Serie "Sense8" Mutantenstadl mit Startschwierigkeiten

Düsseldorf · Für die Serie "Sense8" um acht miteinander verbundene Mutanten haben sich die Wachowski-Geschwister ("Matrix") mit dem deutschen Regietalent Tom Tykwer und Serien-Genie J. Michael Straczynski zusammengetan. Das Ergebnis enttäuscht.

"Sense8": Zu viele Stars verderben den Serien-Brei
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Manchmal möchte man einfach etwas gut finden, redet es sich schön, hält sich selbst für überkritisch — und muss sich dann doch eingestehen, dass es über weite Strecken einfach nur zäh ist.

Das ist das Gefühl nach der ersten Staffel von "Sense8", der neuen Science-Fiction-Serie bei Netflix. Dahinter stehen mit Lana und Andy Wachowski zwei der kreativsten Köpfe Hollywoods, die mit der "Matrix"-Reihe das Kino revolutioniert haben. Dazu kommt J. Michael Straczynski, der vor 20 Jahren mit "Babylon 5" eine der besten Science-Fiction-Serien überhaupt geschaffen hat. Diese Drei haben Sense8 zusammen entwickelt — und dann noch den deutschen Ausnahme-Regisseur Tom Tykwer ("Lola rennt", "Das Parfum") mit ins Boot geholt. Was kann da schief gehen?

Leider sehr viel.

Sense8 dreht sich um acht über den Erdball verstreut lebende Menschen, die am selben Tag zur selben Zeit geboren worden sind. Zudem haben sie eine kleine Genmutation — und die ermöglicht es ihnen, über Tausende Kilometer hinweg in den Geist eines ihrer sieben "Gen-Geschwister" einzutauchen. Sie sehen, hören und fühlen, was der andere empfindet, können mit ihm in Kontakt treten, ihr Wissen teilen und auch den Körper des anderen übernehmen. In Ketten gelegt knackt so einer der Acht die Schlösser seiner Handschellen — weil es einer der anderen sieben kann.

Jeder Einzelne ist Teil eines großen Ganzen — nachdem sie alle in der ersten Folge von einer anderen "Mutantin" (Daryl Hannah) erweckt worden sind. Das klingt faszinierend. Leider zieht sich gerade die erste Folge sehr, weil alle Figuren kurz vorgestellt werden. Das ist etwas verwirrend und erlaubt es nicht, eine Verbindung zu den Charakteren aufzubauen. Das wird ab der zweiten Folge besser, dafür wird ein anderes Problem schnell deutlich.

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Foto: dpa/Jenny Kane

Die meisten Figuren sind zweidimensional

Das Mystery-Element wird lange Zeit vernachlässigt. Dafür konzentriert sich die Serie sehr auf die Figuren. Das muss nichts Schlechtes sein. Aber die meisten der acht verbundenen Charaktere sind zweidimensional und langweilig. Da ist die Inderin Kala (Tina Desai) in Mumbai, die einen reichen Mann heiraten soll, den sie nicht liebt. Mehr erfährt man in zwölf Folgen kaum über sie. Die isländische DJane Riley (Tuppence Middleton) schaut meist sehr melancholisch, die Koreanerin Sun (Bae Doona) ist lieber Kampfsportlerin als Geschäftsfrau. Der kenianische Busfahrer Capheus (Aml Ameen) in Nairobi kümmert sich um seine HIV-infizierte Mutter, ist für Kalendersprüche gut und ein großer Fan von Jean-Claude Van Damme. Will (Brian Smith) ist ein Polizist in Chicago, der in seiner Kindheit ein traumatisches Erlebnis hatte. Leider wird aus diesen Fünf im Laufe der zwölf Folgen der ersten Staffel auch kaum mehr. Sie wachsen nicht, bleiben platt und simpel gestrickt. Es ist auf Dauer mühsam und fast schon langweilig, ihnen zu folgen.

