Analyse zu dem Traditionssender Der WDR — ein Sanierungsfall

Köln · 100 Tage nach seinem Amtsantritt hat WDR-Intendant Tom Buhrow ausgesprochen, was seine Vorgängerin standhaft ignoriert hat: Dem Sender droht auf Dauer die Pleite. Trotzdem scheut der neue Chef eine Radikalkur.

Monika Piel geht es dem Vernehmen nach wieder ganz gut. Sechs Jahre lang stand sie als Intendantin an der Spitze des WDR, bevor sie im Januar 2013 überraschend verkündete, ihre zweite Amtszeit trotz bereits erfolgter Wiederwahl aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten zu wollen. Anfang November will Piel im Rahmen eines Literatur-Festivals in der Eifel aus ihrem Tagebuch vorlesen und (Zitat aus dem Programm) "zum ersten Mal öffentlich sagen, warum sie zurücktrat". Man muss kein Hellseher sein um vorherzusagen, dass die begeisterte Porsche-Fahrerin kaum die Einsicht verkünden wird, den Sender an den Rand des Abgrunds gebracht zu haben.

Auch wenn Tom Buhrow bisher jede Kritik an der Amtsführung seiner Vorgängerin zurückweist, ist klar: Monika Piel hat ihrem Nachfolger die größte und mächtigste ARD-Anstalt als Sanierungsfall hinterlassen. An den Einschnitten in den WDR-Haushalt, die Tom Buhrow nach seinen ersten 100 Tagen als Intendant des Senders in dieser Woche angekündigt hat, überraschen eigentlich nur zwei Punkte: Zum einen, dass die ersten angekündigten Korrekturen des neuen Chefs vergleichsweise zaghaft ausfallen, zum anderen, dass vor Buhrows Amtsantritt offenbar weder in den Führungs- noch in den Aufsichtsgremien des Mammut-Senders jemals ein ordentlicher Kassensturz durchgeführt wurde.

Schulden bis zu 1,3 Milliarden Euro befürchtet

Dass der WDR bei einfacher Fortschreibung der heutigen Gegebenheiten — keine höheren Beitragseinnahmen, jedes Jahr 50 Millionen Einsparung, rund zwei Prozent Inflation — ab dem Jahr 2015 jährlich mit 61,3 Millionen Defizit plus der jeweiligen Verzinsung auf ein Haushaltsloch zusteuert, das sich ohne strukturelle Maßnahmen im Jahr 2022 zu einem Schulden-Abgrund von rund 1,3 Milliarden Euro auswächst, muss den WDR-Gremien bekannt gewesen sein. Denn der WDR hat seine jährlichen Fehlbeträge bislang aus einer allgemeinen Rücklage ausgeglichen. So sieht es das WDR-Gesetz auch vor.

Was das Gesetz nicht vorsieht: Allein im zurückliegenden Haushaltsjahr schrumpfte diese Rücklage jedoch von 102 auf 88,2 Millionen Euro — was haben die WDR-Gremien geglaubt, wie lange das so weitergehen könnte? Buhrow wörtlich: "Dieses Loch kriegen Sie nicht gestopft, wenn Sie nur im Etat herumfummeln." Dass Buhrow als Sofortmaßnahme ab 2014 "mit dem Rasenmäher" mit der Einsparung weiterer 30 Millionen Euro und dem Abbau von 50 Stellen beginnen will, bevor es dann in den kommenden Jahren wirklich an strukturelle Maßnahmen gehen soll, klingt schneidiger, als es ist — wenn man es in Relation zum WDR-Haushalt (2012: 1,36 Milliarden Euro) und der Zahl von 4200 Mitarbeitern setzt.

Die 50 Stellen sind fast schmerzfrei zu streichen: 39 fallen 2014 durch die Verrentung von Mitarbeitern automatisch weg, wenn sie nicht neu besetzt werden; bleiben zwölf Stellen echter Abbau. Ohne echte Eingriffe in die Struktur 30 Millionen Euro durch das Herauslassen von Luft zu streichen, verschafft dem Sender nicht mehr als einen einmaligen Spareffekt; die Schmerzensschreie werden unterschiedlich laut ausfallen.

"Kunstfundus" soll verkauft werden

Dass der WDR seinen "Kunstfundus" (Dekorations-Material für die Wände von Mitarbeiter-Büros) für drei Millionen Euro verkaufen will — geschenkt. Die Reduzierung der freiwilligen Ausgaben könnte vor allem Sponsor-Leistungen für Kultur- und Musikereignisse aller Art treffen, auch wenn Buhrow zunächst "nur" die Filmförderung NRW nannte. Die entsprechende Sonderrücklage für die Film- und Hörspielförderung macht allerdings nur 300.000 Euro aus. Finanziell interessanter ist die Streckung der Finanzmittel für Bausanierung; allerdings wurde auch dieser Topf im zurückliegenden Jahr um 4,1 auf 11,1 Millionen Euro dezimiert. Wenn der WDR künftig einkaufen geht, soll der Sender sich mit der zweitbesten Lösung zufriedengeben und sparen. "Und wir müssen überlegen, was wir künftig noch selbst machen können. Wenn irgend möglich, sollten wir aber nicht am Produkt sparen."

Von außen betrachtet nimmt es sich geradezu lächerlich aus, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender mit Gebühreneinnahmen von 1,12 Milliarden Euro (2012) nicht genug Geld in der Kasse haben soll, um seinem Grundversorgungsauftrag gerecht zu werden. Pünktlich zu Buhrows öffentlichem Kassensturz hielt der Bund der Steuerzahler ARD und ZDF vor, mindestens eine halbe Milliarde Euro Rundfunkbeiträge durch verfettete Strukturen zu verschwenden. Zugleich ist Buhrow überzeugt, dass es den WDR derzeit überfordern würde, wenn der Sender sofort auf den Kopf gestellt wurde. Dabei wäre die Gelegenheit günstig, die WDR-Redaktionen crossmedialer und kostengünstiger aufzustellen, da Buhrow in Kürze die Programmdirektoren-Posten Fernsehen und Radio neu besetzen muss (und bereits entsprechende Gespräche führt).

Statt nur noch einen Programmdirektor zu installieren, konsequent aus dem Inhalt (und nicht wie heute in gegeneinander abgeschotteten Radio- und TV-Sendungen) zu planen, will Buhrow die einzelnen Bereiche lieber "Schritt für Schritt" zusammenführen. "Alles andere wäre zu viel Verschleiß", fürchtet der Intendant. Dass Buhrow für die Zusammenlegung von Radio und TV unter anderem die vom WDR betreuten ARD-Auslandsstudios in Brüssel, Moskau und New York nannte, dürfte Insider schmunzeln lassen: Die New Yorker Adresse, die der WDR sich 1999 zulegte (ARD German Television, 633 Third Avenue, achter Stock) gilt als Musterbeispiel öffentlich-rechtlicher Verschwendung. Für eine Handvoll Mitarbeiter wurden fast 2000 Qudratmeter zu einem Preis von etwa vier Millionen Dollar erworben. Faktisch subventionierte der WDR mit dem (damals) überteuerten Kauf den Vorbesitzer, eine chinesische Staats-Fluglinie. Auf solche Leichen im Keller wird Buhrow häufiger treffen, wenn er die Struktur des WDR in Angriff nimmt.

Auch inhaltlich scheut Buhrow vor dem großen Wurf zurück: Statt eine übergreifende Redaktion für investigativen Journalismus zu installieren, soll zwei Jahre lang eine "Anlaufstelle" für Hinweise erprobt werden. "Wenn wir jetzt eine feste Redaktion geschaffen hätten, hätte das zu viel Unruhe erzeugt", glaubt der frühere "Tagesthemen"-Moderator. Diese Einschätzung spricht Bände darüber, für wie herausfordernd Tom Buhrow die Einleitung eines kulturellen Wandels hin zu der Einsicht hält, dass jeder Bereich und jede Welle auf die "Marke WDR" einzahlen muss, statt beständig das eigene Süppchen zu kochen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort