RP Plus Die gekaufte Meinung im Netz

Düsseldorf · Wer im Internet einkauft, verlässt sich oft auf die Meinung anderer Kunden. Doch eine neue Studie zeigt: Zahlreiche Userbewertungen bei Amazon, Ebay & Co. sind manipuliert, um die Kaufentscheidungen zu beeinflussen. Wie funktioniert die Fälschungsindustrie? Und wie können User sich schützen?

 Eine neue Studie zeigt: Nicht alle Kundenbewertungen im Internet sind vertrauenswürdig.

Eine neue Studie zeigt: Nicht alle Kundenbewertungen im Internet sind vertrauenswürdig.

Foto: Grafik: Martin Ferl

Wer nicht genau hinsieht, entdeckt den Betrug gar nicht. Das Naturhotel in Südtirol sieht auf dem Foto schön aus, die Kundenbewertungen des Internetportals "HolidayCheck" loben das 4-Sterne-Resort wegen seiner ausgezeichneten Gastronomie und dem besonderen Service. Von den 21 Gästen, die eine Bewertung hinterlassen haben, würden 86 Prozent das Hotel weiterempfehlen. Doch wer sich nun entscheidet, seinen zweiwöchigen Urlaub dort zu verbringen, sollte genau auf das graue Symbol im linken unteren Bildrand achten. "Vorsicht! Manipulationsverdacht!" steht dort geschrieben. Manches Angebot im Internet sieht auf den ersten Blick schöner aus, als es in der Realität ist.

Als einer der ersten Onlinehändler kämpft der Reiseanbieter Holidaycheck öffentlich gegen die Manipulationen bei Kundenbewertungen. "Sollten unsere User mutwillig getäuscht werden, ziehen wir auch strafrechtliche Konsequenzen in Betracht", heißt es auf der Webseite von Holidaycheck. Alle Hotels, bei denen es einen begründeten Verdacht gibt, dass die Gästebewertungen nicht auf ehrliche Weise entstanden sind, werden mit einem "Vorsicht"-Schild gekennzeichnet. Ein erster wichtiger Schritt für mehr Sicherheit und Transparenz beim Abschluss von Online-Geschäften.

200 Fälle von Internetbetrug pro Tag

Wer im Internet Gegenstände kauft, Reisen bucht oder für Software bezahlt, verlässt sich häufig auf die Bewertungen anderer Kunden. Doch bei eBay, Amazon & Co. gibt es zahlreiche professionelle Betrüger, die mit illegalen Methoden ihren Profit steigern wollen. Das Perfide: Wer davon nichts ahnt, wird allzu schnell Opfer der Fälschungsindustrie. Die bundesweite Kriminalstatistik der Polizei führt für das vergangene Jahr 71.630 Fälle von Warenbetrug im Internet auf, das sind knapp 200 Fälle pro Tag. 22 Millionen Menschen haben 2010 Weihnachtsgeschenke im Internet gekauft, in diesem Jahr werden es noch mehr sein. Wer keine böse Überraschung erleben will, muss beim Internet-Kauf wesentlich vorsichtiger sein als bisher. Denn die Zahl der Online-Betrüger wächst rasant. Und auch ihre Möglichkeiten, Meinung zu manipulieren.

Eine neue US-amerikanische Studie hat untersucht, wie Meinung im Netz gemacht wird und Massen mobilisiert werden können. Bei der Analyse diverser Postings ist sie auf ein bislang nur wenig beachtetes Geschäftsmodell gestoßen: In den USA meist nur versteckt, in China aber ganz offen hat sich bereits ein großer Wirtschaftszweig mit dem professionellen Online-Betrug etabliert. Die Wissenschaftler der Universität Kalifornien gehen von einer stark steigenden Gefahr durch Bewertungs-Manipulationen aus. So sind sie in China auf das Webportal Zhubajie, das bereits seit fünf Jahren exisitert, und die erst vor einem Jahr gestartete Seite Sandaha gestoßen. Beide bieten das sogenannte "Internet Marketing" an. Hinter dem positiv klingenden Begriff versteckt sind nur eins: das zielgerichtete Genererien von Postings in sozialen Netzwerken, Blogs oder Foren.

Das Prinzip: Ein Auftraggeber schreibt in dem Portal, was genau er im Internet bewerben möchte — beispielsweise ein Produkt, eine Webseite oder ein Online-Angebot — und gibt dafür einen Zeitrahmen vor. Das Portal selbst ist dabei mehr oder weniger ein Vermittler, bei dem viele private Internet-User angemeldet sind. Sie nehmen den Auftrag an und machen sich dann meist innerhalb von 24 Stunden an die Arbeit. Und das heißt, sie fangen an, Meinung im Internet zu machen. Sei es in Foren, sozialen Netzwerken wie Facebook oder Google+, Onlineshops oder Kurznachrichtendiensten wie Twitter. Bezahlt werden sie dafür pro Klick oder Eintrag von dem Portal. Das wiederum kassiert bei dem Auftraggeber.

In ihrer Arbeit beschreiben die US-Experten vier Experimente, die man testweise gestartet hätte. So konnte man bei einem Elektronikhandel mit einem angeblichen Sonderangebot für ein iPhone 4S innerhalb von drei Tagen auf diese Art des "Internet Marketings" mehrere Hundert Clicks zusätzlich generieren. Allein der Verkauf eines mehrere Hundert Dollar teuren Geräts hätte die Kosten von nur 45 Dollar sofort wieder aufgewogen. Ob das Angebot es indes es tatsächlich wert ist, beworben zu werden, spielt keine Rolle. Was zählt, ist nur der Auftrag.

Wie sicher kann man dann noch wirklich sein, dass eine Bewertung und Meinung auf Facebook, bei eBay und Twitter echt ist? Die Antwort darauf ist einfach: Man kann es nicht. Aber bislang konnte man auf die Masse der User im Netz vertrauen. Darauf, dass eine Person gar nicht die Möglichkeit hat, sich unter Tausenden oder Millionen Nutzern mit seiner Meinung durchzusetzen und eine Bewertung zu manipulieren. Schließlich wäre es nur eine Stimme gewesen, die einfach untergehen würde. Wer zur Manipulation auf die Hilfe von Scripts oder Bots setzt, um automatisiert buchstäblich eine "Menge" Meinung zu machen, um soziale Portale oder Online-Läden mit Bewertungen und Kommentare zu spammen — der konnte sicher sein, relativ schnell entdeckt zu werden. Dafür arbeiten solche Bots zu simpel und sind die Schutzmechanismen zu gut, die ähnlich lautende Posts als vom Computer generiert erkennen.

Nein, die Gefahr liegt woanders. Sie liegt darin, was Professor Ben Zhao, Leiter des oben genannten Wissenschaftler-Teams von der Universität Santa Barbara, "Crowdturfing" nennt. Ein Kunstwort, das frei übersetzt "Massen-Meinungsmache" heißt. Zhao und seine Kollegen haben es in ihrer Arbeit erfunden, um eine neue Entwicklung im Netz zu beschreiben: den Trend zur gekauften Meinung.

"Internet Marketing" aus China

Das Problem dabei: Alle ausgeklügelten Schutzmechanismen der verschiedenen Portale gegen Spam greifen nicht mehr, weil sich hinter jedem Eintrag ein echter Mensch verbirgt, der auf Nachfragen reagieren kann. So lassen sich für wenig Geld sehr ertragreiche Kampagnen starten. Das funktioniert indes nur, weil es aufstrebende Schwellenländer mit einer guten Internet-Infrastruktur, aber niedrigen Gehältern gibt. Dort hat eine breite Masse die Möglichkeit, online zu sein. Eine Masse, die gleichzeitig bereit ist, für in der Regel nur ein paar Cent pro Klick oder Eintrag Aufträge zu übernehmen. Meist verfolgen solche User gleich mehrere Projekte gleichzeitig, damit es sich für sie lohnt.

Mittlerweile gibt es starke Indizien dafür, dass es viele Menschen in den Schwellenländern gibt, die Crowdturfing hauptberuflich betreiben. Mit jeweils mehr als hundert Accounts in den sozialen Netzwerken und Portalen, die sie geschickt managen. Sonst wären sie längst aufgeflogen und würden nicht mehr von dem florierenden Geschäft profitieren. Die beiden chinesischen Portale Zhubajie und Sandaha beispielsweise haben in den vergangenen fünf Jahren mit dubiosen Methoden des Internet Marketings vier Millionen Dollar umgesetzt — mit stark steigender Tendenz seit 2010. Das Crowdturfing scheint sich langsam herumzusprechen.

Die Risiken des Crowdsourcings

Für Dr. Thomas Pleil, Professor für Öffentlichkeitsarbeit an der Hochschule Darmstadt, ist das aber die Perversion eines an sich guten Gedankens — des Crowdsourcings oder "Massen-Auslagerung". Dahinter steckt das Einbinden der Intelligenz, Zeit und Rechnerkapazitäten der Internet-User in diverse Fragestellungen wie dem Berchen von Klima-Modellen, bei der Lösung von Problemen oder für Routineaufgaben. Oftmals ehrenamtlich. Sollten künftig häufiger spektakuläre Fälle des Crowdturfings in Deutschland auftreten, "vertraue ich auf die Kontrolle durch die breite Masse der User im Internet, die das früher oder später aufdecken würde". Für das betreffende Unternehmen "wäre das ein PR-Desaster, der Schuss würde nach hinten losgehen".

Ganz so optimistisch ist Ben Zhao in den USA nicht. "Solange das Crowdturfing sich auf relativ wenige Beiträge beschränkt, ist es fast unmöglich, es zu entdecken", sagt der Computerwissenschaftler gegenüber RP Plus. Nur wenn es überhand nimmt, plötzlich eine große Zahl positiver oder auch negativer Meinung wie aus dem nichts erscheinen, wäre das ein Indiz für die gekaufte Meinung. Denn "es ist unwahrscheinlich, dass eine große Zahl von Usern in sehr kurzer Zeit alle auf einmal einen Kommentar oder Beitrag zu einem Produkt verfassen". Weil aber Organisation, die für Crowdturfing bezahlten, schnell einen Erfolg sehen wollten, wäre diese plötzliche zielgerichtete Meinungsfreunde im Internet ein mögliches Indiz — aber noch lange kein Beweis.

Kunden, die in Deutschland Internetshops wie Amazon und eBay nutzen, könnten sich zurücklehnen, wenn die Bewertungsfälscher lediglich auf anderen Kontinenten aktiv wären. Doch es gibt auch hierzulande immer mehr Fälle, in denen Kommentar-Manipulationen nachgewiesen werden. "Wir bekommen regelmäßig Hinweise auf falsche Bewertungen auf Onlineportalen", sagt Michaela Zinke, Online-Expertin vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Besonders in der Hotelbranche würden viele Fälschungen entdeckt.

Dass sich das Crowdturfing so rasant ausbreitet, liegt vor allem daran, dass es dabei immer um viel Geld geht. Wenn in Apples AppStore eine App ausschließlich schlechte Bewertungen erhalten hat, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie gekauft wird, enorm. Dass hinter der Negativbewertung vielleicht kein enttäuschter Nutzer, sondern der Konkurrenzanbieter eines ähnlichen Angebots stecken kann, ahnt der Leser meist nicht.

Woran man Betrüger im Netz erkennt

Gibt es also keine Möglichkeit, den gefälschten User-Bewertungen auf die Schliche zu kommen? Zumindest gibt es eine Reihe von Indizien, die auf solche Manipulationen hinweisen. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) rät darum, auf folgende Punkte zu achten:

-Ist die Zahl der Bewertungen ausreichend groß? Hat ein Produkt nur drei Kundenbewertungen und die geben auch noch die maximale Punktzahl, ist Vorsicht geboten.

-Sind die Formulierungen zu perfekt? Ein deutlicher Hinweis auf eine gefälschte Kundenbewertung ist oftmals eine deutlich lobende und geschliffene Sprache, wie sie in Katalogen zur Produktwerbung verwendet wird. In echten Bewertungen kommen häufiger konkrete Begriffe wie "Badezimmer" und "Preis" vor. Fälschungen dagegen fallen durch Beschreibungen wie "Urlaub", "Geschäftsreise" oder "mein Ehemann" auf.

-Finden sich die gleichen Bewertungen auch woanders? Wer sich die Mühe macht und einen Bewertungskommentar in eine Suchmaschine eingibt, findet die gleiche Formulierung womöglich auch bei zahlreichen anderen Produkten und Dienstleistungen. Deutliches Zeichen dafür, dass Fälscher am Werk waren.

Nun kann man das Produktmarketing noch als ärgerlich, aber nicht unbedingt als gefährlich ansehen. Doch was für Produkte funktioniert, lässt sich genauso gut benutzen, um Politik zu beeinflussen. Zumindest in den USA "gibt es bereits Beweise dafür, dass politische Meinung übers Netz gemacht wird, ohne dass wirklich eine Masse von Wählern oder eine Bewegung dahinter stehen würde", warnt Zhao. Ein Beispiel ist die Unterstützung für John McCain im US-Präsidentschaftswahlkampf 2008 oder auch angebliche Mehrheits-Positionen der US-Bürger, die von der ultrakonservativen Tea-Party-Bewegung vertreten werden. Noch steckt da kein professionelles Crowdturfing hinter. Wenn es aber eines Tages so weit sein sollte, dann "ist es nahezu unmöglich für Medien oder eine unabhängige Organisation solche Kampagnen zu entdecken, selbst wenn sie aktiv nach Beweisen dafür suchen würden", warnt Zhao.

Ein noch junges Beispiel stammt aus Großbritannien, als sich Anfang Dezember Journalisten der Zeitung "Independent" als Vertreter der usbekischen Regierung ausgaben, die das Image ihres Landes verbessern wollten. Das PR-Unternehmen Bell Pottinger bot seine Hilfe an — für eine Million Dollar. Dafür sollten unter anderem negative Suchergebnisse im Internet über vermeintlich unabhängige Blogs stark reduziert werden. Zudem steht Bell Pottinger, das sich für seine guten Kontakte zur britischen Regierung rühmt, mittlerweile unter dem Verdacht von Wikipedia-Usern, eine ganze Reihe von Artikeln in dem Portal im Sinne des Unternehmens bearbeitet zu haben.

Dabei macht die Manipulationswelle auch vor den Sozialen Netzwerken nicht halt. Für zehn Cent bekommt man ein "Gefällt mir" bei Facebook, das in Auftragsarbeit geklickt wurde. Längst haben die Betrüger entdeckt, dass man die User nicht nur bei der Kaufentscheidung gezielt beeinflussen kann, sondern bereits lange vorher: Unternehmen, die sich bei Facebook & Co. präsentieren, erscheinen über die manipulierte Zahl an Anhängern größer und attraktiver und erhoffen sich so steigende Gewinne.

Gelegentlich werden Unternehmer bei der Suche nach "gefälschten" Freunden selbst hereingelegt. Ein Geschäftsmann kaufte im Internet 10.000 Facebook-Fans für 699 Euro. Bekommen hat er keinen einzigen.

(gre)
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