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Etwas mehr Mühe hat man sich beim deutschen Dieb Wolfgang (beeindruckend: Max Riemelt) gegeben. Er hat Ecken und Kanten, liebt den Film "Conan der Barbar" und man merkt, dass etwas in ihm brodelt. Noch mehr in die Tiefe gehen die Wachowskis bei Lito (Miguel Angel Silvestre): ein mexikanischer Actionfilm-Star, der versucht, seine Homosexualität zu verstecken. Seine Liebesgeschichte, die Wendungen und Zerrissenheit sind tatsächlich interessant, wenn auch bisweilen klischeehaft. Die meiste Zeit aber gönnen die Wachowskis der Transsexuellen Nomi (Jamie Clayton), die als Michael geboren worden ist und gegen den Widerstand ihrer Eltern die Geschlechtsumwandlung vollzogen hat. Sie ist die stärkste und überzeugendste Figur — vermutlich weil Lana Wachowski in ihre Story Vieles aus dem eigenen Leben eingebracht hat: Vor zwölf Jahren hieß Lana noch Larry und bekannte sich dann schrittweise dazu, eine Frau zu sein.

Die Serie verliert sich aber zu sehr in den Nebengeschichten der Charaktere. Die eigentliche Story bleibt auf der Strecke. Das geht so weit, dass die Figuren und deren Handlungen etwas seltsam erscheinen. Nach ihrer Erweckung leiden alle acht unter Kopfschmerzen oder haben Halluzination vom Leben der anderen Sieben. Dann wird die Verbindung intensiver und recht schnell akzeptiert jeder der Acht, dass sie oder er im Geist mit anderen redet. Es gibt kaum Zweifel, keiner recherchiert im Internet, niemand stellt es infrage. Die Hauptgeschichte wird so zur Nebensache degradiert und dient nur dazu, dass die Acht interagieren können.

Nur die letzten drei Folgen zeigen, was in der Serie steckt

Die Serie ist zwar zugegeben sehr gut inszeniert, aber sie plätschert über weite Strecken sehr dialoglastig vor sich hin. Nur selten scheint zumindest in den ersten neun Folgen durch, wozu sie über ihre Verbindung in der Lage sind: Bei einer Schlägerei in Nairobi kann sich Capheus dank der koreanischen Kampfsportlerin Sun behaupten — was indes ihre einzige Aufgabe in der Serie zu sein scheint. Und als Lito mit seinem Lebensgefährten intim wird, verstärken die anderen die Emotionen. Ansonsten aber halten sich die Wachowskis lange Zeit sehr zurück — obwohl eine global operierende Organisation hinter den Acht her ist und sie mit einer Gehirn-OP buchstäblich kaltstellen möchte. Warum, wieso, weshalb bleibt ungeklärt. Und weil diese Gegenspieler lange Zeit keine wirkliche Rolle spielen und eher anonym bleiben, ergibt sich nicht das Gefühl einer Bedrohung oder etwa Spannung.

Erst in den letzten drei Folgen zieht die Serie das Tempo an, erst jetzt passiert tatsächlich etwas. Wolfgangs Wut und Hass brechen aus. Capheus gerät in einen Gangkrieg — und alle müssen sich gegen die Organisation behaupten, die sie jagt. Da wird deutlich, welches Potenzial das Science-Fiction-Mystery-Element hat. Zumal die Wachowskis immer noch meisterhaft Action inszenieren können — auch ohne sündhaft teure Computer-Effekte. Nach den letzten drei Folgen fragt man sich, warum die Serie nicht über alle Folgen dieses Niveau hatte. Bis dahin aber zieht es sich sehr — ab und an unterbrochen von den bei Netflix-Serien schon fast selbstverständlichen, expliziten Sex-Szenen.

Was bleibt von der Serie? Eine überzeugende bis beeindruckende Schauspielleistung trotz der teils platten Charaktere und eine gute Idee, die aber viel zu lange benötigt, um durchzustarten. Es scheint, als ob den Wachowskis mit den knapp zwölf Stunden der zwölfteiligen Serie zu viel Zeit zur Verfügung stand, um zu erzählen. Die Serie ist auf fünf Staffeln ausgelegt. Falls es nach der ersten noch eine weitere geben sollte, kann sich daraus tatsächlich noch etwas Grandioses entwickeln — wenn die Story in den Fokus rückt.

(jova)
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