Timeline und Co Facebook will uns ganz

Los Angeles (RPO). Mark Zuckerberg hat auf der Gründerkonferenz F8 seine Pläne für das Facebook von morgen vorgestellt. Seine Vision zielt auf die komplette Vereinnahmung des Soziallebens seiner Nutzer ab. In der digitalen Kommunikation ist das Netzwerk bereits für Millionen zentraler Knotenpunkt. Zwei grundlegende Neuerungen sollen das nun erweitern.

2011: Mark Zuckerberg stellt "Timeline" vor
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2011: Mark Zuckerberg stellt "Timeline" vor

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Facebook ist unter Druck. Der große Erfolg von Google+ und das zeitgleich erlahmende Interesse eigener Mitglieder hat das Unternehmen angespornt, sich herauszuputzen. Auf der Entwicklerkonferenz F8 in San Francisco kündigte Mastermind Mark Zuckerberg nun Neuerungen, die das Gesicht von Facebook radikal verändern dürften. "Es ist eine neue Art zu zeigen, wer du bist", sagt Zuckerberg.

Das alles überlagende Ziel: Facebook soll das Leben seiner Nutzer noch besser erfassen. Dazu will Zuckerberg das Netzwerke um grundlegende soziale Elemente erweitern. Bislang war sie für inzwischen 800 Millionen Nutzer in erster Linie eine Kommunikationsplattform zum Austausch mit Freunden und Bekannten. Jetzt soll auf Facebook noch mehr vom Leben in der digitalen Welt stattfinden. Zuckerberg will sein Portal zum Vertriebskanal für Musik, Fernsehen, Filme und auch Nachrichten machen.

Facebook wird zum Medienportal

Die Idee ist simpel und größenwahnsinnig zugleich: Facebook soll demnächst das nahezu komplette Verhalten seiner User im Netz erfassen und in einer Art Ticker dokumentieren. Dort ist chronologisch nachzulesen, wann der Nutzer welche Musik gehört hat, wo welche Nachrichten gelesen, welche Spiele gespielt, welche Filme gesehen hat.

Das Ganze ist natürlich auch live zu beobachten. In den Profilen der Nutzer werden laufend die Aktivitäten aus verschiedensten Anwendungen angezeigt. Und zwar ohne, dass der Nutzer diese aktiv teilen muss. Klickt man auf die Aktivität eines Freundes, kann das etwa automatisch zu einer Anmeldung für eine Gratisprobeversion von Musikdiensten wie Spotify oder Rhapsody führen, wenn diese im Nutzerland aktiv sind. Facebook wird damit zum Medienportal.

Schon jetzt zählt Mediennutzung zu den wichtigsten Indikatoren für soziales Verhalten. Facebook aber packt noch etwas dazu: Es organisiert, man könnte auch sagen suggeriert ein gemeinsames Erleben, in dem es die Möglichkeit schafft, sich in den Song, den Film, das Verhalten synchron einzuklinken. Partizipieren mehrere Nutzer an einer Sache, schafft es das gemeinsame "Happening" aus dem im Hintergrund ausgespielten Ticker in den Stream der Haupt-Mitteilungen.

Neuerung Nr. 2: die "timeline"

Neben der Neuerfindung als Medienportal gibt es noch eine zweite zentrale Neuerung: Die sogenannte "timeline". Sie soll - so die Vorstellung von Zuckerberg - das gesamte Leben der Facebook-Nutzer umfassen. Über die an ein Sammelalbum erinnernde Funktion können online die wichtigsten Fotos und Texte hinterlegt werden, die die Facebook-Nutzer über die Jahre miteinander geteilt haben. Sie sollen das Profil und die Persönlichkeit des Nutzers noch greifbarer machen. Am Ende steht das alles umfassende Tagebuch - wenn der User es denn zulässt und füttert.

Bisher verschwanden alte Postings mit der Zeit aus dem Profil der Nutzer. Die profane Mitteilung über das Frühstück vom Morgen konnte die doch aus Sicht des Nutzers viel wichtigere Nachricht über den gefundenen Traumjob oder die Geburt des Sohnes verdrängen und von der Seitee schubsen. Nun aber, so schwärmt das Unternehmen in seinem Blog, lassen sich die Dinge gewichten.

Völlig neue Optik

Dies geschieht in einer ganz neuen Optik. Das Profil von morgen ist durch Bilder bestimmt, zum Teil sogar sehr große, die die halbe Breite der Seite einnehmen. Oftmals wurden schon Vergleiche mit einem Magazin gezogen. Der Nutzer kann ältere Mitteilungen, Filme oder Bilder wahlweise zu seiner Profilseite hinzufügen und die Dinge dort gewichten, kleiner machen, größer machen oder doch lieber wieder verstecken. In einem Video auf youtube hat Facebbook die Neuerungen anschaulich demonstriert.

Firmen sehen damit - mehr noch als zuvor - große Potenziale für Marketing im Internet. Zu wissen, dass ein Freund einen Film gesehen hat, animiere den Nutzer viel mehr, diesen ebenfalls zu sehen, als die firmeneigene Werbung, sagte der Chef des Online-Filmdienstes Netflix, Reed Hastings. So wie die Einbindung von Netflix in das neue Facebook werden auch einige andere Neuerungen in Deutschland nicht oder noch nicht angeboten.

Doch die Datenkrake

Die Reaktionen im Netz sind bislang recht unterschiedlich. Viele Blogger, die sich eingehend mit der Entwicklung sozialer Netzwerke befassen, trauen Facebook zu, damit den nächsten großen Schritt gemacht zu haben. Beeindruckend finden sie die Geschwindigkeit und gestalterische Kraft, in der das Unternehmen auf die Konkurrenz und ersten Anzeichen einer möglichen Krise reagiert hat. "Sehr clever. Und Google+ sieht plötzlich ziemlich alt aus", schreibt etwa der Netz-Ökonom der FAZ. "Merci Facebook", heißt es bei dem Social-Media-Experten Thomas Hutter, der sich überzeugt zeigt, dass die meisten Nutzer die Neuerungen schnell akzeptieren werden.

Andere zeigen sich besorgt und sehen den Vorwurf an Facebook, eine Datenkrake zu sein, bestätigt. "So beeindruckend und schick das neue Gesamtlayout von Facebook mit der Profilseite, der Timeline, dem Live-Ticker und den diversen App-Integrationen auch sein mag - es ist wieder ein Schritt mehr in Richtung völliger Kontrolle", heißt es im Blog lifesoundsreal.com.

Deutschlands oberster Datenschützer warnt Internetnutzer vor den neuesten Funktionen, allen voran der sogenannten Timeline. "Jeder sollte sich bewusst sein, dass einmal eingetragene Daten der eigenen Kontrolle entzogen werden", sagte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar am Freitag. "Einstellungen, die persönlichste Daten automatisch veröffentlichen, haben in der Vergangenheit wiederholt zu Verletzungen der Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer geführt."

Die Nutzer sollten sich Schaar zufolge "ernsthaft überlegen, ob sie die Geschichte ihres Lebens, wie von Herrn Zuckerberg vorgeschlagen, auf Facebook erfassen lassen".

Mit Material von apd

(apd/pst)
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