Analyse Fakebook

Düsseldorf · Ein Flüchtling wird bei Facebook als Terrorist bezeichnet. Die Nachricht verbreitet sich im Internet, ist aber falsch. Vor Gericht geht es um die Frage, wer dafür die Verantwortung trägt - und wie aus Facebook Fakebook wird.

Analyse: Fakebook
Foto: rtr, RD/JS

Anas Modamani war erst einen Monat in Deutschland, als ein Foto ihn berühmt machte: ein Selfie mit Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin war am 10. September 2015 zu Besuch in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Berlin. Es war die Zeit, in der Deutschland weltweit für seine Willkommenskultur bewundert wurde. Modamani hätte ein Beispiel dafür sein können, dass Integration funktioniert: Der 19-Jährige hat schnell Deutsch gelernt, will bald studieren. Stattdessen wurde er ein Beispiel, wie Soziale Netzwerke zum Verbreiten von Falschmeldungen genutzt werden.

Weil der Syrer auf Fotomontagen zum Straftäter und Terroristen gemacht wurde, verklagte er Facebook. Ihm reicht es nicht, dass Fotos nach Beschwerden entfernt werden. Er will mit seinem Anwalt Chan Jo Jun erreichen, dass Facebook von sich aus aktiv wird, das heißt Beiträge aufspürt und entfernt. Gestern wurde der Fall in Würzburg vor Gericht verhandelt - die Entscheidung jedoch vertagt.

So wie das Foto um die Welt ging, sorgt auch dieser Fall weltweit für Schlagzeilen: Es geht um die Frage, welche Verantwortung das größte soziale Netzwerk der Welt, Facebook, für die Inhalte übernehmen muss, die Nutzer über die Seite verbreiten?

Man habe bereits alle Inhalte entfernt, die Modamanis Anwalt beanstandet hätte, teilt Facebook mit. Schadenersatz will man nicht zahlen. Facebooks Anwälte verwiesen darauf, dass ein Filtern sämtlicher neuer Bilder und Inhalte erheblichen Aufwand erfordere. Vor Gericht deutete der Facebook-Anwalt Martin Munz aber immerhin an, dass er sich vorstellen könne, dass Facebook die Beiträge europaweit löscht, statt sie - wie bislang - nur zu blocken. Ein Unternehmenssprecher sagte: "Wir glauben nicht, dass ein Gerichtsstreit hier nötig oder der effizienteste Weg ist, um diese Situation zu lösen." Die Vergangenheit zeigt jedoch, dass die Internet-Konzerne häufig erheblichen Druck benötigen, um zum Einlenken bewegt zu werden:

Der Österreicher Max Schrems musste als Student gegen Facebook klagen, um seine persönlichen Daten einsehen zu können. Er setzte sich durch.

Ex-Motorsport-Präsident Max Mosley lieferte sich mit dem Suchmaschinen-Betreiber Google einen Rechtsstreit, damit private Bilder, die ihn in einer kompromittierenden Situation zeigen, aus den Suchergebnissen gelöscht werden. Am Ende einigten sich die beiden Parteien außergerichtlich. Die Bilder sind seitdem verschwunden.

Druck wuchs nach der US-Wahl

Auch das zuletzt abgegebene Bekenntnis von Facebook, stärker gegen Falschmeldungen im Netz vorgehen zu wollen, kam erst, nachdem nach der US-Wahl der öffentliche Druck stieg. Es stand die Frage im Raum, inwieweit Falschmeldungen die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA begünstigt hatten - und welche Rolle sie bei bevorstehenden Wahlen wie der Bundestagswahl im Herbst in Deutschland spielen könnten?

Facebook beugte sich dem Druck, zumindest ein bisschen. Gestern gab das Unternehmen bekannt, wegen der bevorstehenden Präsidentenwahlen in Frankreich mit Nachrichtenorganisationen gegen Falschmeldungen vorgehen zu wollen. Auch in Deutschland, wo im September der Bundestag gewählt wird, hat Facebook jüngst ein schärferes Vorgehen angekündigt. Hier soll etwa das Recherchezentrum Correctiv von Nutzern gemeldete Inhalte prüfen. Demnächst soll es außerdem die Möglichkeit geben, als Privatperson leichter Falschmeldungen zu markieren und diese an Facebook zu melden.

Oft verweist die Branche auf die Meinungsfreiheit, wenn es darum geht, das zögerliche Vorgehen zu rechtfertigen. "Rechtsstaatliche Prinzipien und das hohe Gut der Meinungsfreiheit müssen geschützt werden", sagte etwa zuletzt Bernhard Rohleder, Geschäftsführer des IT-Branchenverbands Bitkom. Die Lobbyisten fordern stattdessen mehr Medienkompetenz für die Nutzer und warnen vor Zensur - immerhin sind nach einer repräsentativen Umfrage des Verbands zwei von drei Nutzern in den vergangenen zwölf Monaten mit Falschmeldungen bei klassischen Medien oder in sozialen Netzwerken konfrontiert worden. So verbreitete sich bei Facebook zuletzt beispielsweise ein Beitrag, in dem die Grünen-Politikerin Renate Künast in Bezug auf einen mutmaßlichen Mörder mit dem Satz zitiert wurde: "Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen." Als Quelle wurde die "Süddeutsche Zeitung" genannt - Künast hat diesen Satz nie gesagt, die Zeitung ihn nie gedruckt.

Beim Bitkom sieht man einen Unterschied zwischen Presseerzeugnissen wie Zeitungen und Internet-Plattformen wie Facebook. Während es für Erstere eine Selbstverpflichtung, den Presse-Kodex, gibt, in dem man die Achtung der Wahrheit verspricht, gibt es letzteres für Netzwerke nicht - und die Gemeinschaftsstandards von Facebook sind beispielsweise wenig transparent.

Braucht es eine "Wundermaschine"

Vielleicht gibt es auch einen anderen Grund, warum die Unternehmen so zögerlich gegen Falschmeldungen vorgehen: Emotionen sind gut für das Geschäft. Je mehr die Leute auf Beiträge klicken und diese teilen, desto länger bleiben sie auf der Plattform - und desto höher steigen die Werbeeinnahmen. Der Umsatz von Facebook stieg 2016 im Jahresvergleich um 51 Prozent auf 8,81 Milliarden Dollar (8,2 Mrd. Euro). 8,63 Milliarden Dollar stammen davon aus Werbeeinnahmen. Der Gewinn wurde mit 3,57 Milliarden Dollar sogar mehr als verdoppelt.

Laut Facebook-Anwalt Munz gibt es hingegen eine ganz einfach, technische Erklärung: Um all die Beiträge zu erkennen und zu filtern, bräuchte es eine "Wundermaschine", doch die gebe es noch nicht. Erstaunlich ist allerdings: Wenn es zum Beispiel um nackte weibliche Brüste geht, funktionieren Facebooks Filter-Mechanismen sehr gut.

(frin)
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