Sascha Lobo im Interview Digitale Zivilisierung ist Kopfsache

Düsseldorf · Der Internet-Experte und Autor Sascha Lobo spricht im Interview mit unserer Redaktion über seine Sorge um die Demokratie und darüber, warum das Smartphone für junge Menschen so wichtig ist.

 "Formen des Widerspruchs und Standpunkt-Zeigens sind ein wichtiger Teil davon, dass Zivilgesellschaft auch im Netz stattfinden soll": Sascha Lobo.

"Formen des Widerspruchs und Standpunkt-Zeigens sind ein wichtiger Teil davon, dass Zivilgesellschaft auch im Netz stattfinden soll": Sascha Lobo.

Foto: dpa, frg

Wenn man mit Leuten über Sascha Lobo sprechen möchte, sagen sie zunächst immer: Das ist doch der mit der Frisur! Ja, Lobo trägt immer noch seinen roten Irokesen, das ist sein Markenzeichen, aber außerdem ist er Blogger, Autor und Deutschlands vielleicht bester Internet-Erklärer. Am Sonntag wird er auf Einladung des Düsseldorfer Schauspielhauses und der Rheinischen Post im Central sprechen. Er möchte einen "Vorschlag zur Aufrechterhaltung der liberalen Demokratie im 21. Jahrhundert" unterbreiten.

Die AfD ist bei den Landtagswahlen im Saarland unter den Erwartungen geblieben. Und Donald Trump bekommt in den USA kaum einen Fuß auf den Boden, weil er von den Gerichten ausgebremst wird. Hilft sich die Demokratie womöglich schon selbst aus der Patsche?

Lobo Das ist zwar eine Hoffnung, die man haben kann. Aber mir geht es darum, dass wir weltweit Entwicklungen beobachten können, die besorgniserregend sind für die liberale Demokratie. Dass Trump keinen Fuß auf den Boden bekommt, kann man so beim besten Willen nicht sagen. Er ist Präsident geworden, das ist gerade mal ein paar Monate her. Jetzt gibt es natürlich die in den USA üblichen systemischen Checks and Balances . . .

. . . die gegenseitige Kontrolle der Staatsorgane . . .

Lobo . . . mit denen versucht werden kann, ihn im Zaum zu halten. Aber man konnte dort in den vergangenen Monaten mehrere Attacken auf die Demokratie und deren Kontrollinstrumente selbst beobachten. Trump scheint freihändig außerhalb der demokratischen Leitlinien zu agieren. Und auf Deutschland bezogen möchte ich meine Sorge nicht nur an AfD-Wahlergebnissen festmachen. Natürlich ist das ein Indikator, ein Symptom - aber nicht das einzige.

Was sind andere Indikatoren?

LobO Es gibt ein dramatisches Misstrauen gegenüber Institutionen, gegen klassische redaktionelle Medien, sowohl öffentliche wie auch private, es gibt in Teilen einen Verlust an Grundvertrauen in die Demokratie selbst, und das ist alles andere als exklusiv rechts, es zieht sich quer durch die politischen Lager. Und es ist so weit verbreitet, dass das eine Gefahr sein kann.

Mit welchen Mitteln können wir das Vertrauen wieder stärken?

Lobo Ich glaube zum Beispiel, dass wir eine neue Form von politischer Debatte benötigen. Und wir brauchen eine ganze Reihe von Ansätzen, um zeitgemäße politische Bildung zu stärken - etwa, wenn sie in sozialen Medien stattfindet. Es gibt die Bundeszentrale für politische Bildung, und die soll auch ihre Arbeit weitermachen. Aber ich glaube, dass man in dieser Richtung noch stark ergänzend tätig sein muss, und zwar nicht nur staatlich und steuerlich finanziert, sondern auch zivilgesellschaftlich.

Welche Schuld trägt das Internet an der Misere?

Lobo Schuld ist der falsche Begriff, man könnte vielleicht Mitverantwortung sagen. Aber auch damit macht man es sich ein bisschen einfach, denn das Internet ist in diesem Kontext gar nicht mehr von der Gesellschaft zu trennen. Wir erleben eine Wechselwirkung zwischen digitaler sozialer Vernetzung und gesellschaftlichen Phänomenen. Über die sozialen Medien können Stimmungen definitiv erzeugt werden, die auch eine soziale Wirkung haben. Das ist unbestritten. Und diese Stimmungen, die auch noch durch eine Wechselwirkung zwischen sozialen und redaktionellen Medien verstärkt werden, haben dazu beigetragen, dass zum Beispiel Trump gewählt wurde und die AfD in verschiedene Landtage gespült worden ist. Mich interessiert, auf welche Weise so etwas geschieht, und dazu schaue ich in die sozialen Medien, weil man den Menschen dort beim Verfertigen von Gedanken und Gefühlen direkt in die Köpfe schauen und zusehen kann, wie sie politisch agieren und argumentieren.

Also offenbaren soziale Medien, welche Vorurteile und Ressentiments ohnehin schon in den Menschen schlummern?

Lobo Sie sind Katalysator und Indikator, sowohl verstärken als auch zeigen sie etwas, das schon vorher da war. Es gibt das sogenannte "Overton Window", das die Bandbreite des in der Öffentlichkeit noch Sagbaren skizziert, ohne dass man etwa sanktioniert wird. Dieses Fenster des noch Sagbaren kann über soziale Medien verschoben werden. Mit dieser Verschiebung findet das, was vorher schon da war, schneller den Weg heraus. Und zwar nicht nur in Form von Worten, sondern auch von Taten. Früher hat man etwas betrunken am Stammtisch gesagt, und es haben fünf Leute gehört, die auch betrunken waren. Jetzt sagt man etwas in öffentlich nachvollziehbaren Sphären, nämlich den sozialen Medien.

Früher ist man auf die Straße gegangen, wenn man sich für oder gegen etwas einsetzen wollte. Muss heute viel stärker im Netz protestiert werden?

Lobo Formen des Widerspruchs und Standpunkt-Zeigens sind ein wichtiger Teil davon, dass Zivilgesellschaft auch im Netz stattfinden soll. Es gibt etwa die Methode der "Counterspeech", der Gegenrede, also zu widersprechen, aber das nach bestimmten Regeln zu tun: zum Beispiel nicht zu harsch, höflich und mit Fakten unterlegt, und diese Mechanik scheint tatsächlich gut zu funktionieren.

Sie haben neulich in einer Kolumne eine Digitalversion der Zivilisierung gefordert. Brauchen wir stärkere Regeln? Sollten manche Internetseiten einfach gesperrt werden?

Lobo Netzsperren sind ein falscher, gefährlicher Weg. Aber ich glaube, dass der Ansatz, gesetzlich vorzugehen, nicht völlig falsch ist. Man kann jedoch nicht so tun, als seien alle Probleme gelöst, wenn erst einmal das richtige Gesetz erlassen ist. Nicht-gesetzliche Maßnahmen sollten im Vordergrund stehen, die digitale Zivilisierung muss in den Köpfen stattfinden. Das ist natürlich schwerer und dauert länger. Man könnte damit beginnen, über ein Schulfach Interneterziehung nachzudenken oder über ein echtes digitales Äquivalent zur Volkshochschule.

Hat uns das Netz in den vergangenen Jahren gelehrt, dass die totale Verfügbarkeit auch nicht das Richtige ist?

Lobo Die Diskussion, ob man rund um die Uhr in Bereitschaft sein muss, gab es schon oft, zum Beispiel bei der Einführung des Smartphones. Damals hieß es: "Ich möchte aber nicht ständig erreichbar sein!" Dann kann man es ja ausschalten oder nicht rangehen. Ähnlich ist es mit dem Internet. Wenn man einen normalen Job hat, in dem einen der Chef zwingt, auch samstags seine E-Mails zu lesen, dann läuft etwas ganz grundsätzlich schief. Das kann man nicht aufs Internet schieben. Unabhängig davon muss man aber lernen, mit den digitalen Instrumenten richtig umzugehen, das heißt, auch zu lernen, wann man sie nicht benutzt. Zugleich muss man auch zugestehen, dass das Smartphone für Menschen zwischen zehn und 25 Jahren heute der soziale und kulturelle Lebensmittelpunkt ist. Wenn der komplette Freundeskreis zu einem substanziellen Teil im Smartphone stattfindet, fühlt es sich wie eine Kastration an, wenn man es nicht benutzen kann.

Gibt es ein Alter, bis zu dem man Kinder damit in Ruhe lassen sollte? Braucht ein Achtjähriger schon ein Smartphone?

Lobo Ich kann und möchte hier keinen verbindlichen Ratschlag geben. Ich würde eher an die Eltern appellieren zu erkennen, dass sich etwas stark verschoben hat. Früher war für sie ein Computer vielleicht ein Spiel- oder ein Arbeitsgerät, inzwischen ist es aber auch und vor allem ein soziales Gerät. Bei jungen Menschen ist die digitale Sphäre mittlerweile essenziell für die eigene Entwicklung. Dass man in einem gewissen Alter dann zur exzessiven Nutzung neigt, ist wohl eher kinderimmanent als digitalimmanent.

KLAS LIBUDA FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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