Analyse zum BGH-Urteil Google vergisst nicht

Karlsruhe · Falsche Beschuldigungen oder Nacktfotos tauchen immer wieder bei Google auf. Betroffene können seit drei Jahren bestimmte Links aus den Suchergebnissen löschen lassen. Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dieses Recht nicht weiter zu stärken.

 Google-Zentrale in Mountain View (Archivbild).

Google-Zentrale in Mountain View (Archivbild).

Foto: ap, MS

Was sich ein Mensch bieten lassen muss, das verrät das Internet. Ein Ehepaar aus Köln, das eine IT-Firma betreibt, kann in einem Forum allerhand über sich lesen. Von "Zombies" ist da die Rede und von "Arschkriechern". Frau und Mann werden von den Nutzern als "Stalker", "Schwerstkriminelle" und "Terroristen" bezeichnet. Das ist nicht bloß unhöflich, das ist beleidigend. Wenn man den Namen der Eheleute nun bei der Suchmaschine Google eingab, dann tauchten die Begriffe in den Ergebnissen auf. Die Kölner wollten das nicht länger hinnehmen und baten den kalifornischen Konzern, sie zu entfernen. Sie wollten, dass Google die Verleumdungen vergisst. Aber das Internet vergisst nichts.

Am Dienstag ist das Ehepaar mit einer Klage vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe gescheitert. Google, verlangten die beiden, solle von vornherein alle Links aus den Suchergebnissen löschen, die die beleidigenden Inhalte anzeigen. Doch das Gericht erkannte keine derartige Pflicht für die Suchmaschine (Az.: VI ZR 489/16). Mitarbeiter hätten sämtliche bei Google aufgeführten Inhalte vorab auf Rechtswidrigkeit prüfen müssen. Der Vorsitzende Richter Gregor Galke sagte, dass ein solches Verfahren Suchmaschinen im Internet praktisch komplett lahmlegen würde. Google muss erst reagieren, wenn es sehr konkrete Hinweise auf eine Rechtsverletzung erhält. Galke sagte, das sei etwa bei Gewaltaufrufen oder Kinderpornografie der Fall.

Betroffene müssen daher einen Antrag an Google stellen und einen offensichtlichen Verstoß gegen ihre Persönlichkeitsrechte geltend machen. Mitarbeiter des Konzerns entscheiden dann, ob dies begründet ist. Wenn Google das Suchergebnis, das gelöscht werden soll, weiterhin für relevant hält, dann weisen die Mitarbeiter den Antrag zurück. Das ist etwa bei einem Wissenschaftler geschehen, der sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte und nicht mehr wollte, dass Google seinen alten Namen anzeigt. Die Suchmaschine hielt die Information dennoch für bedeutsam und ließ das Ergebnis drin.

Dass Google überhaupt Inhalte entfernt, ist freilich ein Fortschritt. Im Mai 2014 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden, dass Suchmaschinen dazu verpflichtet sind, wenn das Persönlichkeitsrecht der Nutzer durch die angezeigten Links verletzt wird. Der EuGH argumentierte, dass sich bei Google ein umfassendes Bild einer Person ergebe, wenn man den Namen sucht. Suchergebnisse seien nichts anderes als die Verarbeitung personenbezogener Daten. Die Richter schufen mit ihrem Urteil europaweit das sogenannte Recht auf Vergessenwerden.

Doch das wird seinem Namen nur bedingt gerecht. Denn Google "vergisst" im Wortsinne nichts. Alles bleibt im Internet erhalten, nur gesperrte Links tauchen in den Suchergebnissen nicht mehr auf. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Denn auch die Verleumdungen gegen das Kölner Ehepaar sind weiter im Netz zu finden: in dem entsprechenden Internetforum, aber auch bei Google. Sie verschwinden nur dann aus der Suchmaschine, wenn konkret der Name in das Suchfeld eingegeben worden ist.

Das Recht auf Vergessenwerden ist also eher ein Recht auf Anonymisierung. Die verletzenden Inhalte bleiben im Internet, werden aber bei Google nicht mehr unmittelbar mit dem Namen verknüpft angezeigt. Wegen der gigantischen Stellung, die Google einnimmt, hilft das den Betroffenen allerdings auch schon. In Europa hat Google unter den Suchmaschinen einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent.

Der Bundesgerichtshof hat sich in dem Urteil am Dienstag nun bewusst entschieden, dieses Recht nicht weiter zu stärken oder sogar auszubauen. Google hat einen anderen Rechtsstatus als etwa eine Zeitung; es haftet nicht selbst für die angezeigten Inhalte, es macht sie sich auch nicht zu eigen. Die Suchmaschine bietet lediglich den Raum, den andere füllen.

Experten sehen die Freiheit des Internets durch die Entscheidung gestärkt. Markus Kaulartz vom Münchner Büro der Kanzlei CMS Deutschland sprach von einem deutlichen Zeichen für das freie Internet. Und der Medienrechtler Christian Solmecke sagte: "Der Bundesgerichtshof stellte sicher, dass Meinungsfreiheit in Deutschland auch künftig gewährleistet wird." Es überrascht nicht, dass auch Google selbst das Urteil begrüßt.

Es ist der Kampf des Internets: Einerseits verspricht es die große Freiheit, andererseits bedroht es die Freiheit des Einzelnen stark. Private Daten fliegen überall umher, und der Deckmantel der Anonymität erleichtert persönliche Ehrverletzungen. Gewiss, es treffen zwei starke Güter aufeinander. Gleichwohl ist ist es nur schwer vorstellbar, dass es ausgerechnet Googles komplexem Algorithmus nicht gelingen würde, solche Ehrverletzungen von selbst aufzuspüren. Dass die Freiheit des Internets und der Meinung dadurch verletzt würde, wenn niemand mehr über die Kölner Eheleute lesen kann, sie seien "Arschkriecher" oder "Terroristen", liegt nicht so deutlich auf der Hand, wie Google glauben machen mag.

Die hübsche Blume Vergissmeinnicht soll nach einer mittelalterlichen Sage Gott darum gebeten haben, sie nicht zu vergessen. Der Mensch hat etwas erschaffen, das dieser Bitte mit Perfektion nachkommt - das Internet.

(her)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort