Hollywood-Legende Hedy Lamarr Anthony Loder — der Sohn der Göttin

Los Angeles · Ein schillernder Mythos: Zwischen den 30ern und frühen 50ern reduziert auf ihr makelloses Äußeres, als männerverschlingender Vamp stetiger Gast auf den VIP-­Seiten der Klatschmagazine, steckte in der gebürtigen Wienerin viel mehr. Nur wenige wissen, dass die Lamarr mit ihrer Erfindung – für den Kampf der USA gegen die Nazis entwickelt – die heutige mobile Kommunikation möglich machte. Ihr zu Ehren wurde ihr Geburtstag, der 9. November, zum Tag der Erfinder gekürt.

Bilder aus der Biografie "Hedy Darling"
13 Bilder

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Ein schillernder Mythos: Zwischen den 30ern und frühen 50ern reduziert auf ihr makelloses Äußeres, als männerverschlingender Vamp stetiger Gast auf den VIP-­Seiten der Klatschmagazine, steckte in der gebürtigen Wienerin viel mehr. Nur wenige wissen, dass die Lamarr mit ihrer Erfindung — für den Kampf der USA gegen die Nazis entwickelt — die heutige mobile Kommunikation möglich machte. Ihr zu Ehren wurde ihr Geburtstag, der 9. November, zum Tag der Erfinder gekürt.

Culver City ist einer dieser Stadtteile von Los Angeles, von denen man nicht so recht weiß, ob man vielleicht doch schon mal da war. Irgendwo auf halber Strecke zwischen Downtown und Airport fängt er an, irgendwo hört er auf, dazwischen: riesige Ausfallstraßen, daran Off-Licence-Stores, Taco Bell, immer wieder Taco Bell. Eine verkehrsberuhigte Villengegend gehobenen Standards, mit manikürten Vorgärten und vermutlich vier Geländewagen pro Haushalt. Venice Beach ist nur ein paar Autominuten entfernt. Mag sein, dass Culver City weder Charakter hat noch Gesicht, doch was macht das schon. Man lebt gern hier, unbeschwert und unaufgeregt. Es sei denn, man heißt Anthony Loder.

Der Mann, der mir an einem Frühlingssonntag 2012 die Tür zu seiner Villa öffnet, trägt Baseball-Kappe und Trainingsanzug, wie immer in diesen Tagen. Ein großgewachsener, freundlicher und temperamentvoller Kerl, wache Augen, fester Händedruck, und doch einer, der mit einem kalifornischen Sonnyboy so wenig gemein hat wie der späte Johnny Cash. Innerlich wirkt er getrieben, äußerlich gezeichnet. In den 65 Jahren seines Lebens ist Anthony Loder dem Tod viermal von der Klippe gesprungen — eine akute Sauerstoffarmut im Blut bei seiner Geburt, ein Fahrradsturz mit Hirnfraktur im Alter von elf Jahren, eine verschleppte Ohreninfektion mit 33, schließlich mit 52 Blasenkrebs, sein bisher knappster Sieg. Ob er es ein fünftes Mal schafft, ist um diese Zeit unklarer denn je, und genau darum bin ich hier.

Anthony Loder hat ein Zimmer voller privater Fotoalben, Aktenordner, Kisten, gefüllt mit Fotos und Magazinen, viel unveröffentlichtem Material, Souvenirs und Devotionalien. Obendrein, und das ist noch wichtiger, steckt Loders Kopf voller Erinnerungen. Er ist zum zweiten Mal an Krebs erkrankt. Leukämie, im Frühjahr lief gerade die zweite Chemotherapie. Irgendwann zu dieser Zeit muss ihm klargeworden sein, dass es mit seinem großen Lebenstraum nichts mehr werden würde — zumindest nicht ohne fremde Unterstützung. Er war einfach zu geschwächt von Bestrahlung und Dauermedikation, um das Werk, an dem er seit mehr drei Jahrzehnten arbeitet, allein zu vollenden.

