Tafel und Kreide waren gestern Erobern Tablets jetzt die Klassenzimmer?

Mannheim/Viersen · Mit dem Tablet-PC in den Schulgarten auf Erkundungstour gehen nach Blättern, die gezahnt sind, büffeln mit der Mathe-App oder in Englisch einen Trickfilm betexten. So kann Schulunterricht aussehen. Zumindest an Modellschulen, die sich weit in die digitale Neuzeit hineinwagen.

Zehn Fakten über neue Technologien in der Schule
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Foto: Jügen Loosen

Unterricht ohne Kreidestaub und Dreck an den Fingern, das ist für Joachim Lauritzen Wirklichkeit. Er ist einer der Lehrer, die in zwei siebten Schuljahren der Friedrich-Ebert-Werkrealschule ausprobieren, wie sich die Zukunft anfühlt. Schüler und Lehrer arbeiten dort täglich mit iPads, die die Stadt Mannheim für das Projekt angeschafft hat. Noch zwei weitere Mannheimer Schulen sind mit dabei, wissenschaftlich begleitet wird die Aktion von Erziehungswissenschaftlern der Universität Mannheim.

Rund 30 Klassen testen Tablets

In Deutschland beteiligen sich derzeit rund 30 Klassen an Initiativen, die Tablet-Pc im Unterricht ausprobieren. Köln, Berlin, Hatten, Duisburg-Marxloh, Nürnberg, Braunschweig und Hamburg sind u.a. mit dabei. Zum Teil wissenschaftlich begleitet, teils stecken hinter Projekten, die sich klangvoll Paducation nennen, Firmeninteressen: An manchen Orten sponsert und begleitet die Firma Apple den Weg in die Zukunft. In Hatten organisierte der Giga-Konzern eine Veranstaltung, in der ein Mitarbeiter aus der Abteilung "Apple Education" Lehrern von 25 Schulen mehr über den Einsatz des iPad im Bildungsbereich erklärte. Begleitet von leckeren Häppchen und der Möglichkeit, selbst mal auszuprobieren, was ein i-Pad so alles kann.

Auch Joachim Lauritzen weiß einiges zu erzählen vom Ausprobieren. An seiner Schule erhielten die Lehrer zwar eine unabhängige Einführung, doch bissen sich die Pädagogen danach alleine erst so richtig rein in das Thema rund um die Tablets mit dem Apfel. Sie suchten nach brauchbaren Apps für den Unterricht und entdeckten wie die Kollegen an der Waldschule in Mannheim auch einfache Tabellenkalkulationen oder Programme für ihren Unterricht, die für den Spaß-Bereich gestrickt wurden: "Ich finde einen mit iMovie vorbereiteten Kurzfilm besser als ein schlecht gestaltetes Plakat im Unterricht", erzählt der Klassenlehrer einer siebten Klasse der Werkrealschule.

Tablets überwiegend zum Shoppen genutzt

Eine Google-Studie zeigte erst jüngst, dass Tablets zum überwiegenden Teil — nämlich zu 91 Prozent — in der Freizeit genutzt werden. Gerne wird damit gezockt und eingekauft, weniger oft gearbeitet. Der Einsatz im Unterricht ist also noch weit entfernt von der Normalität. Nicht mal im Beruf erfahren die chicen Rechner die Nutzung, die möglich wäre. Hard- und Softwarehersteller und auch Schulbuchverlage haben den neuen Schulmarkt aber längst ins Visier genommen.

Schulbuchverlage vorne dabei

In Mannheim sitzen die Cornelsen-Schulbuchverlage mit im Testboot. Sie haben in PDF-Form Apps für den Unterricht gestrickt, die die Schüler in der Waldschule dort testen. Der besondere Nutzen diese Schule mit in das Projekt zu holen liegt darin, dass in den Testklassen "inklusiv" gearbeitet wird. Gordon-Hendrik Löber, der als Lehrer dort die Pilotphase mitbegleitet, erklärt, wie sich anfänglich besonders die motorisch und auch geistig eingeschränkten Kinder an die neue Technik herangewagt haben. Dadurch, dass die zur Verfügung gestellten iPad aber sehr intuitiv zu bedienen sind, haben selbst die Kinder mit den Handicaps schnell hineingefunden.

