Abschied Das beste Handy von allen

Düsseldorf · Da liegt es, Risse und tiefe Krater im Display. Mein altbackenes Mobiltelefon ist endgültig reif für den Handy-Friedhof. Im Gegensatz zu den glänzenden Top-Modellen hatte es wenigstens Persönlichkeit. Ein Nachruf auf einen treuen Begleiter.

 Auf dem Smartphone unseres Autoren hat das Leben tiefe Spuren hinterlassen.

Auf dem Smartphone unseres Autoren hat das Leben tiefe Spuren hinterlassen.

Foto: Philipp Stempel

Zugelegt habe ich mir das Alcatel Onetouch 5.0 im Herbst 2013. Es war mein Einstieg in die Welt der Apps, des Wischens und Streichelns. Ein Gebrauchsgegenstand, mehr nicht. Entsprechend schlecht habe ich das Gerät behandelt.

Schon nach einem Jahr zierten Risse das Display, Es war mir beim Bücken aus der Hemdtasche gefallen und auf den gepflasterten Boden vor der Garage gefallen. Kaum hörbar titschte es auf, aus nicht mehr als 50 Zentimetern Fallhöhe. Dennoch überzog fortan eine sogenannte "Spider-App" das Smartphone.

Ein Netz aus Rissen auf dem Display

Zu meinem Erstaunen blieb es voll funktionstüchtig. Zum ersten Mal empfand ich so etwas wie Respekt und sogar Zuneigung für mein Handy. Ein weiterer Trost: Ich war nicht allein. Vorher war mir nie aufgefallen, wie viele Menschen ebenfalls Erfahrungen mit der "Spider-App" gesammelt haben und gelernt haben, damit zu leben.

Bald stellten sich Alterserscheinungen ein. Zipperlein, wie ab einem gewissen Zeitraum angeblich bei jedem Smartphone. Vielleicht kennt das ja jemand. Dass man bei etwa WhatsApp einen Text eintippt, im Display aber sekundenlang nichts zu sehen ist, sich aber dann wie von Geisterhand Buchstaben in der Eingabemaske entladen, manchmal begleitet von fröhlichem Vibrieren. Oder dass eine App sich gerade mal nicht öffnet.

Es braucht halt Geduld

Meine Tochter (15) konnte sich das irgendwann nicht mehr mit ansehen. "Ich hätte das längst in die Ecke geschmissen", sagte sie immer dann, wenn ich vertrauensvoll darauf wartete, dass mein störrisches Smartphone auf Anweisungen reagieren würde.

Sechs Monate später der nächste Absturz. Es war mir aus der Hand gerutscht, als ich mit mehreren Einkaufstaschen am Kofferraum hantierte. Diesmal erwischte der Aufprall die gegenüberliegende Ecke. Die Folgen: ungleich härter. An einer zentralen Stelle, an der man sonst immer den Desktop ansteuert, war ein komplettes Stück zersplittert, in etwa auf der Länge eines Streichholzes.

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Foto: dpa, toh zeh

Die Wunden schweißten uns zusammen

Innerlich nahm ich bereits Abschied. Doch wieder erwies sich mein Telefon als zäh. Wie ein alter Gaul, der seinem Herrn die Treue hält, obwohl er körperlich längst am Ende ist. Nach und nach brach in den Folgetagen das geborstene Stück ganz heraus. Im Handy klaffte ein Loch. Anfangs hatte ich Sorge, mich an den scharfen Glaskanten zu schneiden. Aber unbegründet. Und: Es funktionierte auch weiterhin. Man musste es halt zu nehmen wissen.

Fortan erreichten uns Beileidsbekundungen. Mein Alcatel wurde zum Gesprächsthema. "Wie geht es deinem Handy", fragten mich jetzt Kollegen, wenn ich in die Redaktion kam. Dieses zunehmend zickige Alcatel und ich wurden zum Team. Die gemeinsam erlebten Katastrophen hatten uns zusammengeschweißt. In den Augen meiner Kinder und ihrer Freunde wurde ich zu einem wunderlichen Kauz. Ein Alm-Öhi, der noch mit dem Heuwagen zum Markt fährt und ein Telefonat mit Kurbeln beginnt.

Es hat wenigstens Charakter

Wer will, kann jetzt darüber herziehen, wie debil das ist, eine persönliche Beziehung zu einem technischen Gerät aufzubauen. Doch all denen sei gesagt: Dieses Ding hat wenigstens Charakter. Innen und außen. Es sind eben auch Sturheiten und Ausfallerscheinungen, die eine Persönlichkeit ausmachen. Kein noch so leistungsstarkes iPhone, Galaxy oder Sony Xperia kann da in seiner aalglatten Perfektion mithalten.

Ich weiß, wovon ich rede. Seit einigen Tagen bin ich Besitzer eines neuen Smartphones. Es ist schön, es ist glatt, es reagiert auf mich und ich habe Panzerglas über das Display gezogen. Doch an Persönlichkeit kann das neue Teil es mit seinem schrulligen Vorgänger nicht ansatzweise aufnehmen. Es wird im Haus der Familie einen würdigen Platz erhalten.

Leseraktion

Zählen Sie möglicherweise auch zu den Menschen, die ein altes Handy nutzen? Vielleicht sogar mit einer Spider-App? Dann schreiben Sie mir und schicken ein Foto von ihrem kaputten Begleiter! Die schönsten alten Handys porträtieren wir dann in einer Bilderstrecke.

Sie erreichen mich am besten über Twitter oder E-Mail.

(pst)
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