Reportage "Das Doppelleben des Diktators" Missbraucht vom libyschen Despoten Gaddafi
Düsseldorf · "Er war verrückt, er war dreckig, er war gewalttätig" - es sind die Worte einer jungen Frau, die von Muammar al Gaddafi vergewaltigt wurde. Sie ist eine der Libyerinnen, die in der Reportage "Das Doppelleben des Dikators" zu Wort kommen. Doch die meisten trauen sich auch heute nicht vor die Kamera. Der Bericht zeigt, wieso.
Ermordete und misshandelte Regime-Gegner, Geheimgefängnisse — nach dem Sturz des Diktators kamen immer mehr Details über die Machenschaften von Muammar al Gaddafi ans Tageslicht. Die Geschichte der vergewaltigten Libyerinnen ist ein weiteres Puzzleteil, das sich in das Bild eines Mannes fügt, der offenbar glaubte, Macht über jeden Menschen in seinem Land zu besitzen.
RTL-Reporterin Antonia Rados führte mit Gaddafi eines seiner letzten Interview. Kurz vor diesem Gespräch erfährt sie, dass der libysche Diktator systematisch Frauen und Mädchen entführt und vergewaltigt haben soll. Nach seinem Sturz recherchiert sie vor Ort darüber. Sie besucht ein Waisenhaus, eine Schule, eine Psychiatrie, die Universität. Überall hört sie das gleiche: Dass Gaddafi sich scharenweise Mädchen aussuchte und sie missbrauchte.
Kein Mädchen konnte sich weigern
Wenn Gaddafi ein Mädchen leicht an der Schulter berührt habe, so berichtet die Reporterin, sei das für seine Leibwächter das Zeichen gewesen, dass er sie haben wollte. "Natürlich, jeder wusste es", berichtet ein Mann in der Psychiatrie. "Er war ein Sadist, er liebte gewalttätigen Sex." Niemand habe sich weigern können, erzählt ein anderer, die Mädchen seien meist zwischen 16 und 20 Jahren alt gewesen.
Es sind vor allem die Männer, die offen vor die Kamera treten und von den Missbräuchen berichten. Frauen, die das selbst erlebt haben, trifft die Reporterin nur wenige. Da ist ein 21-jähriges Mädchen, das, weil es studieren wollte, Gaddafi um Hilfe bat. Auch sie will nicht gezeigt werden, spricht jedoch von dem, was sie erlebt hat. Die halbe Nacht seien sie und andere Mädchen in einem Raum in Gaddafis Hauptquartier eingesperrt worden. Mit einer Limousine habe man sie zuvor abgeholt. Irgendwann dann sei der Diktator aufgetaucht. "Wir waren seine Gespielinnen", sagt sie. " Er war verrückt, er war dreckig, er war gewalttätig."
Da ist eine Studentin, die erzählt wie sie beinahe entführt worden ist, so wie es fast jeder Studentin ergangen sei. Da sind die Lehrerinnen, die mit ihren Schülerinnen ins Hauptquartier Gaddafis kommen mussten und schließlich doch gehen konnten, weil die Luftangriffe zu heftig waren und der Diktator nicht auftauchte. Es sind eindringliche Geschichten, die leider nur angerissen werden, vielleicht auch deshalb, weil die Betroffenen nur wenig preisgeben von dem Leid, dass sie erfahren haben.
Gerüchte über Abtreibungen
Aber es sind auch die Schnelligkeit der Reportage, die beinah im Eiltempo von einem Ort zum anderen übergeht, und die Anmerkungen der Reporterin, die manches eindringliche Bild nicht für sich wirken lassen. So wie an der Universität, wo Gaddafi eine eigene Wohnung hat. Antonia Rados wird durch Empfangshallen geführt und sieht schließlich das Schlafzimmer des Diktators. "Beinahe ein stimmungsvolles Liebesnest", kommentiert die Reporterin.
Noch eindrücklicher: die kurzen Momente im Behandlungsraum nebenan, in dem ein gynäkologischer Stuhl steht. Hier sollen Abtreibungen bei den vergewaltigten Mädchen durchgeführt worden sein — von ukrainischen Krankenschwestern. Eine davon trifft Rados: Oxana. Doch von den Abtreibungen kann oder will sie nichts erzählen.
Und dann ist da noch die Geschichte von Latifa, die in einem Waisenhaus lebte und hautnah mitbekam, wie Mädchen dem Diktator gebracht wurden. Als sie den Mund aufmachte, wurde sie von mehreren Männern vergewaltigt — sie glaubt, auf Befehl Gaddafis. Latifa ist mutig, zeigt sich offen vor der Kamera, spricht auf einer Tagung für missbrauchte Frauen. Wenige Tage später verschwindet sie, eingewiesen in eine Psychiatrie. Die Reporterin wird sie noch einmal treffen, nachdem sie entlassen wurde.
Latifa ist sich sicher, dass es Anhänger des toten Diktators sind, die nicht wollen, dass sie über das redet, was in Libyen offenbar zahlreichen Mädchen und Frauen passierte. Und so schweigen auch heute noch viele darüber, was ihnen geschehen ist. "Die Mädchen wurden von ihm verdorben", bemerkt die Direktorin eines Heimes.