Hass im Internet Wie schützen wir Kinder vor Cybermobbing?

Düsseldorf · Über Smartphone und Computer sind Schüler bestens vernetzt. Doch dies hat auch Schattenseiten. Jeder fünfte wurde im Internet schon angefeindet. Fachleute sprechen von einer neuen Form von Gewalt. Vier Jugendliche haben deshalb eine App für mehr Sicherheit im Netz entwickelt.

 Wie schützen wir Kinder vor Mobbing im Netz?

Wie schützen wir Kinder vor Mobbing im Netz?

Foto: dpa, obe fdt

Früher haben sich Verliebte oftmals Briefe geschrieben. Für die Essener Schülerin Gözde Yigen liegt das in weiter Ferne. Heute laufe das nun mal anders: laszive Fotos der Mädchen landen auf den Smartphones der Jungen. Diese würden ihre Freundinnen dazu anregen, um später vor den Kumpels mit der Freundin angeben zu können, erzählt die 20-Jährige.

Intime Nacktfotos bis hin zu pornografischen Bildern landen so bei Dritten. Für die betroffenen Mädchen ist das oft kaum zu ertragen. "Wer frisch verliebt ist, macht auch mal Unüberlegtes", sagt Gözde Yigen, die seit fünf Jahren als Medienscout Schüler in Köln, Düsseldorf und Essen über Cybermobbing informiert. Denn es nütze ja nichts, die neuen Kommunikationskanäle der Kids zu dämonisieren, sagt Yigen - viel wichtiger sei es, dass man den richtigen Umgang damit lerne.

Rasant, zeitlos und wunderbar innovativ

Das World Wide Web hat eine neue Form der Kommunikation in Gang gesetzt: rasant, zeitlos und wunderbar innovativ. Gruppenchats und Rundmails erhöhen den Absatzkanal, die Onlinekommunikation ist aus deutschen Büros, Wohnzimmern und erst recht den Klassenzimmern nicht mehr wegzudenken. Die sogenannten Digital Natives wachsen mit der virtuellen Revolution auf. Kaum verwunderlich also, dass das Eintrittsalter in die digitale Welt immer weiter sinkt. "Viele Grundschulkinder haben heute bereits ein Smartphone", weiß Peter Widlok von der Landesanstalt für Medien NRW. Das sei auch nicht weiter schlimm, nur gelte es Grenzen zu ziehen und aufzuklären.

Aber mit dem grenzenlosen Austausch von Nachrichten, Fotos und Videos über die sozialen Netzwerke und Messengerdienste wachsen nicht nur die Möglichkeiten. Im Internet gibt es auch eine neue Dimension von psychischer Gewalt. Jugendschützer sind alarmiert: Beinahe jeder fünfte Jugendliche in Deutschland ist bereits Opfer von Cybermobbing geworden. Wenigstens 34 Prozent der Teenager im Alter von 13 bis 18 Jahren kennen solche Fälle von Freunden und Verwandten, so das Ergebnis einer internationalen Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Aber auch Erwachsene sind den Angriffen in den sozialen Medien ausgesetzt.

Vier Jugendliche haben deshalb eine App für mehr Sicherheit im Netz entwickelt - auf Initiative der Europäischen Union. Im Entwicklerteam ist auch ein junges Computertalent aus Solingen. Die "Cyber-Mobbing-Erste-Hilfe"-App soll Jugendlichen, die im Netz diffamiert oder ausgeschlossen werden, Hilfe und Unterstützung bieten. Und zwar so, wie die jungen Medienkonsumenten auch angesprochen werden möchten: auf Augenhöhe, via kurzen, knackigen Clips. Zwar ist das Internet kein Neuland mehr, aber der Bedarf für Werkzeuge, die das Surfen im Internet sicherer machen, besteht.

Eine neue Form von Gewalt

Denn der Unterschied zur greifbaren Welt ist deutlich: Das Internet vergisst nicht, und in den Urlaub fährt es auch nicht - es ist ein geschlossener Raum, dem viele Opfer nicht entkommen können. "Cybermobbing ist eine neue Form von Gewalt, die die Grenzen des ,klassischen' Mobbings sprengt", sagt Kriminaldirektor Andreas Mayer, der für die Kriminalprävention der Länder und des Bundes zuständig ist. Das Internet biete Tätern eine offene Plattform ohne Autoritätspersonen, das senke die Hemmschwelle. Dabei ist den Tätern oft nicht bewusst, wie nachhaltig sie ihre Mitschüler verletzen, und das ganz ohne Blickkontakt. 2013 nahm sich eine 17-jährige Kanadierin das Leben, ein Jahr zuvor beging der damals 20 Jahre alte Niederländer Tim Ribberink Selbstmord.

Am häufigsten würden Mobbingopfer im Internet beleidigt, erzählt Jan Schönfeld, der seit sieben Jahren als Medienscout durch NRW zieht. Das hat auch eine breit angelegte Studie des Bündnisses gegen Cyberkriminalität ergeben. Aber auch Bildrechte würden verletzt. "Jemand schießt in der Schule ein Foto von dir und bearbeitet es dann so, dass du bloßgestellt wirst", berichtet Jan Schönfeld. Dann würden die kompromittierenden Fotos im weltweiten Netzwerk verbreitet. Bis hin zum sogenannten Happy Slapping: Die Opfer werden vor laufender Handykamera geschlagen, die Videos später im Netz Hohn und Spott ausgesetzt.

Kindlicher Leichtsinn

Die Hauptverantwortung, Kinder vor den Gefahren der digitalen Welt zu schützen, liege bei den Eltern, sagt Peter Widlok. Aber auch Lehrer seien gefragt. Doch wird es immer schwieriger, die Internetnutzung der Jugendlichen zu beobachten. Bereits 92 Prozent der Zwölf bis 19-Jährigen surfen auch zwischendurch und unterwegs - bequem per Smartphone, so das Ergebnis einer Langzeitstudie der südwestdeutschen Medienanstalten. Medienpädagogin Stefanie Rack der EU-Initiative "klicksafe" fordert daher ein eigenes Fach zur Medienkompetenz. Mit der Fülle der neuen Medien seien auch Digital Natives zwangsläufig überfordert. Das zeige sich etwa darin, wie leichtsinnig Kinder und Jugendliche ihre Daten im Netz verbreiten ließen.

Von einer Zugangssperre halten Medienexperten dennoch nichts. Ein Smartphone könne man etwa auch für bestimmte Inhalte sperren. Problematisch seien jedoch die unterschiedlichen Rechtslagen der Länder. Zwar sei das Internet kein rechtsfreier Raum, jedoch können Kinder spielend leicht auf US-amerikanische Seiten gelangen, wo für Minderjährige weniger Inhalte gesperrt sind als in Deutschland, sagt Peter Widlok.

Die neue Form der verbalen Gewalt bleibt tückisch: "Jeder kann zum Opfer werden - auch die Coolsten der Klasse", erzählen die Medienscouts. "Hinter dem Computer kann man eine ganz andere Person sein, man ist anonym, setzt eine Maske auf", sagt Gözde Yigen. Im Netz würden sich ungebremst Dynamiken entwickeln, die sich in einer gefährlichen Strafzone bewegen würden. Umso wichtiger finden die Medienscouts, präventiv aufzuklären.

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