Digitalisierung und die Globalisierung Die Kehrseite der entfesselten Technologien

Düsseldorf · Globalisierung und Digitalisierung haben die Welt beschleunigt. Dem rasanten Tempo aus Asien und den USA scheint Europa vielfach nicht gewachsen. Doch die Probleme bei Intel & Co. zeigen: Manchmal ist das auch gut so.

 Mikroprozessoren haben unsere Welt massiv verändert (Symbolbild).

Mikroprozessoren haben unsere Welt massiv verändert (Symbolbild).

Foto: dpa

Vielleicht war es Neugier, der Wunsch nach Größe, vielleicht auch nur Selbstüberschätzung, die ihn dazu bewog, die Kräfte des Besens zu entfesseln. "Bist schon lange Knecht gewesen, nun erfülle meinen Willen", heißt es in Johann Wolfgang von Goethes "Zauberlehrling". Das Ende vom Lied ist bekannt: Chaos.

Das Gedicht ist mehr als 200 Jahre alt und hat doch nichts an Relevanz eingebüßt: Es geht um die Entfesselung von Kräften, die der Mensch am Ende nicht beherrschen kann. Früher nannte man das Zauberei, heute Technologie.

Ihre Komplexität hat inzwischen ein Niveau erreicht, das viele Menschen offenbar überfordert. Die Digitalisierung und die Globalisierung haben die Welt in den vergangenen Jahrzehnten beschleunigt, in vielen Teilen verbessert, aber auch dafür gesorgt, dass Probleme zunehmend, sich potenzieren und buchstäblich grenzenlos auftreten.

Werden wir die Geister, die wir riefen, nicht mehr los?

War es in der Ballade vom Zauberlehrling lediglich ein Besen, der Wasser holen sollte, sind es heute Milliarden Computer, die in unserer Welt das moderne digitale Leben ermöglichen. Doch genau wie im Zauberlehrling scheint es, als würden wir die Geister, die wir riefen, nicht mehr los.

Am 6. Mai 2010 stürzten Börsenkurse in den USA urplötzlich rasant ab, weil die Algorithmen der Handelscomputer außer Kontrolle gerieten. Es sollte nicht das letzte Mal sein, denn längst bestimmt komplexe Software das Auf und Ab der Kurse und nicht mehr Anzug tragende Händler auf dem Parkett.

Im vergangenen Jahr war es das Schadprogramm Wannacry, das sich rasend schnell weltweit verbreitete, Rechner infizierte und lahmlegte. In Großbritannien befiel das Programm mehrere Computer des nationalen Gesundheitssystems. Viele Kranke mussten kurzfristig in anderen Kliniken untergebracht werden.

Und aktuell zeigen die massiven Sicherheitslücken bei Computerchips die globalen Folgen von Technologie-Versagen. Im Bemühen, immer schnellere Prozessoren für Computer, Smartphones und Tablets zu bauen, haben Hersteller wie Intel & Co. offenbar eine Technik erschaffen, deren Sicherheit sie nicht länger garantieren können.

Der Fall zeigt die Janusköpfigkeit der Digitalisierung, die Fluch und Segen zugleich zu sein scheint: Neue Technologien machen unser Leben leichter, führen aber oft auch zu gewaltigen Problemen - und diese haben vielfach ihren Ursprung in den USA, wo Unternehmen (so scheint es jedenfalls) häufig lieber auf Geschwindigkeit als auf Sicherheit setzen. Facebook, Tesla, Uber und Co. besetzen erst mal Märkte, bevor sie sich über die Folgen ihrer Technik Gedanken machen. Deutsche Unternehmen hingegen wirken oft zögerlich und schwerfällig - und drohen genau deswegen hier und da den Anschluss zu verlieren.

Wer nach Gründen für diese Geisteshaltung sucht, landet schnell auch in der Geschichte, immerhin verbanden viele Siedler mit dem amerikanischen Kontinent nicht nur die Hoffnung auf ein besseres Leben, sondern auch den Wunsch, etwas völlig Neues, Besseres zu erschaffen. Gen Westen ziehend, verschoben sie Stück für Stück die Grenze und eroberten das Land - Rückschläge inbegriffen.

Der Wunsch nach dem Neuem und Besseren

Bis heute hat diese Kultur bei vielen Technologie-Unternehmen überlebt, was der US-Wirtschaft bis heute ihre große Dynamik verleiht. Sie preschen lieber schnell nach vorne und scheitern ein paar Mal, als das Feld anderen zu überlassen. Der Elektroautobauer Tesla schaltete ein nicht ausgereiftes System zum teilautonomen Fahren frei und suggerierte, dass der "Autopilot" die Kontrolle behalten würde. Ein Unfall mit Todesfolge zeigte: Er tat es nicht immer. Das kalifornische Start-up Uber griff weltweit mit seinen privaten Chauffeur-Diensten das Taxi-Gewerbe an, obwohl es dabei vielfach gegen geltendes Recht verstieß. Facebook und Co. transferierten Daten europäischer Kunden so lange in die USA, bis ein Datenschützer sie mit einer Klage stoppte.

Vorpreschen, Fakten schaffen und, wenn man auffliegt, Demut zeigen - mit dieser Strategie haben US-Digitalkonzerne große Teile der Welt erobert. Schon ist vom "digitalen Darwinismus" die Rede, davon, dass die Veränderungen durch die Digitalisierung in einer so rasanten Geschwindigkeit ablaufen werden, dass viele etablierte Firmen sich nicht schnell genug anpassen können. Denn die Angreifer kommen ja nicht nur aus den USA, sondern immer häufiger auch aus China, dem anderen Land mit dem Anspruch einer Weltmacht-Rolle.

Dem rasanten Tempo aus Asien und den USA scheint Europa vielfach nicht mehr gewachsen. Über Jahrhunderte wurden Kriege geführt, ohne dass dauerhaft eine Großmacht entstand. Die Vielstaaterei hat dazu geführt, dass nicht die Expansion, sondern die Effizienz zum Leitmotiv wurde. Während US-Unternehmen auf Ausdehnung setzten, wurde Deutschland zum Land der Optimierer.

Ingenieurtechnische Meisterleistungen haben das Label "Made in Germany" berühmt gemacht. Den Aktienindex Dax dominieren Konzerne, die sich auf komplexe Produkte spezialisiert haben: Daimler, BMW und Continental (Auto), Siemens, Fresenius (Medizintechnik) oder auch Bayer, BASF, Henkel, Merck (Chemie und Pharma). Gleichzeitig sind dadurch Technologie-Bereiche entstanden, bei denen es auf Schnelligkeit ankommt, in denen deutsche oder europäische Firmen weltweit kaum noch eine Rolle spielen - zum Beispiel bei der Softwareentwicklung.

Viele deutsche Unternehmen versuchen momentan, sich dem Tempo der Start-ups anzupassen. Grundsätzlich ist das richtig und notwendig, doch sie sollten nicht übertreiben. Denn am Ende muss beim Zauberlehrling der alte Meister die Geister wieder in die Schranken weisen. Es ist eine Rolle, die am Ende auch zu manchem deutschen Konzern aufgrund seiner Fähigkeiten besser passen könnte.

(frin)
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