Internetriese wehrt sich Schwarze Flecken in Googles Straßenansichten

Berlin (RPO). Die digitale 360-Grad-Karte Google Street View stößt in Deutschland auf große Vorbehalte. Datenschützer kritisieren die Daten-Sammelwut von Google und auch Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) bezeichnete das Vorhaben kürzlich als "millionenfache Verletzung der Privatsphäre". Nun wehrt sich das Unternehmen gegen die Vorwürfe. "Wir sind zu dem Ergebnis gekommen: Das Produkt ist rechtmäßig." Ein IT-Recht-Experte gibt Google Recht.

Ostereier in Google Street View
10 Bilder

Ostereier in Google Street View

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Verletzt ein Schnappschuss auf offener Straße die Persönlichkeitsrechte der zufällig Fotografierten? An dieser Frage hat sich ein Streit entzündet, der den Suchmaschinen-Giganten Google daran hindert, sein neuestes Programm in Deutschland online zu stellen: Street View - eine Ansicht von Straßen, Plätzen und Häuserzeilen.

Um die eigene Position abzusichern, gab das Unternehmen ein Rechtsgutachten in Auftrag, das der Öffentlichkeit am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Das wenig überraschende Ergebnis: "Street View ist datenschutzrechtlich unbedenklich", erklärt Nikolaus Forgó, IT-Recht-Experte von der Leibniz Universität Hannover.

"Öffentlich zugänglich"

Forgó begründet seine Haltung damit, dass es sich bei den Daten um solche handele, die von jedermann im öffentlichen Verkehrsraum wahrgenommen werden könnten und die damit "öffentlich zugänglich" seien. Das Interesse der Betroffenen müsse schon gegenüber dem von Google überwiegen, damit die Datenverarbeitung unzulässig werde, sagt Forgó. Hier stünden "Transparenz und Demokratisierung" über Einzelinteressen. Zumal er eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts in der Regel für unwahrscheinlich halte.

Grund ist vor allem, dass Google Gesichter unkenntlich macht - neudeutsch: "verpixelt", also die Bildschirmauflösung so reduziert, dass nur eine hautfarbene Scheibe zu sehen ist. Verpasst das Programm ein Gesicht, hat sich Google bereit erklärt, auf einen entsprechenden Hinweis hin nachzubessern. Das Gleiche gilt für Autokennzeichen - eine weitere Sorge der Datenschützer. Die Hinweise kann übrigens jeder erteilen, der eine Person mit ungepixeltem Gesicht auf Street View entdeckt.

Experte weiter skeptisch

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar zeigte sich dennoch skeptisch. Er verwies auf das "doppelte Datenschutzproblem" von Google: "Einmal das Datenschutzproblem derjenigen, deren Häuser oder Grundstücke ins Netz gestellt werden und andererseits derjenigen, die im Netz sich dieses Dienstes bedienen." Die von Google zugesagte Anonymisierung von Personen oder Autokennzeichen entschärfe nur das erste Problem. Die zentrale Frage seien jedoch die Datenbanken, die im Hintergrund entstehen. Das sei zwar auch bei anderen Google-Diensten bereits der Fall, werde aber immer gravierender.

Schaar sprach sich dafür aus, die Marktmacht Googles zu überprüfen. "Ein Unternehmen beherrscht zunehmend die virtuelle Welt. So etwas haben wir in der realen Welt bisher noch nicht gesehen", hob Schaar hervor. Er forderte die Politik auf, tätig zu werden, "um die Macht im virtuellen Raum zu begrenzen und zu kontrollieren."

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast plädierte für eine gesetzliche Regelung. Freiwillige Vereinbarungen würden meistens nichts bringen, fügte sie hinzu. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), lehnte strengere Datenschutz-Auflagen hingegen ab. "Die Straßen- und Häuseraufnahmen von Google sind aus Sicht des Datenschutzes nicht zu beanstanden, denn Häuser und Autos haben keine Persönlichkeitsrechte", sagte Uhl.

Viele schwarze Häuser

Genauso wichtig wie Personen oder Kfz-Zeichen sind den Datenschützern die Häuser der Deutschen. Es treibt sie vor allem die Befürchtung, dass Street View Einbrecher auf den Plan locken könnte. Dagegen setzt Forgó einen kleinen Vortrag: Er habe bei der Vorbereitung im Netz eine Homepage entdeckt, die Twitter-Meldungen nach der Wortkombination "left home" - "bin von zu Hause weg" durchsucht, erzählt er.

Auf "pleaserobme.com" ("Bitte raub mich aus") werden die Nachrichten gelistet. "In einer Nacht erhielt ich 2400 Meldungen", sagt Forgó, um zu illustrieren, wie viel Information Menschen heutzutage bereit sind, über sich preiszugeben. Wer Street View wegen potenzieller Einbrüche verbieten wolle, müsse Twitter folglich erst recht untersagen, folgert Forgó.

Dennoch: Google Deutschland musste Zugeständnisse machen, wie in keinem anderen der bisher 19 Länder, in denen das Programm schon online ist. Das Unternehmen kündigte an, die Bilder all jene Häuser zu löschen, für die es eine entsprechende Eingabe bekommt. Die deutsche Straßenansicht könnte so einen Haufen schwarze Löcher erhalten.

Doch es ist unwahrscheinlich, dass Street View aufzuhalten wäre. "Es ist schwer, einem Unternehmen zu untersagen, einen Dienst zu launchen, wenn dieser legal ist", ist Arnd Haller überzeugt, Leiter der Google-Rechtsabteilung. Die "Politiker-Parolen" gegen das Programm hätten keine Konsequenzen für die Freischaltung, die im Laufe des Jahres erfolgen soll. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) etwa hatte Street View jüngst eine "millionenfache Verletzung der Privatsphäre" genannt.

Die Vertreter des Unternehmens wollen das nicht verstehen. Am Dienstag preisen sie den Service als "tolle Sache", wie der Leiter der Google-Entwicklungsabteilung für Street View, Raphael Leiteritz. Das Programm helfe Behinderten sich zu orientieren, es sei beim Umzug eine große Hilfe, wie er am eigenen Leib erfahren konnte. Und wer vielleicht kein Geld habe, nach New York zu reisen, könne sich per Street View auf dem Times Square umschauen. "Stellen Sie sich vor, was das für ein Mehrwert ist", ruft er. Das Publikum bleibt reserviert. Es sind vielleicht Menschen, die Dinge gern noch mit eigenen Augen sehen.

(AFP/csr)
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