RP Plus Der hässliche Deutsche ist wieder da

Im Ringen um die Rettung des Euro brechen jahrhundertealte Gräben wieder auf: Ausländische Zeitungen überbieten sich mit Merkel-Karikaturen samt Pickelhaube und Hitler-Bart. Das Bild vom hässlichen Deutschen ist zurück.

Karikaturen: Der hässliche Deutsche
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Eigentlich haben wir Deutschen doch alles richtig gemacht. Seit mehr als sechs Jahrzehnten haben wir keinen Krieg mehr vom Zaun gebrochen. Wir sind mustergültige Demokraten geworden und entwickeln politische Leidenschaft allenfalls beim Mülltrennen. Seit unsere Fußballnationalmannschaft ihre Gegner nicht mehr verbissen vom Platz kämpft, sondern mit lockerem Tempospiel besiegt, seit eine gewisse Lena sich auf den ersten Platz beim Eurovision Song Contest geträllert hat, hielten wir uns sogar für beliebt in Europa. Aus und vorbei. Die Stimmung ist plötzlich wieder gehässig und "der Deutsche" wieder hässlich. Er schlägt keine eleganten Pässe mehr und singt keine flotten Chansons, er trägt Pickelhaube und Hakenkreuz. Er macht Angst.

Was ist passiert? Es ist der verbissen geführte Kampf um die Rettung des Euro, der auch die alten, längst vergessen geglaubten Klischees zurückkehren lässt. Zuerst waren es nur einige griechische Linksextreme, die bei Protesten gegen den Sparkurs ihrer Regierung wenig feinfühlige Plakate mit SS-Runen und Fotomontagen von Angela Merkel in Nazi-Uniform in die Höhe hielten. Aber bald tauchten solche Motive auch in der Presse auf. Dass die EU mit Horst Reichenbach einen Deutschen als Sparkommissar nach Athen entsandte, trug dem braven Beamten den düsteren Spitznamen "Drittes Reichenbach" ein. Sein Büro wurde umbenannt in "neues Gestapo-Hauptquartier".

Der rüde Ton machte schnell Schule. Überall dort in Europa, wo gegen harte Einschnitte in Folge der Schuldenkrise protestiert wurde, war er auch da, der hässliche Deutsche — oder genauer gesagt die hässliche Deutsche. Denn im Zentrum des Unmuts steht Angela Merkel. Ihre Weigerung, dem Wunsch der europäischen Partner nachzugeben und das Schuldenproblem über den Einsatz der Notenpresse zu lösen, sorgt für Empörung. Im besseren Fall hält man die Deutschen für egoistisch; im schlimmeren für hegemonial veranlagte Erpresser.

"Aufstieg des Vierten Reichs"

Deutschland, so lautet die steile These, nutze seine Schlüsselrolle bei der Lösung der Euro-Krise, um dem Rest des Kontinents seinen Willen aufzuzwingen. Nach dem Motto: Was Deutschland im vergangenen Jahrhundert mit Waffen nicht geglückt ist, gelingt ihm jetzt mit seinem Geld. "Wenn Clausewitz Recht hat und Krieg die Weiterführung von Politik mit anderen Mitteln ist, so ist Deutschland wieder im Krieg mit Europa", ätzte unlängst die konservative "Times".

Die deutsche Politik, so war dort allen Ernstes zu lesen, versuche "in Europa charakteristische Kriegsziele zu erreichen — die Verschiebung internationaler Grenzen und die Unterwerfung fremder Völker." Die Kollegen von der "Daily Mail" gingen gleich noch einen Schritt weiter und ängstigten ihre Leser mit dem "Aufstieg des Vierten Reichs".

Da mochte man sich noch damit trösten, dass das German bashing eben zur britischen Folklore gehört. Aber inzwischen fallen uns auch unsere französischen Erzfreunde in den Rücken. Seit Staatspräsident Nicolas Sarkozy in seiner finanziellen Not Deutschland zum Vorbild ausgerufen hat und seinen Landsleuten mit Verweis auf den großen Nachbarn großzügig Blut, Schweiß und Tränen verspricht, ist es vorbei mit der Sympathie.

Sarkozy als Merkels Pudel

Das "deutsche Modell" hat man früher jenseits des Rheins nicht unbedingt gemocht, aber man hat es heimlich bewundert. Seit die Franzosen begriffen haben, was es bedeutet, nämlich den Abschied von vielen liebgewonnenen sozialen Wohltaten, fürchten sie es. Und die politischen Eliten hadern mit dem Bedeutungsverlust der stolzen Nation. Während die französischen Karikaturisten Präsident Sarkozy mit Wonne als Merkels Pudel verhöhnen, maulte selbst einer seiner Minister "über diese Deutschen, die alles dominieren".

Dass ausgerechnet der Euro, einst im Pariser Elysée-Palast ersonnen als Mittel, um das wiedervereinigte Deutschland zu bändigen, Berlin jetzt in die europäische Chef-Rolle katapultiert, schmerzt. Ganz besonders jene, die einst den Plan mit ausgeheckt haben, Leute wie Jacques Attali. Der frühere Berater des französischen Präsidenten François Mitterrand bemühte dieser Tage einmal mehr die blutige Vergangenheit Europas und verstieg sich nach einer gewundenen historischen Analyse zu einer düsteren Warnung Richtung Berlin: "Heute ist es wieder Deutschland, das die Waffe zum kollektiven Selbstmord des fortschrittlichsten Kontinents der Welt in seiner Hand hält."

Da mochte auch Arnaud Montebourg, der Wadenbeißer der französischen Sozialisten, nicht nachstehen, und schwadronierte munter über den neuen "deutschen Nationalismus". Nach einem kurzen Blick in die Geschichtsbücher befand er: "Madame Merkel macht eine Politik wie Bismarck". Soll wohl heißen, Frankreich bangt 140 Jahre nach der Schlacht von Sedan erneut um Elsass-Lothringen.

Keine imperiale Bedrohung

Nun muss man einwenden, dass sich Frankreich bereits im Präsidentschaftswahlkampf befindet. Das erklärt so manche wirre Äußerung. Erstaunlich bleibt trotzdem, wie plump die Argumente für das neue Deutschland-Bild sind. Und wie frisch die alten Ressentiments. Die haben sich im Ersten Weltkrieg verfestigt, als das Schreckgespenst von den mordbrennenden teutonischen "Hunnen" im Rest Europas volkstümlich wurde. Nach 1945 ergänzte das Hakenkreuz die preußische Pickelhaube, der hässliche Deutsche meinte seither den "ewigen Nazi", verewigt als pedantischer Sadist in Hollywood-Filmen und von englischen Fußball-Fans verhöhnt in wüsten Schlachtgesängen, die hierzulande wohl den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen würden. Trotzdem werden wir Deutschen in Wirklichkeit nicht mehr als imperiale Bedrohung wahrgenommen.

Unsere Nachbarn wissen sehr gut, dass der einzige Territorialgewinn, den wir uns heute noch zutrauen, mit auf Liegestühlen platzierten Handtüchern ausgefochten wird und nicht mit Kanonen. Was sie in diesen Tagen aufregt, ist der Tonfall, der sie an den Befehlsstakkato deutscher Herrenmenschen in den Nachkriegsfilmen erinnert. Jahrzehntelang haben deutsche Regierungen eine kluge Politik betrieben, haben gut zugehört und mit leiser Stimme gesprochen. Deutschland ist sehr gut damit gefahren. Jetzt stellt sich plötzlich ein Volker Kauder hin, ein durchaus besonnener und keineswegs geschichtsvergessener Mann, und verkündet auf einem CDU-Parteitag: "Auf einmal wird in Europa deutsch gesprochen." Kein Satz, ein Sprengsatz. Denn jenseits unserer Grenzen verstanden ihn viele als Ultimatum: Werdet gefälligst wie wir Deutschen!

Am deutschen Wesen soll Europa genesen? Natürlich ist das alles nicht so gemeint, ein großes Missverständnis. Es geht doch nur darum, das Richtige zu tun, um den Euro zu retten. Aber das ist wahrscheinlich wieder typisch deutsch gedacht und gesagt — zu schroff, zu rechthaberisch. Hoffentlich geht diese Euro-Krise schnell vorüber. Dann ist wieder Platz für Fußball und Chansons.

(seeg)
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