Serie: Rheinische Pioniere (7) Die milliardenschwere Zalando-Boygroup

Köln · Die Brüder Samwer aus Köln sind die erfolgreichsten Internet-Unternehmer Deutschlands. Ihr Geschäftsmodell stößt aber auch auf Kritik.

 Die drei Samwer-Brüder (v.l.) Alexander, Oliver und Marc in der Berliner Zentrale ihrer Holding Rocket Internet.

Die drei Samwer-Brüder (v.l.) Alexander, Oliver und Marc in der Berliner Zentrale ihrer Holding Rocket Internet.

Foto: Dieter Mayr/ agentur Focus

Vom Tellerwäscher zum Milliardär - dieser Traum vom kometenhaften Aufstieg aus kleinen Verhältnissen kommt in der Wirklichkeit selten vor. Tatsächlich stammen viele der erfolgreichsten Unternehmer aus besten Verhältnissen: Werner von Siemens, Alfred Krupp, John Pierpont Morgan, Bill Gates. Auch Oliver Samwer (42) sowie seine Brüder Marc (43) und Alexander (39) kommen aus dem Kölner Großbürgertum. Der Vater ein bekannter Anwalt, der Großvater ein erfolgreicher Versicherungsmanager und der Urgroßvater gar der Gründer einer noch heute bestehenden Krankenversicherung. Dass aus dieser Familie Deutschlands erfolgreichste und aggressivste Internet-Unternehmer kommen, war nicht von vorneherein so bestimmt.

Die Brüder Samwer, wie sie in Branchenkreisen genannt werden, beherrschen die deutsche Internetszene wie sonst ihr Vorbild Jeff Bezos (Amazon) oder Mark Zuckerberg (Facebook) und Eric Schmidt (Google) die in den USA. In nur wenigen Jahren gründeten sie mehr als 70 Internet-Firmen, die sie zum größten Teil auch wieder verkauften. Mit dem dafür erlösten Geld investierten sie in neue Geschäftsmodelle und Unternehmen so erfolgreich, dass sie mittlerweile Platz 29 unter den 100 reichsten Familien in Deutschland einnehmen. Mit dem sagenhaften Vermögen von geschätzt 3,5 Milliarden Euro liegen sie nach der jüngsten Studie des "Manager-Magazins" noch vor eingesessenen Unternehmerfamilien wie Riegel ("Haribo") oder Schmidt-Ruthenbeck ("Metro"), die auf 2,8 beziehungsweise 2,3 Milliarden Euro kommen.

Die Erfolgsgeschichte der drei Kölner Brüder ist einzigartig in Deutschland. Und sie passt so gar nicht in die beschauliche Welt ihrer Familie aus dem wohlhabenden Kölner Vorort Marienburg. "Die Mutter hat bis heute nicht richtig verstanden, was aus ihren drei Söhnen wirklich geworden ist", sagt eine Bekannte der Brüder. Leistungswille, Fleiß und Begabung brachten sie freilich von zu Hause mit. Und ihre Werteorientierung. Denn die Samwers waren treue Besucher der evangelischen Gottesdienste der Gemeinde in Köln-Marienburg. "Sie waren fast pietistisch", weiß die Bekannte.

Ihr Abitur legten die Samwer-Brüder noch in Köln ab, im ehrwürdigen humanistischen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium - alle mit Bestnoten. Danach teilten sich ihre Wege, aber nur vorübergehend. Marc, der Älteste, studierte Jura an der Kölner Universität und schnitt mit einem Prädikatsexamen ab. Als er statt in den Staatsdienst in die wilde Internet-Welt strebte, wollten es einige der früheren Kommilitonen gar nicht glauben.

Einen eher bodenständigen Weg ging zunächst der Zweitgeborene, Oliver, der als strategischer Kopf der Brüder gilt. Er machte eine Lehre beim traditionellen Kölner Privatbankhaus Sal. Oppenheim. Seine ungewöhnliche Begabung kam schon damals zum Vorschein. Er beendete seine Ausbildung als Jahrgangsbester, danach studierte er an der privaten Hochschule WHU - Otto Beisheim School of Management in Vallendar bei Koblenz. Ein Elite-Institut für Betriebswirtschaftsstudenten, das von einem anderen genialen Gründer initiiert worden war: Otto Beisheim, dem Erfinder des Einzelhandelskonzerns Metro. Der Jüngste, Alexander, ging gleich ins Ausland, erst nach Oxford, dann an die Harvard Business School in den USA. Ihre glänzende Ausbildung nutzten die drei aber nicht zu einer Karriere bei etablierten Konzernen, Bankhäusern oder Wirtschaftskanzleien, sondern für die eigene Selbstständigkeit. Den Grund formulierte Oliver Samwer vor Studenten einmal so: "Du kommst mit einem Traum, und dann endest du in Neverland - bei McKinsey, JP Morgan oder der Deutschen Telekom."

