Social-Media-Dino Myspace hat nen Facebook-Account (Spoiler: keinen guten)

Düsseldorf · Der einstige Platzhirsch hat sich schon vor Jahren in einen Zombie verwandelt. Die letzten Zuckungen macht Myspace ausgerechnet beim früheren Erzfeind. Es ist kaum auszuhalten.

 Archivfoto, circa 1973.

Archivfoto, circa 1973.

Foto: AFP, AFP

Dies ist keine Erfolgsgeschichte, und doch beginnt sie mit einer. Am 19. Dezember 2016 twittert ein junger New Yorker mit dem Namen Corey Teich: "Does anyone know a site/person who needs a freelance music writer?” Kennt also irgendjemand eine Webseite oder eine Person, die einen freiberuflichen Musikjournalisten braucht? Nicht vorstellbar, dass irgendjemand einen freiberuflichen Musikjournalisten braucht, denn von denen gibt es so viele, dass sie ein eigenes Land gründen könnten.

Doch am 4. Januar 2017 twittert Teich: "My first published article!" In seinem Text erklärt er, welche acht Künstler der Leser auf dem kalifornischen Hipster-Musikfestival Coachella auf keinen Fall verpassen dürfe. Drei Tage später postet die Webseite den Artikel auch noch auf ihre Facebook-Pinnwand. Sieben Personen gefällt der Beitrag. Ein anderes Profil mit 153 Followern teilt den Beitrag. Drei Menschen kommentieren. Ein Mann namens Bobby Smith schreibt knapp: "Lol."

Murdoch verlor mit Myspace Millionen

Für einen Menschen, der gerade seinen ersten Artikel veröffentlicht hat, geht das völlig in Ordnung. Doch die Webseite, die ihm zu diesem übersichtlichen Erfolg verholfen hat, trägt einen berühmten Namen: Myspace. Und auf Facebook gefällt Myspace immerhin 1,2 Millionen Menschen. Bloß merkt man davon nichts.

Sekunde… Myspace hat ein Facebook-Profil? Waren Myspace und Facebook nicht mal… Konkurrenten? Erzfeinde? Der schlimmste Albtraum des anderen? Korrekt. Aber das war einmal.

Mitte der Nuller Jahre war Myspace das größte soziale Netzwerk der Welt. Nicht nur, weil User herrlich hässliche Profile erstellen konnten, sondern weil Musiker dort lange vor Spotify Songs oder gleich ganze Alben streamten, häufig vor Erscheinen. 2005 schluckte Rupert Murdochs News Corporation das Unternehmen für fast 600 Millionen Dollar. Doch dann legte Facebook los und verdrängte Myspace mit besseren Funktionen und besserem Layout, 2011 verramschte Murdoch das Netzwerk an ein anderes Unternehmen, das mit Hilfe von Justin Timberlake aus Myspace eine Entertainment- und Musikplattform machen wollte. 2016 kaufte "Time" das Unternehmen samt Myspace — eher wegen der Nutzerdaten als mit der Absicht, noch irgendwas aus der Seite zu machen.

Wow, 4100 Plays für Ed Sheeran!

Trotzdem existiert Myspace noch. Als Zombie. Denn Musiker laden dort schon lange keine Songs mehr hoch. Die Profile gibt es zwar noch, doch die meisten sind leer. Findet man doch mal einen Song, öffnet sich kurz darauf das Youtube-Video. "Thinking Out Loud" von Ed Sheeran hat bei Youtube 1,5 Milliarden Views, bei Myspace gerade mal 4100 Plays. Myspace preist zwar weiterhin exklusive Songs und Videos an, bloß stimmt das nicht: Sie haben bloß via Youtube, Bandcamp oder Soundcloud Lieder eingebunden von Künstlern, die niemand kennt.

