Kolumne "Total Digital" Mit dem Kopf durch die Arktis steuern

Düsseldorf · In Reportagen und Dokumentationen werden wir künftig wie in Computerspiele eintauchen können - mithilfe einer Brille zur Simulation von dreidimensionalen Welten.

Neulich war ich auf einer Farm irgendwo in Iowa. Die endlosen Felder, Scheunen und Getreide-Silos, die ich mit meinem Hubschrauber überflog, sahen genauso aus wie in einem Film aus den 90er Jahren mit Johnny Depp und Leonardo di Caprio. Nach der Landung auf einer Obstwiese stieg ich aus und unterhielt mich mit den Farmern. Und das alles, ohne mich von meinem Stuhl in einem Konferenzzentrum in Chicago zu bewegen. Dort hatte nämlich die amerikanische Tageszeitung "Des Moines Register" eine Virtual-Reality-Station aufgebaut.

Um den Journalismus der Zukunft in der virtuellen Realität zu testen, hatte man mir die Entwicklerversion der "Oculus Rift" aufgesetzt. Das ist eine Art Taucherbrille zur Simulation von dreidimensionalen Welten. Dazu bekam ich Kopfhörer aufgesetzt und die Steuerung einer Xbox-Konsole in die Hand gedrückt. Damit konnte ich hautnah miterleben, wie die Globalisierung das Leben auf einer amerikanischen Familienfarm in Iowa verändert.

Schon vor rund sieben Jahren gab die "Bild"-Zeitung den "Avastar" mit Nachrichten ausschließlich aus der virtuellen Welt heraus. Das ist heute längst Geschichte.

Aus den neuen Medienprojekten in der virtuellen Realität könnte dagegen etwas werden. Denn in den Simulationen kann man sich wie in einem superrealistischen Computerspiel bewegen. Zum Beispiel in der neuen "Arte"-Koproduktion "Polar Sea 360°": Allein durch Kopfbewegungen kann der Zuschauer, der eine "Oculus Rift"-Brille trägt, in Eigenregie durch die grandiose Gletscherwelt der Arktis navigieren. Auch an dem Umstand, dass die Brille erst im kommenden Jahr auf den Markt kommen soll und nicht jeder ein Modell kaufen wird, haben die Entwickler der 3D-Simulationen gedacht: Ohne Spezialbrille steuert man einfach mit der Maus auf dem PC-Bildschirm.

Die "Oculus-Rift"-Technik und ihr Entwicklerteam wurden übrigens vom sozialen Netzwerk Facebook in diesem Jahr zum Wahnsinnspreis von rund 1,6 Milliarden Euro gekauft. Doch wenn ich mir anschaue, wie mein 15-jähriger Sohn mit Medien umgeht, ist das vielleicht gerechtfertigt. Er ist begeisterter Computerspieler, navigiert in jeder freien Minute als Ritter oder Kampfpilot durch virtuelle Welten. Reportagen als 3D-Welten, in die man völlig eintauchen kann, werden für seine Generation vielleicht bald selbstverständlich sein. Nachrichten zu lesen - ob auf Papier oder am Bildschirm - ist meinem Sohn jedenfalls fremd.

Ulrike Langer ist freie Korrespondentin an der US-Westküste und Digital-Expertin. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de. Sie ist auch auf Twitter unter @UlrikeLanger und in ihrem persönlichen Blog erreichbar.

(RP)
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