Genau das wollten die drei Kölner nicht. Schon 1996 gründete Oliver Samwer seine erste Firma und hatte noch nicht einmal richtig zu Ende studiert. Ego International hieß das kleine Unternehmen, das Filzpantoffeln für den bolivianischen Markt produzierte.

Danach ging es Schlag auf Schlag. In den Internet-Schmieden des berühmten Silicon Valley in den USA hatten die Brüder das Auktionshaus Ebay kennengelernt. Flugs gründeten sie in Deutschland das Unternehmen Alando und übernahmen sogar das Logo der Amerikaner. Der neue Firmenchef Oliver Samwer wollte eben nichts anbrennen lassen. Wenn die US-Firma damit Erfolg hatte, dann musste das auch für die deutsche Variante gelten. Geschickt hatten die Brüder ihr neues Unternehmen exklusiv mit allen Online-Portalen verlinkt. Ebay blieb für den Markteintritt in Deutschland gar keine andere Wahl, als Alando kaufen. 43 Millionen Euro erhielten die Samwers für ihr erstes Internet-Unternehmen - ein hervorragendes Startkapital für die weitere Expansion. Als sie übrigens Hans Reischl, dem legendären Chef des Kölner Einzelhandelskonzerns Rewe, von ihrer ersten Investition erzählten, winkte der nur ab: "Lasst den Mist sein."

Die Brüder machten weiter. Es folgte der Klingelton-Anbieter Jamba, den sie nach einem anderen US-Vorbild gründeten, und der Gutschein-Distributor Groupon, ebenfalls ein Klon aus Silicon Valley. Für Jamba bekamen die Samwers schon 273 Millionen vom US-Original, für Groupon immerhin einen zweistelligen Millionenbetrag.

Ihre Masche war stets dieselbe: Schauen, was auf dem US-Markt erfolgreich ist, für den deutschen Markt kopieren, dafür die nötige Infrastruktur und Zugänge schaffen und schließlich an die Originalfirma für viel Geld verkaufen. Dieses Geschäftsmodell brachte den Samwers harsche Kritik ein. Die amerikanische Gründerszene warf den Deutschen vor, ihre Modelle dreist zu kopieren und zu Geld zu machen. "Silicon Valley hasst die Samwers", giftete ein US-Experte.

Doch Neid und Hass muss man sich verdienen. Denn die Erfolgsgeschichte der Kölner Pioniere ging weiter: mit dem Internet-Möbelversand Home24, dem Kosmetikanbieter Glossybox, dem virtuellen Einrichtungshaus Westwing Home & Living.

Den größten Scoop landeten die Samwers mit der Gründung des Online-Schuhhandels Zalando. Er machte die Brüder deutschlandweit bekannt. Die scheinbar verrückte Idee, Schuhe nach einer Wahl über das Internet quer durch die Republik zu verschicken und nicht gewünschte Ware kostenlos zurückzunehmen, revolutionierte die Internet-Konsumwelt hierzulande. Schon bald konnte Oliver Samwer tönen: "Die Geschäfte sind Mittelalter. Sie wurden nur gebaut, weil es kein Internet gab." Solche Sprüche brachten dem Internet-Pionier nicht nur Freunde ein. Das will Samwer nicht gelten lassen. Nicht Größenwahn und Skrupellosigkeit hätten den Unternehmern ihren Platz gesichert, sondern klassische Tugenden wie harte Arbeit und Beständigkeit. "Die gute Idee macht ein Prozent aus, der Rest ist Fleiß."

Viele beargwöhnen auch die magere Ausbeute der Internet-Firmen, die sich im Besitz der Brüder befinden. Ihre elf besten Stücke, wie sie selbst sagen, brachten bei 757 Millionen Euro Umsatz bislang 442 Millionen Euro Verlust. Das ist nicht gerade eine Erfolgs-Story. Doch auch das bügelt Oliver Samwer ab. Im elektronischen Handel seien sieben bis zehn Jahre nötig, um wirklich über den Erfolg eines Internet-Unternehmens zu entscheiden. Der Internet-Vordenker der CDU, der Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek, pflichtet Samwer bei: "So wie die Brüder machen es alle Internet-Unternehmen." Es käme eben am Anfang mehr auf die Reichweite an als auf die Rendite.

Immerhin wagten die Samwers mit Zalando den Börsengang. Nach dem Ausgabekurs von 21,50 Euro je Aktie war ihr Unternehmen 5,4 Milliarden Euro wert. Die Anleger machten ein schlechteres Geschäft, die Aktie wird derzeit 16 Prozent tiefer notiert. Doch der Online-Star gilt als langfristige Investition. "Es ist das erste Unternehmen der Samwers mit Nachhaltigkeit", urteilt der CDU-Politiker Jarzombek. Auch die seit 2007 bestehende Holding Rocket Internet, in der die Brüder ihre Beteiligungen gebündelt haben, soll noch lange Bestand haben. Rund 20 000 Beschäftigte zählen die dort versammelten Internet-Firmen. Nach dem Willen der Gründer sollen es irgendwann 150 000 sein.

(RP)
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