Myspace setzt auf billigen Content. Hollywood. Fernsehen. Popstars. 5 Dinge, die Wrestlemania wieder einführen sollte. 10 irische Celebrities, mit denen wir gerne St. Patrick's Day feiern würden. Schaut euch an, wie Wyclef Jean aufgrund einer Verwechslung Handschellen angelegt werden. Zwar gibt es auch freie Autoren wie den überglücklichen Corey Teich, doch die News über Stars & Sternchen übernimmt Myspace vom Internetauftritt des britischen Musikmagazins NME. Was erklärt, warum der Leser von jedem Vorgang im Leben des britischen Musikers Ed Sheeran erfährt.

Selbst die Bravo ist erfolgreicher

Doch weil die Myspace-Webseite nicht mal mehr zu den weltweit 3000 meistbesuchten gehört (Facebook liegt auf Platz 3, Google auf Platz 1), bleibt nur Facebook, um mit den eigenen Inhalten überhaupt noch jemanden zu erreichen. Die 1,2 Millionen Likes sind zwar nichts gegen Facebooks 186,5 Millionen, aber hey — fast so viele wie Spiegel Online.

Bloß passiert dort so wenig, dass man an der Echtheit einiger Abonnenten zweifeln darf. Verräterisch ist die Zahl für "People Talking About This", die angibt, wie viele Leute gerade auf Facebook über Myspace reden, also kommentieren, Beiträge liken, teilen. Dort erreicht Myspace 1610 (23. März 2017), sogar die Bravo schafft 25000 und die ebenfalls nicht mehr angesagte Marke MTV 590.000.

Es ist nicht so, dass jedes Posting ein Debakel wäre. Ein paar mäßig erfolgreiche Beiträge gibt es immerhin. 994 Mal geteilt und 300 mal geliked wurde der Beitrag über einen früheren Buffy-Darsteller, den Myspace tatsächlich exklusiv hatte. Immerhin 46 User teilten die Nachricht, dass der Kinostart für Indiana Jones 5 feststeht. Und auch Donald Trump spült zuverlässig Klicks an.

Die Chefin liked mit

Die meisten Postings aber erreichen Likes im niedrigen zweistelligen Bereich, kommentiert wird selten. Ein Beitrag über den Rapper Chris Brown bringt es auf genau zwei Likes. Einer dieser Klicks stammt von Katrina Nattress. Sie bezeichnet sich auf ihrem Profil als "editorial director at Myspace", ist also verantwortlich für die redaktionellen Inhalte. Auch sonst liked sie die Beiträge ihres eigenen Arbeitgebers zuverlässig.

Unter den wenigen Kommentaren sind viele, über die sich Myspace nicht freuen dürfte. Zum Beispiel jene, die sich gegen das Unternehmen richten.

"Good Lord you're still a company?"

"Welcome to the Land of Social Dinosaurs. Why even bother anymore?"

"I don't know whats more irrelevant in 2017. Katy Perry or MySpace."

Aua. Aua. Aua.

Der Mann, der ganz bestimmt sechs Milliarden CDs verkaufte

Jemand beschwert sich, dass er einen Myspace-Account eröffnet habe — selten genug — und nun keinen Aktivierungscode erhält. Marlo Middendorf erklärt, dass er sein Konto vor mehr als zwei Wochen gelöscht habe, doch trotzdem ließen sich seine Bilder noch über Google finden. "How can I contact you? I am from Germany. I can not understand how difficult contacting a company from abroad can be." Auch unser Autor hat für diesen Artikel mehrere Anfragen an die Pressestelle von Myspace gemailt — ohne Erfolg.

Und dann ist da noch King Solomon aus Ghana. King Solomon ist laut eigener Aussage CEO und Präsident der King Solomon Holdings, die Online-Musikkurse anbietet, auf dem Immobilienmarkt tätig ist und auch noch Autos vermietet und verkauft. Und King Solomon ist Musiker. Ihm ist völlig egal, was Myspace da gerade gepostet hat, ob es um Depeche Mode, Saturday Night Live oder Lorde geht — er preist sich in seinen Kommentaren rücksichtslos selbst. "King Solomon is the best gospel musician in the world"... "the music is played all over the world, he has distributed 6 billion copies"... "there is good news to all my fans all over the world".

Dies wird keine Erfolgsgeschichte.

(seda)
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