RP Plus Der Supermarkt der Liebe

Wer begleitet mich zu Ikea und warum wollt Ihr alle mit mir auf Weltreise? – unsere Autorin versucht einen Monat lang, im Internet einen Mann kennenzulernen.

 Die Auswahl an potentiellen Partnern scheint im Internet zwar groß — die Entscheidung für den Richtigen wird dadurch aber nicht unbedingt leichter.

Die Auswahl an potentiellen Partnern scheint im Internet zwar groß — die Entscheidung für den Richtigen wird dadurch aber nicht unbedingt leichter.

Foto: Grafik: Phil Ninh

Wer begleitet mich zu Ikea und warum wollt Ihr alle mit mir auf Weltreise? — unsere Autorin versucht einen Monat lang, im Internet einen Mann kennenzulernen.

Meine Freundin Nora und ich sitzen in einem Café in Berlin-Mitte und trinken Sekt-Aperol. "Na, wer schreibt?", fragt sie, als mein Handy erneut piept. "Wenn es der Geschäftsführer oder Mr. Vollbart sind, bestelle ich gleich noch eine Runde." Es ist der 30. April und der letzte Tag meines Flirt-Experiments. "Mir egal, antworte du bitte", sage ich. "Es sei denn, es ist der Café-Chef." Nach vier Wochen Online-Dating bin ich flirtmüde. Ohnehin hat Nora das bessere Händchen von uns beiden: Im Gegensatz zu mir hat sie sich in diesem Monat verliebt. In ihren Arbeitskollegen.

"Mr. Vollbart schreibt", sagt Nora. "Er fragt, ob du morgen mit ihm frühstücken willst und ob er dich dazu heute Abend um Acht abholen darf. Haha." Ja, sehr originell. "Ich hätte ihn nur einmal treffen sollen. Jetzt werde ich ihn nicht mehr los." Er war eines von vier Blind-Dates gewesen, die ich diesen Monat gehabt hatte. Alle irgendwie unterhaltsam, aber selbst bei meinem Feuerzeug hatte es mehr gefunkt.

"Dein Flirtmonat konnte ja nur scheitern", sagt Nora. "Wer zu viele Kerle gleichzeitig anflirtet, übersieht doch die wirklich spannenden. Das war alles inflationäres, oberflächliches Kennenlernen. Und nun hör auf, mit dem Kellner rumzuschäkern, während ich mit dir rede." Vor Aufregung verschüttet sie ihren Sekt auf mein Bein. "Ich mache doch gar nichts, die flirten alle mich an", sagte ich. Irgendwie hatte sich diesen Monat alles verselbstständigt. Ich flirtete nur noch. Ich war süchtig danach.

Die Freundin schwört auf Online-Dating

Begonnen hatte alles in diesem Café vor vier Wochen. Wir lachten über eine Parship-Anzeige mit dem Slogan "Ich will eine Frau, die bei Kultur nicht an ihre Joghurts denkt." Erst haben wir uns amüsiert, dann über die Vor- und Nachteile des Online-Dating diskutiert. "Da findest du mal jemanden, der ernsthaftes Interesse an dir hat und nicht nur an deinem Hintern", sagte sie. Nora schwört auf Online-Dating. Ich verachte es. Deshalb sagte ich ihr: "Das Internet ist ein riesiger ,Supermarkt der Liebe', stand gerade wieder irgendwo. Totale Überforderung, Massenkonsum, Entscheidungsfaulheit, keine Umtauschgarantie, planloses Greifen zum ständig falschen Männerprodukt!"

Doch Nora liebte nicht nur Shoppen, sondern war vom Matching-System überzeugt. "Bei ElitePartner, Parship und allen anderen Börsen wird aber doch ein passender Kerl auf deine Bedürfnisse und deine individuelle Beziehungsgestörtheit zugeschnitten. Perfekt für dich." Niemand würde dort perfekt sein. Die perfekten Menschen sind alle liiert.

Trotzdem nahm ich mir vor, einen Monat lang eine Mitgliedschaft in einer großen Partnerbörse abzuschließen und parallel intensiv bei Facebook Ausschau zu halten. Dann würden wir ja sehen. Ich räumte meine Facebook-Pinnwand auf, aktualisierte mein Profilfoto und postete nur noch kluge Zitate von Philosophen im Wechsel mit eindeutigen Vorlagen für Single-Männer. Allein auf mein Gesuch, wer mich zu Ikea begleiten will, folgten drei Einladungen von Männern. Ich nahm die des vielversprechendsten Single-Manns an, der mich jedoch mit dem Auto seiner Ex-Freundin abholte. Er war vor noch nicht mal zwei Wochen ausgezogen. Ich wollte kein Kompensationsdate sein. Immerhin trug er meine Einkäufe in den vierten Stock.

Betriebswirt mit Minipli

Dann also doch erstmal die klassische Partnerbörse? Ich beantwortete akribisch alle 100 Fragen, studierte anschließend die erschreckende 30-seitige Analyse, die Gründe meines langjährigen Single-Daseins liefern wollte. Danach rebellierte ich innerlich und füllte mein Profil sehr ehrlich aus. Man konnte beispielsweise eine konkrete Frage an potentielle Interessen formulieren. "Wieso bist du hier? Findest du offline auch niemanden?" Schon nach zwei Stunden hatte ich zwölf E-Mails. Eine langweiliger als die andere. Ein 55-jähriger Arzt behauptete von sich: "Das Besondere an mir ist, dass ich Neues spannend finde und gerne andere dafür begeistere - oder mich begeistern lasse." Ein anderer flirtete mit dem Copy & Paste-Prinzip: "Liebe Unbekannte, ich würde Sie gern kennen lernen, denn ich finde Ihr Profil interessant. Ihr Profil gefällt mir! Gerne würde ich wissen, wer sich dahinter versteckt und Ihr Foto sehen." Mit diesem Betriebswirt mit Minipli und randloser Brille wollte ich keine Fotos austauschen. Und auch nicht mit dem durchaus solventen, aber extrem alten Privatier, der eine Begleitung für seinen letzten Lebensabschnitt suchte. Er fand mein "Profil interessant", ich sei eine "interessante Frau" und habe "sein Interesse geweckt". Er jedoch nicht meins. Ebenso wenig wie der Projektmanager, der von einer Weltreise träumte. In den darauffolgenden Tagen entdeckte ich noch sieben weitere Männer, die unbedingt eine Weltreise machen wollten.

Der Angeber Leo schrieb: "Den Killi kenne ich schon. Wo möchtest du hin? LG (aktuell aus FFM) L." Manche Männer schienen so hektisch durch die Profile zu jagen, dass sie nicht mal genügend Zeit für nette Abschiedsfloskeln hatten. Ich antwortete ebenso einsilbig und abgehackt. "NYC, Dom.-Rep. oder Meck.-Pomm." Er antwortete nie wieder. Dafür antwortete Micele auf meine Nachfrage, was er denn genau für ein Abenteuer-Typ sei. "Meine Abenteuer sind rein berufsbezogen..also stinklangweilig...Gute Nacht..." Letzteres dachte ich dann auch. Rainer, 38, geschieden mit zwölfjährigem Sohn, fragte dagegen ganz offensiv, ob ich im Bett "kreativ" sei und wie ich es mit der Treue halte. Ich wette, er hat seine Ex-Gattin betrogen. Ich antwortete nicht.

Ratlos wandte ich mich an Nora: "Wieso wollen alle Männer eine Weltreise machen? Und wollen die das wirklich, oder glauben die, wir Frauen sehnen uns nach dem wilden Abenteurer, der sich mutig durch den Dschungel kämpft? Mich würde ja schon ein Ausflug nach Mecklenburg-Vorpommern glücklich machen, sofern der Mann nicht nur labert, sondern auch handelt." Nora wusste eine Antwort: "Vielleicht liegt es daran, dass du zu jung fürs Online-Dating bist. Eine neue internationale US-Studie zeigt eine klare Tendenz für liebeshungrige Silver Surfer. Das ist ein wenig so, als würdest du zu einer Ü50-Party gehen. Kein Wunder, dass du nur ältere Männer findest oder welche in der Midlife-Crisis."

Couch-Kartoffel Lars

Ich recherchierte nach: Bereits 39 Prozent aller verzweifelten Singles, die sich auf US-Dating-Sites rumtreiben, sind über 55 Jahre alt; 37 Prozent zwischen 45 und 54 Jahren. Ich war gerade mal 32 Jahre. Ich bin zwar nicht mit dem Handy aufgewachsen, aber lebe, seit ich erwachsen bin, quasi online. Ich bin also ein Digital Native und gehöre in ein Soziales Netzwerk und nicht in eine Partnervermittlung. Mein künftiger Ehemann steckt sicher unter meinen Facebook-Freunden. Klassisches Dating war offenbar vor allem für "die zweite Runde" ideal. Das bedeutete: Die Familiengründung war abgehakt und jetzt lebte man geschieden mit erwachsenen Kindern irgendwo auf dem Land. Ohne Frage, für reife, beziehungserfahrene "Silver Surfer" ideal, aber nicht für mich als Single-Frau in der Großstadt. Kein Wunder, dass mich Männer kurz vor dem Ruhestand wenig reizten. Und die paar Exemplare mitten in ihrer Midlife-Crisis schon gar nicht. "Hey du, Bock auf einen Chat nebenbei? Ich gehe nicht mehr soviel aus, weil mein Job zu stressig ist und mache es mir lieber vor dem Flat gemütlich. Magst du Blue-Ray?" Ich dachte erst an einen Kinofilm oder eine Serie bis ich verstand, dass Lars offenbar eine Couch-Potatoe war, der DVD's statt Frauenherzen sammelte. No, thanks.

Nora hatte noch eine weitere Untersuchung zur Hand: "Es gibt eine neue Studie, die besagt, dass man attraktiver erscheint, je mehr hübsche Facebook-Freunde man hat. Ich glaube, das trifft auch auf dich zu. Ständig schreiben dich da Typen an. Unglaublich." Nora hatte Recht. Mir war es nur nie wirklich aufgefallen. Drei Männer waren seit Monaten mit nichts anderem beschäftigt, als mich regelmäßig anzustupsen. Und seit ich entschieden hatte, Facebook auch beruflich zu nutzen, vermischten sich immer mehr Kontakte zu lockeren Duz-Freundschaften ohne "Hallo" oder "Ciao". Aus seriösen Mails waren Einzeiler geworden, häufig ohne großen Informationsgehalt. Hier schrieben mir viele Männer: Singles, Jobkontakte, Liierte und werdende Väter.

Sie tippten: "Na, wie schaut's aus?" oder "Wie war dein WE?" oder ähnlich uninspirierte Halbsätze, mit denen sie meine Aufmerksamkeit erlangen wollten. War das Langeweile oder war das schon Flirten? Laut einer Studie glauben 65 Prozent aller Singles, dass man online Menschen kennenlernt, die man sonst niemals treffen würde. In vielen Facebook-Fällen war es auch besser, da die Herren mit mir flirteten, obwohl sie eine Partnerin hatten. Dennoch mochte ich die ungezwungene Atmosphäre meiner Facebookflirts. Einige schickten Herzchen, fast alle Smileys, manche Links zu Liedern, andere stupsten parallel mit jeder Nachricht. Wie ernst es ihnen war, konnte ich schnell erkennen: Die, die mich wirklich interessant fanden, denen gefiel auch alles, was ich postete. Doch ich fragte mich, ob wir uns je im realen Leben berühren würden. Eher nicht. Lieblose Mails wie die von Hans, der mein Foto bei einem Kumpel entdeckte und der schrieb "Hey, ich hab deinen Artikel über "nullten Sex" gelesen. Wann zeigst du mir dein Berlin?" Für solche Männer wie ihn wurde "nullter Sex" erfunden.

Ich schlief mit schlechtem Gewissen ein

Als ich meiner Freundin Nora verkündete, dass angeblich neun Millionen Deutsche über das Internet einen festen Partner gefunden hätten, fühlte sie sich bestätigt: "Tja, du kommst vielleicht zu spät und der Markt ist schon heillos abgegrast." Das sah ich anders. Denn neun Millionen klang zwar nach einer beeindruckenden Summe Liebeshormone, aber ich hatte genug gelesen, um daran zu zweifeln. "Was bedeutet schon, dass Millionen Deutsche liiert sind, wenn sie weder glücklich noch treu sind?" Und ganz ehrlich: irgendwie fühlte ich mich langsam selber wie eine notorische Fremdgeherin, weil ich mit duzenden Männern gleichzeitig flirtete. Oft lag ich nachts im Bett, checkte meine Mails und schlief mit schlechtem Gewissen ein, falsche Hoffnungen zu schüren. Aber dann traf ich das nächste Date, das erfolgsversprechend schien. Geschäftsführer und ein Jobkontakt, den ich bei Facebook geaddet hatte. Nach einem romantischen Abend war ich ein bisschen verschossen. Seine Worte "Bis bald, Baby" klangen erst süßlich, aber nach zwei Wochen Funkstille wurde ich immer enttäuschter. Wie gut, dass Facebook schnell Ersatz lieferte.

Denn viele flirtwillige, potentiell eher unzufriedene Liierte, treiben sich unauffällig bei Facebook rum. Schließlich eignet sich eine vermeintlich nur "soziale" Plattform ideal für heimliche Flirts. Keine Mitgliedschaftsbeiträge, kein Erwischtwerden auf peinlichen Websites, sondern sehr offizielles Herumsurfen auf Facebook. Schatz wird es niemals erfahren. Ein Familienvater schrieb mir nachts um 3 Uhr: "Na du, was macht das Leben?" Er stupste mich an. Ich reagierte mit einer Mischung aus Mitleid und Neugier und fragte, wie es seinem frisch geborenen Baby gehe. Er ignorierte die Frage, stupste mich wieder an und schlief neben seiner Frau ein. Ich hatte langsam genug von den Liierten, aber schließlich wollte ich nur wissen, wie weit sie gehen. Persönlich halten wollte ich mich an die Singles. Nur wo waren die beziehungsfähigen, ungebundenen, liebenswerten Männer? Offenbar sah ich sie nicht online. Dann vielleicht offline.

Reale Flirts werden virtuell

In der letzten Woche meines Flirtexperiments ging ich mit Nora in eine Bar, denn die ganzen Privatiers und Familienväter waren alles, nur kein Mr. Right für mich. Ich lernte tatsächlich einen Mann an der Theke kennen, der mich noch nachts bei Facebook addete. Auch reale Flirts verlagern sich unweigerlich sofort zu virtuellen. Bis wir uns wiedertrafen. Er war mein viertes Date, aber das Wiedersehen verlief nicht gut. Ich hatte vergessen, dass ich nicht auf Männer unter 1,80 Meter stehe und hatte ihn zuvor leider auf einem Barhocker sitzen sehen.

Das Online-Dating frustrierte mich, weil mich so gar niemand anzog. Ich spürte ohnehin, dass Facebook ein gewaltiger Flirtmarkt war. Und wie die "New York Times" gerade berichtete, wenden sich Menschen zwischen 18 und 34 Jahren immer stärker von den offiziellen Dating-Plattformen ab. Wenig überraschend, denn sie treiben sich ja eh dort herum. Wird Facebook die teuren Datingportale irgendwann gar überflüssig machen? Liegt nahe, denn anhand unseres Beziehungsstatus, unserer Interessen, unserer eingecheckten Orte fehlt eigentlich nur das Facebook-Love-Matching-System und sofort würden mir automatisch geeignete Männer als "Singles, die zu dir passen könnten" vorstellt. Aber will ich das? Denn das gezielte Suchen schürt wieder einen fahlen Nachgeschmack von Erwartungen, die ein lockeres Mailen eben nicht hat.

Mir wurde es allmählich zu oberflächlich und ich erschrak über mein eigenes Verhalten. Ich war fast enttäuscht, wenn ich an einem Tag keinen Einzeiler im Postfach hatte. An solchen Tagen postete ich zweideutige Steilvorlagen und dachte insgeheim, wie armselig mein Gehasche nach männlicher Aufmerksamkeit doch sei. Die Offline-Variante wäre in etwa, mit einem Mega-Dekolleté in eine Fußballkneipe zu gehen. Nein, das hatte ich eigentlich nicht nötig. Und die Männer auch nicht. Und die Liierten unter ihnen sollten gefälligst nicht mehr "gefällt mir" klicken, sondern Windeln wechseln.

Niemand zum Verlieben in Sicht

Ich brauchte eine andere Meinung und zwar die von meinem einzigen Anti-Facebook-Freund Jonathan. Vor Monaten hatte er mit mir geschimpft, weil ich ungefragt ein Foto von ihm hochgeladen hatte. Seitdem kommunizierten wir nur per Anruf und treffen uns. Er lebte, liebte und flirtete eben offline. "Wurdest du schon mal online angeflirtet?", fragte ich ihn. Jonathan sieht unglaublich gut aus. 90 Prozent meiner Freundinnen seufzen bei seinem Profilfoto. "Quatsch, aber ich adde auch niemanden, den ich nicht vorher zum Kaffee getroffen habe. Solltest du auch mal so halten."

Der Flirtmonat endete und es wurde Zeit für ein Fazit: Nora hatte sich in ihren Arbeitskollegen verliebt. Und ich? Hatte mit 47 Männern per Dating-Plattform geschäkert und keinen davon getroffen. Bei Facebook mailte ich mit 24 Männern, von denen ich nur 16 vor meinem Flirtmonat begegnet war; sechs davon waren liiert, mit drei Männern hatte ich mich verabredet. Einen Mann hatte ich offline kennengelernt, aber auch das war nicht mehr als ein loser Flirt geworden. Weit und breit war niemand Ernsthaftes zum Verlieben in Sicht.

"Meinst du, dass sich auch keiner der Männer irgendwie in dich verguckt hat?" Nora verwirrte mich. "Nein, auf keinen Fall." Dazu war ich viel zu unverbindlich gewesen. Und wohl zu abweisend. Den wenigsten hatte ich eine Chance gegeben.

Am 1. Mai fasste ich einen Entschluss. Ich löschte meinen Dating-Account, ohne Abschiedsbriefe an die Privatiers und Ärzte. Anschließend entfernte ich schweren Herzens alle Facebook-Freunde, die ich noch nie im Leben getroffen hatte. Und abends ging ich mit Nora, ihrem neuen Freund und Jonathan essen. Vollkommen befreit von dem ganzen Flirt-Ballast war ich plötzlich immun gegen den zwinkernden Kellner. Nur ein bisschen schwach wurde ich. Bei Jonathan.

(seeg)
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