Loders Lebenstraum ist zugleich sein Lebenstrauma. Seine Mutter zählte zu Hollywoods strahlendsten Königinnen, von den späten Dreißigern bis frühen fünfziger Jahren galt sie als schönste Frau der Welt, quasi-objektiv sozusagen, weil perfekt in Maßen und Proportionen. Ihr Leben: ein einziger Abenteuerfilm. Junge Jüdin aus gutem Hause, geboren 1914 in Wien, erlernt die Schauspielkunst in Berlin der frühen 30er, wird dort zum Protegé des Star-Regisseurs Max Reinhardt, der das Zitat von der "schönsten Frau der Welt" in die Welt setzt. Mit 17 dreht sie den Arthouse-Film "Ekstase", dessen Nackt- und Sexszenen sie über Nacht weltberühmt machen. Doch statt weiter zu filmen, entsagt sie dem Kinogeschäft und heiratet einen jüdischen Waffenfabrikanten und Austrofaschisten, der sich als manisch besitzgierig entpuppt, ihr das Schauspielen verbietet und sie zuhause einsperren lässt. Hedy flieht, über Paris, London und New York nach Los Angeles, wo sie den Neuanfang in einer fremden Welt wagt, ohne ein Wort Englisch. Und doch steigt sie auf, in Rekordtempo. Aus Hedwig Maria Kiesler wird Hedy Lamarr, Hollywoods populärstes Cover-Girl, eine Art Marilyn Monroe für die Weltkriegsjahre. Dazu Trendsetterin, Fashion Icon, Dauerthema der Klatschspalten. Sie spielt in Kassenschlagern an der Seite von Spencer Tracy und Clark Gable, Charles Boyer und James Stewart. Die Zahl ihrer Liebhaber ist legendär. Quasi im Vorbeigehen nutzt sie das in ihrer ersten Ehe erworbene militärische Knowhow und erfindet, gemeinsam mit dem Komponisten George Antheil, ein Fernsteuerungssystem für Torpedos, als Kriegswaffe gegen die verhassten Nazis.

Heute gilt die Erfindung als Grundlage aller kabellosen Kommunikation. In jedem Mobiltelefon, Bluetooth und Wlan-Netzwerk steckt der Pioniergeist Hedy Lamarrs. Das ist ungefähr so, als habe Angelina Jolie die Grundlagenforschung von Apple und IBM übernommen. So steil der Aufstieg, umso jäher ihr Fall. Als ihr Gesicht seine göttlichen Züge verliert, lässt Hollywood sie fallen, sie selbst verliert völlig den Faden. Ladendiebstahl, ein Softporno namens "Autobiografie", jede Menge Prozesse, monströse Schönheits-OPs, jahrzehntelanges Dahindämmern als Privatperson wider Willen — die zweite Hälfte von Hedy Lamarrs Leben ist ein einziger Absturz, bis zu ihrem Tod im Januar 2000. Heute ist sie — abgesehen von ein paar Technik-Freaks, Cineasten oder Wiener Lokalpatrioten — weitgehend vergessen. Von allen Göttinnen der Filmgeschichte ist sie am tiefsten gesunken, und unter den vergessenen Superstars die bei weitem schillerndste Figur. Das Leben seiner Mutter sei ein unvollendeter Kinofilm gewesen, sagte Anthony Loder mir kurz nach meiner Ankunft, "der zweite Teil war für die Katz. Schönheit war erst ihr Kapital, dann ihr Fluch. Ihr Sohn zu sein, hat mich ein Leben lang verfolgt."

Die folgenden Wochen in Culver City verbringen Anthony und ich damit, die Erinnerungen an sein Leben mit Mama Hedy zu sichten und ordnen, auszuwerten und zu ergänzen. Wir arbeiten uns durch die Papierstapel, sehen die Alben durch, sichten hunderte, tausende Fotos. Anthony selbst erwies sich als begnadeter Geschichtenerzähler. In seinen Aufzeichnungen, verstreut auf hunderten Word-Dokumenten, finden sich Sternstunden der Hollywood-Geschichte. Wie sie die Rolle als Ilsa Lund in "Casablanca" ablehnte, weil ihr das Drehbuch nicht gefiel. Ihre regelmäßigen Besuche bei Hollywoods Wunderarzt und Amphetamin-Profi Dr. Max Jacobson alias "Miracle Max". Oder jene glorreiche Szene aus den frühen 50ern, als ein alter Herr mit Hedy am Pool sitzt, ihr Porträt auf eine Serviette zeichnet und Klein-Anthony, damals fünf, ihm unmissverständlich zu verstehen gibt, das hätte ein Dreijähriger ja wohl besser hingekriegt — nur um sich später schwarz zu ärgern, das Papier mit der Original-Pablo-Picasso-Zeichnung damals nicht einfach eingesteckt und aufgehoben zu haben.

