Kommentar zu Google Street View Das falsche Feindbild

Düsseldorf (RPO). Als engagierter Datenschützer müsste einem derzeit eigentlich das Herz aufgehen: Halb Deutschland diskutiert über den Datenschutz. Doch Anlass für das plötzliche Interesse ist ausgerechnet Googles Dienst Street View, der nur den öffentlichen Raum im Digitalen dokumentiert. Unterdessen sammeln Datenkraken weiter munter Informationen – im vollen Einverständnis von Millionen Deutschen.

Was Sie über Google Street View wissen müssen
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Foto: AP

Düsseldorf (RPO). Als engagierter Datenschützer müsste einem derzeit eigentlich das Herz aufgehen: Halb Deutschland diskutiert über den Datenschutz. Doch Anlass für das plötzliche Interesse ist ausgerechnet Googles Dienst Street View, der nur den öffentlichen Raum im Digitalen dokumentiert. Unterdessen sammeln Datenkraken weiter munter Informationen — im vollen Einverständnis von Millionen Deutschen.

Die Deutschen sind ein Volk von Überwachten: Wer telefoniert, dessen Verbindungsdaten werden für ein halbes Jahr gespeichert. Jahr für Jahr steigt die Zahl der überwachten Telefonate. Zahlreichen Berichten zufolge werden die Betroffenen — die meisten davon völlig unbescholtene Dritte — in den seltensten Fällen über den Eingriff in ihre Privatsphäre informiert.

Das Projekt Datenschutz zählte allein im ersten Quartal dieses Jahres 18 gravierende Verstöße gegen den Datenschutz. Getroffen hat es häufig die Schwachen der Gesellschaft: So verschickte beispielsweise die Gemeinde Senden versehentlich die Daten von 400 Hartz-IV-Empfängern. Als zwei Arbeitslose bei der Castingshow "Deutschland Sucht den Superstar" auftraten, verzeichneten die Computer der Agentur für Arbeit über 10.000 Zugriffe auf die Datensätze der Kandidaten. Alle Mitarbeiter der Agentur durften auf sämtliche Datensätze im System zugreifen — ob die Betroffenen Klienten der Mitarbeiter waren oder nicht.

Das alles störte die meisten Deutschen eher wenig, im Gegenteil: Fröhlich shoppen Millionen mit Paybackcard und ähnlichen Bonus-Systemen ihren letzten Rest Privatheit weg — gewähren Konzernen für ein paar lausige Rabatte detaillierte Einblicke in ihr Kaufverhalten. Daten sind längst zu einem Geschäft geworden. 1300 Adresshändler leben in Deutschland laut einem Bericht der "Wirtschaftswoche" davon. Bei ihnen können Unternehmen gezielt Adressen kaufen — zum Beispiel die von gut Betuchten mit einer Vorliebe für Luxus. Solche Datensätze sind teilweise Hunderte von Euro wert.

Nun hat das Thema Datenschutz die gesellschaftliche Mitte erreicht. Endlich, will man angesichts der immer umfassenderen Überwachung aufatmen — und reibt sich im nächsten Moment die Augen: Ausgerechnet Googles 3D-Kartografiedienst Street View erregt die Gemüter. Ein Dienst, der nichts weiter abbildet, als den öffentlichen Raum. Etwas, das jeder sehen, jeder fotografieren und veröffentlichen darf. Gesichter werden von Google unkenntlich gemacht.

Stolz zeigen Eigenheimbesitzer vor TV-Kamerateams sich und das Haus, das nicht bei Google erscheinen soll. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner, die sich alleine schon durch ihren Beruf bewusst für ein Leben in der Öffentlichkeit entschieden hat, verkündet medienwirksam, ihr Haus solle nicht bei Street View erscheinen.

Dass Google auf die Kritik von Datenschützern reagiert hat und Bürgern die Möglichkeit bietet, ihr Haus aus Googles Dienst zu löschen, ist richtig. Aber nun sollte sich die Debatte vom medial leicht zu inszenierenden Trubel um Street View auf die heimliche und unheimliche Datensammelei verlagern, deren Aktivitäten weniger sichtbar sind.

Denn Informationen sind Macht - heute mehr denn je. Durch die heimliche Konzentration von immer mehr Daten in wenigen Händen, steigt die Gefahr des Missbrauchs. Street View ist dagegen öffentlich, transparent und demokratisch: Jeder kann es nutzen - und dagegen vorgehen, wenn ihm etwas nicht passt.

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