Debatte im Netz Muss denn #Neuland Shitstorm sein?

"Das Internet ist für uns alle Neuland", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und erntet Spott und Häme. Das Netz reagierte so zuverlässig wie ein Hund, dem man ein Stöckchen hinhält. Und gibt damit allen Kritikern Rückenwind.

Was ist passiert? Auslöser des jüngsten Hypes bei Twitter und Facebook ist ein Satz der Kanzlerin. Es ging während einer Pressekonferenz zusammen mit US-Präsident Barack Obama um das Spähprogramm Prism. Und Merkels Kommentierung "Das Internet ist für uns alle Neuland."

Twitter und Facebook reagierten vorhersehbar. Unter dem Hashtag "#Neuland" machten sich User über die Kanzlerin und ihre vermeintliche Unkenntnis des Internets lustig. Hunderte fanden es witzig, sich vorzustellen, die Kanzlerin sei tatsächlich gerade aus einer Steinzeit-Höhle gekommen. Passt ja. Konservativ, 58 Jahre alt, CDU, Herdprämienpolitik und lässt durch einen Regierungssprecher twittern.

Der Rest ist Netz-Dynamik. Besonderer Beliebtheit erfreute sich die Fotomontage, auf der Merkel als Kolumbus verspottet wurde. "So ähnlich müssen sich die Indianer gefühlt haben, als Kolumbus bei ihnen "Neuland" entdeckte", schrieb eine Twitternutzerin.

"Ich bin bloß mißtrauisch, weil das #Neuland schon bevölkert ist. Wieviele sind wir? Zwei Milliarden? Wahrscheinlich alles Terroristen", witzelte ein anderer Nutzer. Innerhalb von Minuten tauchte ein Twitterprofil unter dem Namen "NeulandInternet" auf, das Sätze wie "Wenn ich mal groß bin, will ich Kanzlerin von Neuland sein" ins Netz schickte.

"Das Internet ist für uns alle #Neuland" Eine deutsche Kanzlerin im Jahr 2013. Da steckt soviel Versagen, Ignoranz und Misswirtschaft drin

Am Tag darauf sprang auch Autovermieter Sixt auf. Er wirbt nun mit einem Bild von Merkel und dem Slogan "Für alle, die #Neuland entdecken wollen" bei Facebook für einen Geländewagen. Konzernchef Erich Sixt zeigte sich amüsiert über die Steilvorlage für seine Werbeagentur: "Damit können wir sehr viel anfangen." Der Mann ist übrigens zehn Jahre älter als Merkel.

Auch politische Gegner von Merkel versuchten, die Gelegenheit zu nutzen. "Also ich fühle mich in diesem #Neuland eigentlich meistens ganz wohl", twitterte Sigmar Gabriel. Der SPD-Vorsitzende hatte Twitter im Mai 2012 für sich entdeckt und beantwortet seitdem dort regelmäßig Bürgerfragen. Die Piratenpartei verbreitete als Antwort auf die Merkel-Bemerkung einen Link zu ihrem Wahlprogramm.

Doch provozierte der Fall #Neuland auch andere, kritische Reaktionen. Vielen stieß die gnadenlose Oberflächlichkeit der Witzig-Kampagne auf: "Genug über Neuland gelacht? Dann erklärt mir ihr Alleswisser doch mal fix den Euro-Rettungsfonds", schrieb ein Nutzer. Und ein anderer verteidigte die Kanzlerin: "So schnell, wie sich das Internet entwickelt, kann man im Netz fast jeden Tag wirklich Neuland betreten".

Auch in Blogs und klassischen Medien findet #Neuland Beachtung. Christian Jakubetz etwa fragt sich, ob "wir Netzbewohner nicht mal über unsere Umgangsformen nachdenken sollten, anstatt immer geich loszuquäken." Und Carsten Knop wähnt sich auf faz.net im #Neuland der Häme.

Ähnlich, nur schärfer im Ton, äußert sich auch Johannes Kuhn auf sueddeutsche.de. "#Neuland-Aufschrei im Spießer-Netz", betitelt er seine Kritik. Und weist mit Hilfe mehrerer Beispiel darauf hin, dass Merkel mit ihrer Einordnung in Wirklichkeit der Wahrheit näher kommt als so mancher Twitter-Feed. So beschränkt sich das Nutzungsverhalten der meisten Deutschen auf Surfen, Shoppen und Mailen. Die tiefergehenden technischen Möglichkeiten des Internets sind für sie vor allem: Neuland.

Auch ein zweiter Aspekt verdient aufgegriffen zu werden. Denn dass sich die neue, digitale Welt nicht reibungslos in die alte, analoge Welt einfügt, zeigen die endlosen Debatten über Eigentumsrechte, Persönlichkeitsschutz, Facebook-Fahndung durch Behörden oder nun auch auch Spionageprogramme von US-Sicherheitsdiensten. Dass nationales Recht im Umgang mit den neuen schrankenlosen Weiten des Internets oftmals überfordert ist und händeringend nach Lösungen sucht, wird die Politik noch lange beschäftigen. Für sie, den Staat und die Justiz ist die Konfrontation mit dem Netz vor allem: Neuland.

So griff auch Merkels Sprecher Steffen Seibert am Mittwochabend für seine Chefin in die Neuland-Diskussion ein: "Worum es der Kanzlerin geht - Das Internet ist rechtspolitisches Neuland, das spüren wir im polit. Handeln täglich", twitterte er.

Zur Neuland-Diskussion: Worum es der Kanzlerin geht - Das Internet ist rechtspolitisches Neuland, das spüren wir im polit. Handeln täglich.

Doch solche Feinheiten hat die Spott-Dynamik in #Neuland ignoriert. Bedauerlicherweise spielte dieser Shitstorm somit eher den Kritikern des Internets in die Hände, die ihm eine Kultur der Oberflächlichkeit und Massendynamik nachsagen, die differenzierte Diskussionen qua Technik ausschließt.

Mit Material von dpa

(pst)
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