Der Wahlabend im Web 2.0 Twitter verbreitete als erstes Saarland-Zahlen

Frankfurt/Main (RPO). Die schnellste Wahl-Info aus dem Saarland gab es bei Twitter: Schon vor 17 Uhr - und damit vor Schließung der Wahllokale - postete Nutzer "Daniel1131290" Zahlen, die dem tatsächlichen Ergebnis sehr nahe kam. Die Fernsehsender mussten ihre Zahlen zu diesem Zeitpunkt noch zurückhalten, Twitter-Nutzer waren vermeintlich am schnellsten informiert.

Was ist Twitter?
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Foto: Twitter

Allerdings sagte die ARD später, es habe sich nicht um eine echte ARD-Prognose gehandelt. "Es hat bei Twitter keine Wahlprognosen gegeben, allenfalls Wahltipps. Die Behauptung, Daten unserer Wahlforscher seien heute vorab ins Netz gegangen, ist falsch", sagte Jörg Schönenborn, WDR-Chefredakteur und verantwortlich für die Wahlberichterstattung der ARD. Die Zahlen hätten keine Ähnlichkeit gehabt, es sei ausgeschlossen, dass Berechnungen von Infratest dimap die Quelle hierfür waren.

Trotzdem ein Beispiel, das zeigt, dass das Web 2.0 inzwischen selbst bei Wahlen in kleinen Bundesländern eine Rolle spielt.

Jubelbotschaften, kaum Diskussionen

Die ersten Wahl-Wortmeldungen im Web 2.0 spiegeln die Reaktionen auf den Wahlpartys wider: Schon kurz nach Bekanntgabe der ersten Umfrageergebnisse stellen Anhänger der Linken Jubelbotschaften ins Netz. Kaum Reaktionen kommen dagegen von Politikern und Parteien. Auch die Diskussionen von politikinteressierten Nutzern halten sich in Grenzen.

Sonntagabend, 18 Uhr: Während der Großteil der Politik-Interessierten die Hochrechnungen vor dem Fernseher verfolgt, tauschen andere ihre Meinungen über soziale Online-Netzwerke wie Twitter, Facebook oder StudiVZ aus. Die Reaktionen sind vielfältig: Da gibt es mit Smileys versehene Twitter-Nachrichten wie "Saarland auch Rot-Rot-Grün :)", aber auch negative Kommentare zu den der Wahlergebnisse wie: "The stupid, the rich and the Nazis are represented in parliament" - "Die Dummen, Reichen und die Nazis sind im Parlament vertreten."

Ein weiterer Twitter-Nutzer startet um kurz nach 19 Uhr seine eigenen Koalitionsverhandlungen in Form einer Online-Umfrage mit dem Titel: "Rot-Rot-Grün oder Jamaica im Saarland?" Auf der MeinVZ-Diskussionsgruppe "Die vergessenen Wahlen" ist das Abschneiden der Piraten-Partei ein großes Thema; auch wird besorgt auf einen möglichen Einzug der NPD in den thüringischen Landtag hingewiesen. Die Koalitionsmöglichkeiten werden nur selten ernsthaft diskutiert. Häufiger sind Meinungsbeiträge wie dieser auf MeinVZ: "Na ja, ob es rot, rot, grün oder schwarz, gelb oder schwarz, rot wird ist eigentlich egal. Nach der Wahl machen SIE sowieso was SIE wollen."

Analytischer ist die Gruppe "Wahl im Web" um kurz vor 19 Uhr mit dem treffenden Twitter-Eintrag: "Die Parteien nähern sich an - in der Größe".

Ramelow sagt "Danke"

Die Politiker selbst halten sich zurück. Auf den Twitter-Seiten des thüringischen SPD-Kandidaten Christoph Matschie und des saarländischen "Peter-Müller-Teams" ist der Aufruf "Wählen gehen!" auch noch Stunden nach Schließung der Wahllokale zu sehen. Der thüringische Linken-Spitzenkandidat Bodo Ramelow reagiert mit einem großen "Danke" auf seiner Internetseite noch am schnellsten auf die Wahl. Der Text im Hintergrund stammt jedoch noch vom Samstag.

Präsenter sind die Grünen: Gegen 19.30 Uhr schreibt die "Grüne Saar" eine Twitter-Dankesbotschaft an ihre Wähler. Eine gute halbe Stunde später folgt eine zweite: "Der Neuanfang im Saarland kann kommen", lautet sie.

Der Kommunikationsforscher Patrick Brauckmann hatte erwartet, dass sich im Laufe des Abends einige Politiker zur Wahl äußern würden - "nach den Interviews und einem Bierchen". Doch gerade die Kommunikatoren der großen Parteien sind am Wahlabend zögerlich bei der Nutzung von Twitter, Internet-Tagebüchern, Online-Diskussionsforen oder Facebook. "Sie haben sehr starke Strukturen und Hierarchien, die für ein so schnelles und dynamisches Medium wie das Internet noch nicht durchlässig sind", analysiert Brauckmann.

Für seine Doktorarbeit beobachtet er, wie Politiker sich den Sitten - also den Kommunikationsformen und -stilen - anpassen, die im Internet herrschen. Etwa seit März seien die Parteien eifrig bemüht, von den USA zu lernen. Dabei rechnet er bis zur Bundestagswahl 2013 noch einmal mit einem deutlichen Schritt: Dann würde die Wahlkampf-Strategen voraussichtlich deutlich souveräner im Ungang mit dem Internet werden. Bislang seien sie in diesem Bereich noch eher unprofessionell.

Netz bei den Jüngeren wichtigstes Info-Medium

Laut einer zuletzt veröffentlichten Forsa-Studie gewinnt das Internet an Bedeutung für den Wahlkampf. Demnach ist das Internet bei den 18- bis 29-Jährigen inzwischen das wichtigste Informationsmedium, wenn es um politische Themen geht - 77 Prozent informieren sich hier. Zu Tageszeitungen greifen dagegen nur 54 Prozent. Dennoch sind klassische Medienangebote noch immer der erste Anlaufpunkt für politisch interessierte Nutzer: 81 Prozent surfen laut Forsa die Angebote von Zeitungen und Sendern ab.

In den interaktiven Formaten des Web 2.0 wie Twitter, Youtube oder Facebook informieren sich weniger Menschen. 22 Prozent der politisch Interessierten nutzen Online-Netzwerke und 20 Prozent Blogs oder Diskussionsforen. Während nur 22 aller Befragten vor der Wahl eine Partei- oder Politikersite besuchen wollen, sind es bei den Schülern und Studenten schon 61 Prozent.

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