Krise bei Apple "Schlimmer als beim Elchtest"

Düsseldorf/Cupertino · Das neue iPhone kann gebogen werden, die neue Software hat Macken, der Börsenwert stürzte zeitweise um 19 Milliarden Euro ab. Apple steckt trotz enormer Stärken in der Krise.

Wie lässt sich die Stärke eines Konzerns messen? Als wir vor ein paar Tagen den Apple-Store in Düsseldorf besuchten, fiel vorrangig auf, das er keineswegs voll war - es drängelten sich also nicht dutzende Besucher um die ausgestellten neuen iPhones 6 und das etwas größere iPhone 6 Plus. Ein Unternehmenssprecher wollte beim Abholen der Testgeräte die Neuigkeiten erklären - nach zehn Minuten waren wir durch. Und nachdem Kunden berichteten, dass das iPhone 6 Plus biegbar ist und so zerstört werden kann, bricht die Aktie zeitweise um vier Prozent ein — 24 Milliarden Dollar an Börsenwert verschwanden.

Weltweit hätten sich angeblich nur neun Kunden wegen gebogener Geräte gemeldet, verteidigt sich der US-Konzern, doch das Desaster ist da. Außerdem musste Apple das neue Betriebssystem iOS 8 direkt aktualisieren - doch auch die neue Version hatte eine Macke und wurde am Ende zurückgezogen. "Das ist schlimmer als beim Elchtest von Mercedes", warnt Holger Neinhaus von der Unternehmensberatung SMP. "Weil es sich nicht um ein einzelnes Problem, sondern um viele Schwächen handelt." Ebenso hart geht der Markenexperte Frank Dopheide mit dem Ex-Kultkonzern um. "Das perfektionistische Image hat schon einen Kratzer bekommen. Die Ansprüche an Apple sind extrem hoch."

Apple iPhone 6 und Impressionen vom weltweiten verrückten Verkaufsstart
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So verrückt war weltweit der Verkaufsstart des iPhone 6

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Dabei bestätigen die neuen iPhones das Problem. Zwar sind die Displays eine Klasse besser als beim Vorgängermodell iPhone 5S und lassen sich auch gut von der Seite einsehen - aber die Spitzengeräte von Samsung, LG oder HTC unterscheiden sich bei diesem Kriterium nur minimal.

Beeindruckend ist beim kleineren iPhone 6, dass es nur 129 Gramm wiegt und nur 6,9 Millimeter dünn ist - aber auch da sind die Topmodelle der Konkurrenz ähnlich. Das größere iPhone 6 Plus macht zwar tolle Fotos dank eines neuen optischen Bildstabilisators - aber auch hier hält sich der Unterschied beispielsweise zum Samsung Galaxy S5 in Grenzen. Und bei der Akkulaufzeit hat Apple zwar deutlich zugelegt - holt aber nur die Wettbewerber mit ihren jeweils 200 oder 300 Euro günstigeren Geräten ein Fazit: Einen "Wow-Faktor" haben die iPhones nicht - "Evolution statt Revolution" so die FAZ.

iPhone 6: Lange Schlange vor dem Apple-Store in Düsseldorf
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Lange Schlange vor dem Apple-Store in Düsseldorf

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Trotzdem sollten die neuen Geräte und der Konzern nicht unterschätzt werden. Zwar hat das neue iPhone nur zwei Rechenkerne, scheint aber beim Rechentempo die Vierer-Chips der Wettbewerber zu schlagen. Trotz der aktuellen Pannen schlägt die Apple-Software die Angebote der Wettbewerber weiter um Längen: Inhalte lassen sich leicht über mehrere Geräte übertragen. Die Quick-Type-Funktion erleichtert das Schreiben. Mails verschwinden per Fingerklick. Künftig können sechs Familienmitglieder eine App oder ein bezahltes Video auf sechs Geräten nutzen - einmal Apple, immer Apple, so die Logik.

Angesichts von bereits mehr als 500 Millionen verkauften iPhones ist es darum kein Wunder, dass von den neuen Modellen am ersten Wochenende zehn Millionen Stück verkauft wurden. "Wir haben zig Millionen Menschen, die sich an das Ökosystem von Apple gewöhnt haben", sagt Berater Neinhaus, "die kaufen fast schon automatisch gelegentlich auch ein neues Gerät."

Dabei beginnt der Konzern erst, das Potenzial als Systemanbieter auszuschöpfen. So schaffte Apple es dank des Erfolgs der iPhones und iPads , auch bei Laptops in den USA die Marktführung zu übernehmen. Ausgehend vom Heimatmarkt führte Vorstandschef Tim Cook nun das Bezahlsystem Apple Pay ein. Nachdem iTunes wichtigster Onlineshop der Welt für Musik und Apps geworden ist, wird Apple nun ein führender digitaler Finanzdienstleister. Per Funkimpuls zahlen die Kunden an der Kasse, per Fingerabdruck auf dem iPhone bestätigen sie den Kauf - ein Milliardengeschäft lockt, aber noch nicht in Europa.

Der nächste Elchtest steht Anfang 2015 bevor. Dann beginnt der Verkaufsstart der Apple-Watch. Die wohl rund 350 Euro teure Computeruhr erhält viele positive Vorschusslorbeeren - das "nächste große Ding" startet. Apple wagt sich in das Geschäft mit der Gesundheit vor. Doch es gibt ein Problem: Angeblich hält der Akku nur einen Tag.

(RP)
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