RP Plus Warum die Winter kälter werden

Düsseldorf · Deutschland wird gerade von einer Kältewelle heimgesucht – mit Temperaturen weit unter dem Nullpunkt. Tatsächlich könnte es sein, dass wir uns an heftigere Winter gewöhnen müssen. Der Grund ist der Klimawandel.

Das ewige Eis in Grönland im Klimawandel
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Das ewige Eis in Grönland im Klimawandel

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Deutschland wird gerade von einer Kältewelle heimgesucht — mit Temperaturen weit unter dem Nullpunkt. Tatsächlich könnte es sein, dass wir uns an heftigere Winter gewöhnen müssen. Der Grund ist der Klimawandel.

Die Welt hat Fieber. Das ist eine längst überstrapazierte Aussage zum Klimawandel. Wenn man derzeit aber mit dicker Winterjacke, Mütze und Handschuhen vor die Tür trifft, scheint es zudem ganz und gar nicht so, als ob die Erde wärmer wird. Nun ist aber das Klima eine komplizierte Angelegenheit, die sich nicht einfach in steigenden Temperaturen niederschlägt — bloß weil es global wärmer wird. Vielmehr ist es ein komplexes, chaotisches System. Eins, bei dem der Flügelschlag eines Schmetterlings in Europa einen Sturm in Südamerika auslösen kann.

Nun darf man diese Aussage nicht unbedingt wörtlich nehmen, dennoch macht sie deutlich, wie selbst kleine Veränderungen Tausende Kilometer entfernt weitreichende Folgen haben können. Und gerade in der Arktis zeichnet sich eine sehr deutliche Veränderung ab: Dort schmilzt das Eis aufgrund des Klimawandels. Und so paradox es klingt, aber damit steigt die Wahrscheinlichkeit für kalte und schneereiche Winter in Europa. Das wurde von Klimaforschern bereits vor einem Jahr postuliert. Den genauen Mechanismus dahinter haben nun aber Wissenschaftler von der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts entschlüsselt und ihre Arbeit in der Fachzeitschrift "Tellus A" veröffentlicht.

Schmelzendes Eis bedeutet Kälte für uns

Demnach schmilzt im Sommer das arktische Eis. Und zwar immer stärker. Dieses Jahr erreichte seine Bedeckung beispielsweise einen historischen Tiefstand seit Beginn der Satellitenbeobachtung. Das heißt, die hellen Eisoberflächen gehen zurück. Das klingt zunächst trivial. Doch dadurch liegt auch mehr der dunklen Meeresoberfläche frei, die sich im Sommer aufgrund der Sonneneinstrahlung verstärkt erwärmt. Im Herbst und Winter dann nimmt das Eis zwar wieder zu, aber es erreicht nicht mehr die Fläche, die es einmal in Anspruch nahm.

Weniger Eis bedeutet aber, dass die im Ozean gespeicherte Wärme in den kühleren Monaten zunehmend wieder an die Atmosphäre abgegeben wird. Im Herbst und im Winter kann der Ozean die unteren Luftschichten so wieder erwärmen. Und "diese erhöhten Temperaturen sind anhand aktueller Messdaten in den arktischen Gebieten nachweisbar", sagt der Erstautor der Studie, Ralf Jaiser von der Forschungsstelle Potsdam. Erwärmte tiefere Luftschichten in der winterlichen Arktis steigen indes auf. Das ist schon etwas mehr als der Flügelschlag eines Schmetterlings in dem chaotischen klimatischen System — mit gravierenden Auswirkungen, die komplexen Luftströmungen durcheinanderwirbeln.

Der Westwind wird abgeschwächt

Denn da gibt es noch so etwas wie die sogenannte arktische Zirkulation. Damit ist der Luftdruckgegensatz zwischen dem Azoren-Hoch und Island-Tief gemeint. Und je höher dieser Gegensatz, desto stärker ist der Westwind — mit dem warme, feuchte Atlantik-Luft nach Mitteleuropa transportiert wird. Das macht bislang die Winter bei uns eher mild. Schwächt sich aber dieser Gegensatz zwischen Hochdruck- und Tiefdruckgebiet ab, kann kalte, arktische Luft bis in unsere Breiten vordringen. Die Berechnungen von Jaiser und seinen Kollegen zeigen nun, dass genau das passiert: Bei wenig arktischem Eis im Sommer wird der Luftdruckgegensatz im folgenden Winter abgeschwächt.

Doch auch mit diesen Erkenntnissen ist das tatsächliche Wetter am Ende nicht so einfach vorhersagbar. Denn trotz des historischen sommerlichen Tiefstandes der Eisausdehnung in der Arktis war der jetzige Winter zumindest für lange Zeit nicht besonders kalt oder schneereich. "Im komplexen Klimasystem unserer Erde spielen viele weitere Faktoren eine Rolle, die sich teilweise gegenseitig überdecken", erklärt Jaiser. Die Modellrechnungen würden zwar einen grundlegenden Mechanismus erklären.

