geschlechter, sexueller Orientierungen — es spielt keine Rolle, so lange wir als Team spielen. Dafür steht die Gaming-Kultur.

"Fang an zu leben und schau' dir die Welt an!" Das sind Vorwürfe aus meiner Jugendzeit, die leider immer noch schnell gemacht werden — von Menschen, die nicht wissen, dass ein Gamer viele Leben und hunderte Welten gesehen hat.

Weil die Fantasie keine Grenzen kennt und Games am Ende nichts anderes sind, als ein Spiel mit den Möglichkeiten. Und die erkunde ich auch mit 45 Jahren noch voller Neugier und mit dem Staunen eines Kindes, das immer noch irgendwo in mir steckt.

Infografik: Brettspieler oder Gamer? | Statista
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Foto: dpa, htf
(jov)
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