Nur wenige Monate nach dem Start des zunächst bis September angelegten Projekts, können die Schüler Rollenspiele auf dem fingerbedienbaren Computer produzieren. Dr. Dirk Ifenthaler, der das Ding wissenschaftlich begleitet, skypt aus den USA: "Erst waren vor allem die Lehrer sehr skeptisch." Sie fürchteten mehr Arbeit und Aufwand, den sie zeitlich nicht auffangen können. Viel Zeit ging mit der Suche nach Apps und Programmen drauf, die sich didaktisch für den Einsatz im Unterricht eignen. Doch dann habe die Neugier gesiegt. Er verschweigt aber auch nicht, dass es zunächst eine Menge Potential gebunden habe, die technischen Möglichkeiten zu schaffen. Die Stadt Mannheim hat in diesem Fall mitgespielt: Sie hat einen Mitarbeiter abgestellt, der die Technik in allen drei Schulen managt, betont der Erziehungswissenschaftler, der im Moment einem Lehrauftrag in Oklahoma nachgeht.

Vorteile der neuen Möglichkeiten

"Damit haben wir die Schwelle herabgesetzt", sagt Löber. Nicht jedem liegt es, vor der Klasse in eine Rolle zu schlüpfen. Mit dem Apple-Werkzeug können die Kinder zwischen verschiedenen virtuellen Figuren aussuchen und so Szenen nachspielen, selber betexten oder Sprechblasen in selbst gemachten Comics füllen. Er sieht diese Möglichkeiten für seine Schule als sinnvolle Ergänzung zu interaktiven Whiteboards, Laptops und klassischen CDs der Schulbuchverlage, mit denen dort schon lange gearbeitet wird.

Richtet man den Zoom aber von den Pilotschulen in Baden-Württemberg ins nordrhein-westfälische Viersen, zeigt sich, dass sich zwischen einzelnen Schulen große Unterschiede auftun. Auch am Erasmus-von-Rotterdam-Gymnasium arbeitet man seit rund einem halben Jahr mit einem interaktiven Whiteboard, aber der Funke scheint noch nicht so recht übergesprungen zu sein. Zwar sieht der Schulleiter Rolf Fenner auch dort die Vorteile des interaktiven Arbeitens, doch kann er sich nicht vorstellen, dass sich an den herkömmlichen Unterrichtsmöglichkeiten in unmittelbarer Zukunft etwas verändern wird.

Abwarten und Tee trinken

Man zeigt sich abwartend, denn noch seien Tablet-Computer zu teuer und deren Batterieleistung zu schwach, um sie problemlos und ausschließlich im Unterricht einzusetzen. Entgegen den Erfahrungen, die die Lehrer an den deutschen iPad-Klassen gemacht haben, hält Fenner sie für ungeeignet, was den Fremdsprachenunterricht angeht. "Eine Sprache muss gesprochen werden", ist er sich sicher und weiß nicht um die Möglichkeiten, das auch mit einem Tablet in der Hand zu tun. "Die Schüler, die auf dem iPad ein Puppentheater erstellen, sprechen in Englisch über das Mikrofon am Tablet den Text auf, den die Puppe später sagt. Das klappt meist nicht gleich beim ersten Mal. Jeder einzelne spricht also mehrfach", erklärt der iPad-Lehrer Joachim Lauritzen aus Mannheim. Das habe einen viel größeren Lerneffekt als einen einzelnen Schüler einen englischen Text lesen zu lassen, während alle anderen schweigend zuhören.

Bildungsoffensive schwappt nach Germany

Womöglich rollt die Bildungsoffensive, die mit Beginn des Jahres über die USA hinweg ging, auch in Deutschland an. Apple ließ in Amerika mit dieser High-Tech-Offensive rund 9.000 iPad über Schulen und Universitäten regnen und hält zu zahlreichen Hochschulen einen heißen Draht. An der Universität in Oklahoma sitzt Apple bereits mit am runden Tisch, wenn es um neue Technologien geht. Der Konzern ist dort groß am E-Book-Geschäft beteiligt. Jenseits des großen Teichs werden Bildungscommunitys aufgebaut, über die speziellen Nutzergruppen Bildungsinhalte zur Verfügung gestellt werden. "Es ist also ganz einfach, so Informationen gezielt an bestimmte Gruppen zu verteilen und sie zu vernetzen", sagt Dr. Dirk Ifenthaler. An der Uni in Oklahoma haben beinahe alle Studierenden Tablet-PC oder Smartphones, über die sie arbeiten, Fahrtrouten auf dem Campus planen oder Bücher ausleihen.

Projekte wie das in Mannheim, werden in den nächsten Jahren zeigen, ob Tablets und Apple-TV besser sein können als Lehrbücher, Schulhefte und Kreidetafeln. Die Ergebnisse wollen die Forscher im Herbst vorstellen. Nur, wenn die neuen Medien den alten überlegen sind, soll die Reise weitergehen.

(wat)
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