Dennoch ist es beim Klima nicht so, dass man an einem Hebel zieht, und es öffnet sich eine Klappe. Für das tatsächliche Wettergeschehen spielen beispielsweise auch die Schneebedeckung Sibiriens eine Rolle. Oder wie derzeit ein kräftiges Hoch über Nordrussland mit Ostwind, über den kalte, trockene Festlandsluft nach Deutschland dringt. Sogar tropische Einflüsse können eine Rolle spielen. Und einen solchen haben jüngst die Klimaforscher Hans Graf von der University of Cambridge und Davide Zanchettin vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg entdeckt. Auch er soll darüber entscheiden, ob wir kalte, schneereiche Winter wie in den vergangenen Jahren haben oder aber eher milde.

Der Einfluss von El Niño

Für Graf und Zanchettin spielt vor allem etwas eine Rolle, das Tausende Kilometer weit weg liegt — vor der Westküste Südamerikas im Pazifik. Es ist das Wetterphänomen El Niño. Dabei handelt es sich um eine Klima-Anomalie, die sich alle zwei bis sieben Jahre zwischen der Westküste Südamerikas und dem südostasiatischen Raum abspielt. Im Zuge von El Niño erwärmt sich der Ostpazifik vor Südamerika, während vor Australien und Indonesien die Wassertemperatur sinkt. Dadurch verlagern sich Windströmungen und Regenfälle — mit weitreichenden Folgen. Dass die bis nach Mitteleuropa reichen, hielt man jedoch bislang für wenig wahrscheinlich.

Die Klimaforscher meinen nun aber durchaus einen Zusammenhang mit den Wintern in unseren Breiten festgestellt zu haben: Die würden kalt und schneereich, wenn seit Monaten der El Niño im Zentralpazifik herrscht. Dort ist dann das Meer an der Oberfläche wärmer als sonst und verdunstet darum auch viel Wasser. Das steigt auf und bildet Wolken, wenn es in höhere, kühlere Luftschichten gelangt und kondensiert. Dabei indes wird wieder Wärme frei, die Luftströmungen in zehn Kilometer Höhe stören. Die schwingen wie eine Welle auf und ab. Unter den Wellenbergen ist der Luftdruck mehr oder weniger tief, unter den Wellentälern hoch. Die Wärme, die das kondensierende Wasser erzeugt, verändert nun aber die Abfolge von Wellentälern und Wellenbergen dermaßen, dass über Europa ein Wellental liegt. Dadurch aber herrscht bei uns kaltes Hochdruckwetter.

Zwei Effekte, eine Wirkung

Über dem Atlantik liegt dann zudem ein Wellenberg und herrscht geringerer Luftdruck, der das Azoren-Hoch abschwächt. Der Luftdruckgegensatz zum Island-Tief wird nivelliert; der Westwind mit warmer, feuchter Meeresluft quasi ausgebremst. Diese beide Effekte zusammen sollen aus Europa im Winter eine Kaltluftzone machen — mit tiefen Temperaturen und heftigen Schneefällen.

Doch wenn das so ist, warum haben wir dann nicht bei jedem El Niño auch einen heftigen Winter? Auch darauf haben Graf und Zanchettin eine Antwort gefunden: Erreicht das warme Wasser im Verlauf von El Niño zu schnell die Küste Südamerikas, schwächt sich die Fernwirkung ab. Schneereiche, kalte Monate werden dann bei uns wieder unwahrscheinlicher. Für den milden Winter 2004/2005 dagegen ist El Niño zu spät gekommen, um noch für einen Effekt in unseren Breiten zu sorgen.

Zudem ist das Wetter trotz der aktuellen wissenschaftlichen Einblicke eine komplexe Angelegenheit. Schließlich spielen auch andere Einflüsse eine Rolle, die man im Auge behalten müsse, um weitreichende Aussagen zu machen. So wie zwischen 1991 und 1992. Da hätte El Niño eigentlich für einen heftigen Wintereinbruch sorgen sollen. Doch der Ausbruch des Vulkan Pinatubo am 15. Juni 1991 — eine der gewaltigsten Eruptionen des 20. Jahrhunderts — veränderte weltweit die Luftströmungen.

Zusammenhänge müssen weiter erforscht werden

El Niño und das Schmelzen des arktischen Eises: Das sind zwei unterschiedliche, unabhängige, aber grundlegende Phänomene — eins im Norden und eins im Süden —, die über unseren Winter zumindest mit entscheiden. Es ist ein Erfolg der Klimaforschung, sie entdeckt und verstanden zu haben. Doch gleichzeitig stehen sie für die Unsicherheit von Vorhersagen im komplexen System namens Wetter. Denn "das sind zunächst nur zwei Mechanismen unter vielen. Es gibt auch weitere und wahrscheinlich liegt auch noch einiges im Verborgenen", sagt Jaiser gegenüber RP Plus.

Zudem "kennen wir zwar die einzelnen Mechanismen selbst, können jedoch ohne weitere Forschungsarbeiten derzeit keine genauen Aussagen machen, wie sie sich gegenseitig beeinflussen". Allerdings könnte es sein, dass sich die Effekte des abschmelzenden Eises und von El Niño verstärken. Das würde dann für außerordentlich kalte Winter sorgen. "So wie 2009/2010", meint der Wissenschaftler.

(gre)
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