Diskussion um Netzneutralität Regierung will Überholspur im Internet

Berlin · Die schwarz-rote Bundesregierung schlägt sich bei der Diskussion um die sogenannte Netzneutralität überwiegend auf die Seite der Telefonkonzerne, die spezielle Dienste im Internet besonders schnell und sicher durchleiten wollen. Das birgt mindestens so viele Chancen wie Risiken für die deutsche Wirtschaft.

 Geht es nach der Bundesregierung, sollen Internetanbieter bald schnellere Verbindungen für Großkunden anbieten.

Geht es nach der Bundesregierung, sollen Internetanbieter bald schnellere Verbindungen für Großkunden anbieten.

Foto: dpa, mbk sab

Das kann der deutschen Autoindustrie oder der Gesundheitsbranche helfen, wertvolle neue Dienstleistungen anzubieten - auf Dauer kann es aber auch das Übergewicht amerikanischer Onlinekonzerne wie Google, Amazon, Apple oder Netflix zementieren. "Das ist der Einstieg in das Zweiklassennetz", kritisiert der grün orientierte Netzaktivist Markus Beckedahl. "Das geht in eine richtige Richtung", heißt es dagegen im Umfeld der Telefonkonzerne.

Die Bundesregierung hat am Freitag ihr Konzept zur Netzneutralität bei der EU-Kommission eingereicht. In dem Papier wird zum einen gefordert, dass die Provider im "offenen Internet" alle übertragenen Datenpakete gleich behandeln müssen - "ohne Berücksichtigung des Absenders, des Empfängers, der Art des Inhalts, Dienstes oder der Anwendung".

Gleichzeitig will die Bundesregierung aber auch einen rechtlichen Rahmen für "Spezialdienste" abstecken, die parallel zum offenen Internet angeboten werden könnten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits am Donnerstag bei einer von Vodafone mitfinanzierten Konferenz erklärt, dass es ein "innovationsfreundliches Internet" nur geben könne, wenn es für bestimmte Dienste auch "berechenbare Qualitätsstandards" gäbe.

Tatsächlich ist eine minimale Differenzierung bei Daten im Internet rein technisch zwingend: So können selbstfahrende Autos nur dann zuverlässig vor Unfällen auf der Straße gewarnt werden, wenn die Warnung des verunglückten Wagens extrem schnell durchgeleitet wird. Ärzte können per Video-Schaltung nur dann eine Operation in einer anderen Stadt als Berater unterstützen, wenn es keinerlei Zeitverzögerung gibt. Und eine Einbruchswarnung einer Alarmanlage darf nicht verspätet ankommen, nur weil Internetnutzer die DSL-Leitung gerade mit Videostreaming verstopfen.

So weit, so gut, so weit, so logisch, obwohl einige Internetaktivisten sogar eine solche Überholspur für Spezialdienste ablehnen. Gleichzeitig lässt die Haltung der Regierung aber offen, ob sich große Konzerne in Deutschland und Europa künftig mit viel Geld eine bevorzugte Durchleitung für ihre Inhalte erkaufen können. So sollen anscheinend auch Medienkonzerne ihre Videoangebote als Spezialdienst definieren können. Als Ergebnis könnten die Google-Tochter Youtube oder der Video-Anbieter Netflix ihren Nutzern einen besonders wackelfreien Filmgenuss anbieten, indem sie der Telekom oder Vodafone entsprechende Mautgebühren zahlen. Das kann helfen, den Netzausbau zu finanzieren und die Gebühren niedrig zu halten.

Offiziell wollen Bundesregierung und Telefonkonzerne verhindern, dass solche Verträge zu einer Diskriminierung kleinerer Anbieter führen können - tatsächlich droht die Gefahr. Denn die Telekom betont zwar, sie wolle solche Verträge "diskriminierungsfrei" abschließen. Aber Großkundenrabatte für Google und andere Giganten schließt sie nicht aus. Auch ihrem eigenen Video-Dienst Entertain gewährt sie gegen einen internen Verrechnungspreis Vorfahrt bei der Durchleitung. Sie will auch den Datenverkehr für Entertain bei künftigen DSL-Volumen-Verträgen nicht reinrechnen - schön für die Kunden, schlecht für die Wettbewerber.

(RP)
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