Neue Wikileaks-Enthüllungen Gaddafi soll Briten unter Druck gesetzt haben

Stockholm/Zürich (RPO). Wie zum Trotz hat die Enthüllungsplattform Wikileaks nach der Festnahme des Gründers Julian Assange einen ganzen Schwung an bislang geheimen Depeschen im Internet veröffentlicht. Daraus geht unter anderem hervor, dass der libysche Machthaber Gaddafi die britische Regierung massiv unter Druck gesetzt habe, um die Freilassung des Lockerbie-Attentäters Abdel Basset al-Megrahi zu erreichen.

Festnahme von Wikileaks-Gründer Julian Assange
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"Wir lassen uns nicht knebeln, weder durch juristische Mittel, noch durch die Unternehmen, die Zensur durchführen. Wikileaks ist noch immer online", erklärte Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson am Mittwoch über den Kurznachrichtendienst Twitter.

"Der neueste Schub an Depeschen wurde veröffentlicht und unsere Medienpartner haben ihren nächsten Satz an Geschichten ebenfalls veröffentlicht", erklärte Hrafnsson. "Kopien der vollständigen Seite liegen an über 500 Orten verteilt. Jeden Tag werden die Depeschen über 50 Millionen mal (herunter-)geladen."

Der 39-jährige Assange hatte sich am Dienstag in London der Polizei gestellt, nachdem Schweden nach ihm wegen der Vergewaltigungsvorwürfe weltweit fahnden ließ. Er verteidigte in einem am Mittwoch in der Tageszeitung "The Australian" veröffentlichten Beitrag die Arbeit der Enthüllungsplattform. Wikileaks sei wichtiger denn je und Menschenleben seien mit der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente nicht in Gefahr gebracht worden.

Libyen übte Druck auf Briten aus

Aus den US-Dokumenten, die nun auf Wikileaks veröffentlicht wurden, geht unter anderem hervor, dass die britische Regierung im Vorfeld der umstrittenen Freilassung des Lockerbie-Attentäters offenbar stärker von Libyen unter Druck gesetzt wurde, als bislang bekannt.

Der libysche Machthaber Muammar Gaddafi habe gedroht, die Handelsbeziehungen zu Großbritannien abzubrechen und vor enormen Konsequenzen gewarnt, falls al-Megrahi in britischer Haft sterben sollte, berichtete der "Guardian" am Mittwoch unter Berufung auf US-Depeschen, die das Enthüllungsportal WikiLeaks veröffentlichte.

Al-Megrahi war wegen der Beteiligung am Lockerbie-Anschlag zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die schottischen Behörden ließen ihn jedoch im August 2009 frei, weil er an Prostata-Krebs litt und angeblich nur noch wenige Monate zu leben hatte.

Die Freilassung sorgte in den USA für Ärger, da 189 der 270 Opfer des Attentats aus den USA stammten. Ziel des Anschlags war ein Verkehrsflugzeug der amerikanischen Fluggesellschaft Pan Am. Das Flugzeug stürzte 1988 nach einer Explosion über Schottland ab. Zweifel an den wahren Gründen der Entlassung al-Megrahis löste auch die Tatsache aus, dass er bis heute am Leben ist.

Den US-Depeschen zufolge unterschätzte die schottische Regierung die diplomatischen Folgen der Freilassung, die einen Aufschrei der Empörung in den USA und Großbritannien auslöste. Sowohl der damalige britische Justizminister Jack Straw als auch der schottische Regierungschef Alex Salmond bekräftigten unterdessen frühere Aussagen, wonach der libysche Druck keine Rolle bei der Freilassung gespielt habe. Die Entscheidung sei von der schottischen Regierung und niemand anderem getroffen worden, sagten sie in einem BBC-Interview.

Hackerangriffe von Assange-Anhängern

Die Unterstützer von Julian Assange schlugen indessen am Mittwoch zurück: Die Internetseite von Mastercard ist derzeit nicht mehr erreichbar, Grund dafür soll eine Hacker-Attacke von Wikileaks-Befürwortern sein.

Der Internetblog Techcrunch schreibt, dass sich die anonyme Gruppe "Operation Payback" ("Operation Rache") zu dem Hacker-Angriff bekannt hat. Sie organisiert ihre Unterstützung für die Plattform und Wikileaks-Gründer Julian Assange im Internet, unter anderem bei Twitter und Facebook. Auslöser für den Zusammenbruch war demnach eine sogenannte DDOS-Attacke, die zum Beispiel durch eine Überlastung des Servers ausgelöst werden kann.

Ein Mastercard-Sprecher wollte nicht bestätigen, dass es sich um einen Hackerangriff handelte. Mastercard hatte zuvor alle Kreditkartenzahlungen an das Wikileaks-Portal eingestellt, das sich über Spenden finanziert.

Nach der Verhaftung des Wikileaks-Gründers wegen Vergewaltigungsvorwürfen griffen Unbekannte bereits den Internetauftritt und das E-Mail-System des schwedischen Anwalts an, der die Klägerinnen in dem Fall vertritt. Der Hacker-Angriff sei in der Nacht oder am frühen Morgen erfolgt, sagte Anwalt Claes Borgström am Mittwoch vor Journalisten in Stockholm. Er gehe davon aus, dass es sich bei den Angreifern um dieselben Personen handele, die bereits die Website der schwedischen Staatanwaltschaft attackiert hätten. Diese war am Dienstag Ziel einer Cyber-Attacke geworden, als Assange aufgrund eines schwedischen Haftbefehls verhaftet wurde.

Mögliche Ziele: Amazon und Visa

Zu den weiteren möglichen Zielen von Angriffen wird der US-Internetriese Amazon gezählt. Das Unternehmen hatte bannte Wikileaks von seinen Servern verbannt. Amazon warf Wikileaks eine Verletzung der Bestimmung vor, wonach alle Kundenwebseiten im Besitz der Nutzungsrechte jener Inhalte sein müssen, die auf der Seite veröffentlicht werden. Das sei bei den US-Geheimunterlagen nicht der Fall.

Auch der Kreditkartenkonzern Visa könnte in Gefahr sein: Er stellte inzwischen alle Zahlungen an Wikileaks ein. Das Unternehmen will nach eigenen Angaben zunächst prüfen, "ob die Tätigkeit von Wikileaks den Geschäftsbedingungen von Visa zuwiderläuft". Visa habe die Entscheidung ohne "jeglichen Druck einer Regierung" getroffen

Paypal und Postbank attackiert

Laut Panda Security wurde auch das US-Internet-Bezahlsystem Paypal Ziel von Angriffen, das nach der Veröffentlichung von Dokumenten des US-Außenministeriums Zahlungen an Wikileaks eingestellt hatte, sowie das Schweizer Finanzinstitut Postfinance, die Anfang der Woche ein Konto von Assange gesperrt hatte.

Postfinance bestätigte den Angriff auf Anfrage. Die Website sei weiter Ziel von Hacker-Angriffen und werde massenhaft mit sinnlosen Anfragen bombardiert, um sie zu blockieren, sagte ein Sprecher der Post-Tochter AFP am Mittwoch. Die "Operation Payback" habe am Montagabend nach der Schließung von Assanges Konto begonnen.

Danach hatte in dem Kurzmitteilungsdienst Twitter unter anderem eine Gruppe namens "Anon_Operation" zu Angriffen auf die Schweizer Postbank aufgerufen. Die Schweizer Piratenpartei, die Wikileaks nach der Verbannung von Servern in den USA unterstützt hatte, verurteilte die Angriffe in einer Erklärung.

(AFP/RTR/apd/top)
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