Vor allem aber ist Anthonys Loders Erinnerung an seine Mutter eine Passion mit Lehrstückcharakter. Hedy-Lamarr-Biografien gibt es mehrere, keine aber kommt der Frage, wie sich ein derart glanzvoller Star in eine solche Karikatur verwandeln konnte, auch nur nahe. Anthony füllt die Lücke, wie niemand anderer es könnte. Er erzählt die private Lebensgeschichte seiner Mutter, die mit der öffentlichen nur wenig gemein hat. Ihre Prinzessinnen-Kindheit in Wien. Das goldene Gefängnis ihrer ersten Ehe. Die Begegnungen mit Louis B. Mayer und Charles Boyer, die Affären mit Charlie Chaplin und Howard Hughes, ihre unwiderstehliche Wirkung auf Männer, ihr nymphomanisches Verhältnis zum Sex, ihr unbändiger Ehrgeiz. Der Hype, der ihr allmählich zu Kopf steigt. Ihr Hass auf die Studio-Bosse, die sie in die Tablettensucht trieben, ihre Wut auf die Heuchelei, das Geschachere um Rollen. Das ungelöste Rätsel um ihren Adoptivsohn James, den sie womöglich heimlich selbst zur Welt gebracht hat. Ihre Kehrseite als Rabenmutter. Ihre Schreianfälle. Ihre Schläge. Ihre Verzweiflung.

Das gemeinsame Buch, das so entsteht, erzählt von einer verschollenen Hollywood-Diva, deren Achterbahn-Leben aktueller wirkt denn je, vor allem heute, da die People- und Castingshow-Branche Stars am Fließband produziert und über Nacht wieder ins Niemandsland entlässt. Ruhm kommt schnell, er geht schnell, und nur ganz selten hat er viel mit Talent zu tun, geschweige denn mit Charakter. Die Wechselwirkung zwischen öffentlicher Figur und Privatperson kann da schnell verhängnisvoll werden, zumal wenn die Grenzen verschwimmen. Hedy Lamarr sagte, es sei ihr zuwider, von Hollywood auf ihr Äußeres reduziert zu werden — sie scheute keine Kosmetik-OP. Sie sagte, ein einfaches Leben sei ihr am liebsten — Konsum war ihr Daily Business. Sie sagte, Mutter zu sein sei ihr wichtiger als alles andere — doch um ihre Kinder kümmerte sie sich jahrelang kaum.

"Meine Mutter verfing sich in einem Netz aus Oberflächlichkeiten, das sie täglich umgab", sagt Anthony Loder. "Sie war mehr als ein Jahrzehnt lang 'hot'. Und dann ließen die Puppenspieler bei MGM sie fallen. Die Mentalität einer typischen Hollywood-Diva — jede Sekunde des Lebens zu glauben, der Mittelpunkt der Welt zu sein — hatte sie da längst verinnerlicht. Als Hollywood sie hinauswarf, hatte sie sich längst von der strahlenden Prinzessin aus dem Wienerwald zur kapriziösen Nervensäge gewandelt. Mom vertraute den falschen Leuten. Irgendwann vertraute sie niemandem mehr, nicht einmal sich selbst."

Anthony Loder hat seinen Vater kaum gekannt. Umso mehr Zeit und Leidenschaft hat er darauf verwendet, seine Mutter zu begreifen, ihre Geschichte zu erzählen, die Öffentlichkeit an sie zu erinnern. Ein wenig rastlos wirkt er bis heute, noch immer kämpft er gegen den Krebs, gänzlich unbeschwert wird er wohl nicht mehr werden. Aber er lebt. Und er sagt, er sei überglücklich, dass die Geschichte seines Lebens als Hedy Lamarrs Sohn nun endlich in der Welt ist.

(spol)
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