100.000 Teenager betroffen Was Eltern gegen die Social-Media-Sucht der Kinder machen können

Berlin · Soziale Medien sind nicht nur faszinierend, sie können auch abhängig machen. Eine Studie zeigt nun, dass einige Teenager in der Online-Welt schon früh Probleme bekommen können.

 Viele Kinder können nicht mehr ohne ihr Handy (Symbolbild).

Viele Kinder können nicht mehr ohne ihr Handy (Symbolbild).

Foto: dpa, kj zeh

Ein Laut vom Handy und mit der Nachtruhe mancher Teenager in Deutschland ist es vorbei. Ganz dringend müssen sie dann noch nach Mitternacht eine Antwort tippen und ein Foto hochladen. Nach einer repräsentativen Studie der Krankenkasse DAK ist das kein Alptraum besorgter Helikopter-Eltern. Rund 100.000 Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren haben sich nach der Untersuchung bei ihren Ausflügen in die Online-Welt nicht mehr im Griff: Sie gelten als süchtig nach sozialen Medien.

Das erste Mal hätten Wissenschaftler für Deutschland einen genauen Blick auf die Wirkung von Messenger-Diensten wie WhatsApp und sozialen Netzwerkseiten wie Facebook geworfen, berichtet Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters in Hamburg. "Soziale Netzwerke sind nicht allein Teufelszeug", stellt der Forscher klar. Sie seien nützlich für die Identitätsentwicklung junger Menschen, wichtig auch für das Erproben von Kommunikation und Beziehungsgestaltung. Doch wie bei anderen Verlockungen im Internet gibt es Grenzen.

"Problematisch wird es, wenn die Balance zwischen der realen und digitalen Welt aus den Fugen gerät", sagt DAK-Vorstandschef Andreas Storm. Was bei der Befragung von 1001 Jungen und Mädchen herauskam, macht ihm ein wenig Angst: Ein Viertel der Teeanger verbringt vier oder mehr Stunden am Tag in sozialen Netzwerken. Ebenfalls ein Viertel bekommt durch Chatten, Posten und Liken zu wenig Schlaf und riskiert obendrein Streit mit den Eltern.

Entzugserscheinungen ohne Handy

2,6 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen, das ergab die Studie, konnten ihre Lust auf soziale Medien nicht mehr allein steuern. Sie litten ohne ihr Handy unter Entzugserscheinungen. Ein Drittel dieser Abhängigen zeigte auch depressive Neigungen - ein Phänomen, das auch von anderen Internet-Süchten bekannt ist. "Wir haben jetzt die Chance gegenzusteuern", sagte Storm. Es gelte zu verhindern, dass aus 2,6 Prozent der Teenager zehn Prozent würden.

"Ich finde 2,6 Prozent nicht viel und auch nicht dramatisch hoch", sagt Dorothée Hefner, Kommunikationswissenschaftlerin an der Hochschule Hannover und Autorin des Buchs "Permanent Online, Permanent Connected". Aber für diese 2,6 Prozent sei es natürlich dramatisch. "Und über diese Zahl hinaus gibt es sicher Jugendliche, denen es nicht gut geht mit ihrer Nutzung von sozialen Medien", ergänzt sie. Und auch für all jene, denen es nicht schlecht mit Chatten und Posten gehe, bleibe die Frage: Wie gehe ich gut mit sozialen Medien um?

"Eltern sind in hohem Maße orientierungslos"

Für Marlene Mortler (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, sind Regeln ganz wichtig. "Ich verdamme soziale Medien nicht", betont auch sie. "Aber wir dürfen nicht nur über die Chancen, sondern müssen auch über Risiken reden". Deshalb gelte es für Eltern und auch für Schulen, bei der Medienerziehung Grundsätze aufzustellen. Einer davon lautet für sie: "Medien dürfen mich nicht beherrschen, ich beherrsche sie." Doch was Mortler im Alltag erlebt, fasst sie so zusammen: "Eltern sind in hohem Maße orientierungslos."

Was nicht nur daran liegt, dass ihre Kinder ihnen bei der neuen Technik immer um eine Nasenlänge voraus sind. Soziale Medien locken auch Erwachsene - sie haben wahrscheinlich nur weniger Zeit dafür. Ab 30, berichtet Forscher Thomasius, gehe der Suchtfaktor bei sozialen Medien zurück. "Aber die ganze Gesellschaft muss sich fragen: Wie legen wir Normen für die Nutzung fest", sagt Forscherin Hefner. Bei Eltern, hat sie beobachtet, gebe es hohen Beratungsbedarf bei der Erziehung. Was darf ich einschränken und wie geht das?

Regeln mit den Kindern festlegen

"Viele Eltern reden auch untereinander nicht darüber", berichtet Hefner. "Warum besprechen sie nicht am Elternabend, dass alle Handys zu Hause um 21 Uhr eingesammelt werden? Solche ganz pragmatischen Sachen." Am sinnvollsten sei es, gemeinsam mit den Kindern Regeln festzulegen und auf die Einhaltung zu pochen. Als kleine Helferlein gebe es Apps, die zum Beispiel Nutzungshäufigkeiten aufzeichneten - als Diskussionsgrundlage.

Doch es geht nicht nur um Verbote. In Hefners Untersuchungen spielten vertrauensvolle Beziehungen in einer Familie eine große Rolle. "Je stärker die Bindungssicherheit der Kinder an ihre Eltern ist, desto weniger anfällig sind sie für eine problematische Nutzung ihrer Handys", berichtet sie. Was heißt problematisch für sie? "Wenn das bunte Leben außerhalb des Mobiltelefons nicht mehr als attraktiv und ausgefüllt erscheint, weil so ein starker Fokus auf dem Handy liegt", sagt Hefner. In der Studie zeigten bereits fünf Prozent der befragten Teenager kein Interesse mehr an Hobbys und anderen Beschäftigungen, weil sie lieber online waren.

"Das Problem ist nicht, dass Teenager durch soziale Medien zu wenig mit ihren echten Freunden kommunizieren", urteilt Hefner. Denn meist seien ihre echten Freunde online. "Aber sie sind von anderen Tätigkeiten abgelenkt." Ein Schlafdefizit sei ein echtes Problem. "Aber auch die ständigen Unterbrechungen, zum Beispiel der Gedankenfluss bei Hausaufgaben." Für Jugendliche sei es schwerer als für Erwachsene zu sagen: Nee, ich gucke jetzt nicht. "Denn sie lernen solche Abgrenzungsmechanismen ja gerade erst." Hefner fände es vernünftig, wenn das Handy bei niemandem nachts neben dem Bett liege. "Dann piept auch nichts."

(gaa)
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