Gefälschte Tweets Das Internet lügt

Düsseldorf · Rund eine Million Menschen haben eine angebliche Botschaft der NASA weiterverbreitet, derzufolge heute kurz die Erdanziehungskraft aussetzen soll. Die darin deutliche werdende Ignoranz ist nur auf den ersten Blick amüsant.

Gefälschte Tweets: Das Internet lügt
Foto: Daily Buzz Live

Dass die Schwerkraft am Sonntagvormittag um 9.47 Uhr kalifornischer Zeit wirken wird wie zu jeder anderen Tages- und Nachtzeit auch, sollte keine Überraschung sein. Für viele wird es das aber. Mehr als eine Million Menschen haben bei Facebook ein Bild verbreitet, das angeblich einen Tweet der NASA zeigt. Inhalt: Eine seltene Planetenkonstellation hebe um diese Zeit vorübergehend die Schwerkraft auf.

Einige der "Verbreiter" mögen das ironisch getan haben, lauernd darauf, welcher ihrer Freunde und Follower den Witz erkennen würde und welcher nicht. Die absolute Mehrheit aber ist einer Albernheit aufgesessen — was kaum erwähnenswert wäre, würde es nicht Rückschlüsse zulassen auf den gedankenlosen Umgang mit Informationen im Allgemeinen.

Der Witz ist nicht neu — am 1. April 1976 hatte der britische Astronom Sir Patrick Moore im Radio behauptet, dass Jupiter und Saturn zusammenwirkten, um die Schwerkraft der Erde aufzuheben. Der legendäre Aprilscherz hat in der englischsprachigen Wikipedia einen eigenen Eintrag. Fakt ist: Die anderen Planeten unseres Sonnensystems sind zu weit entfernt, als dass ihre Anziehungskraft spürbar würde. Addiert erreichen sie nur 2 Prozent der Kraft, die der Mond auf die Erde ausübt (Beweisführung hier).

Bei Tweets ist Abhilfe schnell geschaffen

Für den Erfolg der aktuellen Falschmeldung war zweierlei entscheidend: Erstens ein clever gemachter, weil nicht überdrehter Artikel ("Ihr werdet nicht durch euer Haus schweben können, aber wenn Ihr zur richtigen Zeit hochspringt, werdet Ihr statt der üblichen 0,2 Sekunden etwa 3 Sekunden lang in der Luft bleiben"). Auf DailyBuzzLive.com, wo auf krude Weise echte und erfundene "News" zusammengemischt werden, was aber nur den wenigsten bewusst ist. Zweitens und vor allem: Die Existenz von Seiten wie LemmeTweetThatForYou.com, die es erst erlauben, täuschend echt aussehende Fake-Tweets zu kreieren — nicht nur unter dem Namen, sondern auch mit dem echten Foto des vermeintlichen Absenders.

In diesem Fall ein Verbrechen ohne Opfer. Aber zu wie viel bösem Blut, Tränen und auch beruflichen Komplikationen andere so erfundene Nachrichten schon geführt haben, kann man nur mutmaßen. Und fast regelmäßig rücken Lynchmobs gegen Unschuldige vor, die Übereifrige voreilig und fälschlicherweise als Tierquäler, Bombenleger oder Vergewaltiger zu identifiziert haben glaubten. Blindes Vertrauen in das nachlässig recherchierte, gegengeprüfte, geschriebene Wort kann buchstäblich tödlich sein.

Bei Tweets ist Abhilfe schnell geschaffen — wer sicher sein will, dass eine Botschaft tatsächlich vom vorgeblichen Absender stammt, muss nachsehen, ob sie tatsächlich in dessen eigenem Profil auftaucht. Ist das der Fall, kann theoretisch auch ein Hacker dahinterstecken — und ist sie dort nicht zu sehen, kann sie dennoch existiert haben, jedoch im Nachhinein vom reuigen Verfasser selbst gelöscht worden sein. Aber das sind nur technische Details.

Die größere Botschaft ist: Wir brauchen mehr Anleitung, mehr Ermunterung zum kritischen Denken im Allgemeinen — und zur Einschätzung von, zu gesundem Misstrauen in Quellen im Besonderen.

Immerhin: den aufgeklärteren Teilen der Netzgemeinde ist die Problematik wohlbekannt. Einer der beliebtesten Running Gags lautet: "Das Dumme an Zitaten aus dem Internet ist, dass man nie weiß, ob sie wahr sind.” Unterzeichnet ist das Bonmot von Leonardo da Vinci.

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