RP Plus Das sinnlose Leiden der Lundehunde

Düsseldorf · Sie sind bereits zum Tode verurteilt, wenn sie auf die Welt kommen: Zahlreiche Lundehunde sterben eines rätselhaften und schmerzvollen Todes. Doch ihre Zucht ist in Deutschland noch immer erlaubt. Eine besorgte Halterin hat nun den Kampf gegen Zuchtverbände und veraltete Regelwerke aufgenommen.

 Nicole Kamphausen besitzt zwei Lundehunde. Vitani (r.) leidet wahrscheinlich an der gleichen Erbkrankheit wie zahlreiche andere Lundehunde.

Nicole Kamphausen besitzt zwei Lundehunde. Vitani (r.) leidet wahrscheinlich an der gleichen Erbkrankheit wie zahlreiche andere Lundehunde.

Foto: Foto: Sven Grest

Sie sind bereits zum Tode verurteilt, wenn sie auf die Welt kommen: Zahlreiche Lundehunde sterben eines rätselhaften und schmerzvollen Todes. Doch ihre Zucht ist in Deutschland noch immer erlaubt. Eine besorgte Halterin hat nun den Kampf gegen Zuchtverbände und veraltete Regelwerke aufgenommen.

Das müssen andere erstmal nachmachen. Der Lundehund kann seinen Kopf so weit nach hinten werfen, dass er bis an den Rücken reicht. Er kann die Vorderbeine so weit auseinander spreizen, dass sie waagerecht neben seinem Körper anliegen. Und er kann seine Ohren so kunstvoll anlegen, dass sie wirken, als hätten sie einen Knick. Es scheint, als hätte es die Natur besonders gut mit dieser besonderen Hunderasse gemeint. Und dennoch sind die meisten von ihnen dem Tode geweiht. Sie sterben eines jämmerlichen und qualvollen Todes — meist bereits in jungen Jahren. Ist der Lundehund von der Natur mehr gestraft als gesegnet?

Wer diese Frage beantworten will, muss weit zurückgehen in die Geschichte dieses Hundes. Er war schon immer etwas Besonderes: Gezüchtet für die Jagd auf Papageientaucher an den schroffen Küsten der Nordsee benötigte er diese anatomischen Besonderheiten für den Vogelfang. Sechs Zehen an jeder Pfote gaben ihm den nötigen Halt auch an schroffen Felshängen. Doch irgendwann wurden seine Fähigkeiten nicht mehr gebraucht. Vor rund 100 Jahren hatte die Jagd auf Papageientaucher an Bedeutung verloren, die Population der Lundehunde ging zurück. Mit nur fünf Exemplaren begann man in den 1960er Jahren ein Zuchtprogramm, um die Art zu erhalten. Mit zweifelhaftem Erfolg: Die Zahl der Hunde ist in den vergangenen Jahrzehnten zwar gestiegen — doch viele von ihnen erkranken an der gleichen Krankheit. Und ihre Besitzer verzweifeln regelmäßig an ihren Bemühungen, ihre schwachen Schützlinge vor dem sicheren Tod zu retten.

9000 Euro für Hunde-Medikamente

Nicole Kamphausen hatte keine Ahnung, was auf sie zukommen würde, als sie Vitani als kleinen Welpen mit nach Hause nahm. Sie wusste nicht, dass er eines Tages aus heiterem Himmel Blut spucken würde. Dass er eine schwere Entzündung im Darm bekommen würde wie zahlreiche andere Lundehunde auch. Und dass sie viele tausend Euro für Vitanis Medikamente zahlen würde.

"Von einem Gen-Defekt hat nie jemand gesprochen", sagt Kamphausen. "Die Züchter haben immer behauptet, dass Vitani mit dem richtigen Futter nicht erkranken würde." Heute ist sie davon überzeugt, dass ihr Hund nie eine Chance hatte, gesund alt zu werden. Dass er einen angeborenen Gen-Defekt hat, der dafür sorgt, dass er heute das Essen nicht mehr im Magen behalten kann, dass er immer magerer wird und eine schwer geschädigte Niere besitzt.

Bis zu 50 Prozent aller Lundehunde erkranken im Laufe ihres Lebens an der seltsamen Erkrankung, die inzwischen von der Wissenschaft als "Lundehund-Syndrom" definiert wurde. Die genaue Zahl lässt sich nicht feststellen, weil eine vollständige Erhebung bisher noch nicht durchgeführt wurde. Fest steht: Weltweit gibt es heute 1200 dieser Hunderasse, 500 davon leben in Norwegen, weitere 500 in anderen europäischen Ländern, 200 in Amerika. Vieles spricht dafür, dass die Krankheit durch Inzucht unter den fünf Hunden zu Beginn des Zuchtprogramms entstanden ist. Allein: Das entsprechende Gen wurde noch nicht gefunden.

"Obwohl der Erbgang bisher nicht charakterisiert werden konnte, liegt bei einer so großen Zahl erkrankter Hunde der Schluss nahe, dass eine erbliche Disposition für eine Gastroenteropathie beim Lundehund vorliegen muss", schreibt Ingo Nolte, Direktor der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, über die Magen-Darm-Erkrankung, die die Hunde befällt. Doch der Zuchtverband DCNH zögert, als Konsequenz die Zucht der Hunde zu verbieten. "Hunde nach durchgemachter Episode von IL (Lundehund-Syndrom, Anm. d. Red.) können, wenn sie klinisch gesund erscheinen, zur Zucht eingesetzt werden", heißt es in der aktuellen Ausgabe der DCNH-Clubnachrichten, dem Verlautbarungsorgan des Zuchtverbandes. Zwar wartet derzeit eine Änderung des Zuchtprogramms beim Verband für das Deutsche Hundewesen auf Genehmigung. Über den genauen Inhalt des Zuchtprogramms gibt es von Seiten des DCNH allerdings keinerlei Angaben.

Nicole Kamphausen hat inzwischen mehr als 9000 Euro in die Gesundheit ihres Hundes investiert — und dennoch geht es ihm jeden Tag schlechter. Auf ihrem Tisch stehen ein Dutzend verschiedene Medikamente, um die verschiedenen Symptome der Krankheit zu bekämpfen. Ihre Forderung ist radikal, aber konsequent: Es sollten nur noch Tiere für die Zucht verwendet werden dürfen, die nachweislich nicht erkrankt sind oder waren. "Alles andere ist Tierquälerei." Bei einem kürzlichen Treffen von Lundehunde-Haltern in den USA brachten viele ihre Tiere mit. Von 25 waren 23 krank.

(gre)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort