Darum gruseln wir uns gerne Warum wir Lust an der Angst empfinden

Berlin · Finstere Kreaturen und blutige Monster tanzen über die Straßen. Wer ihnen unerwartet nach dem Abbiegen um eine Hausecke in die Arme läuft, wird einen gehörigen Schrecken bekommen. Und er wird erleichtert sein, wenn der Schreck nachlässt. Warum eigentlich?

2013: Das sind die größten Ängste der Deutschen
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Die Vorstellung, haarige Spinnen laufen über unseren Körper, lässt uns das Blut in den Adern stocken. Fiese Fleischwunden und alles, was im Dunkeln auf uns lauert, löst einen kalten Schauer aus, der über den Rücken krabbelt. Die einen lieben Horrorfilme, die anderen schaffen es nicht, einen Krimi zu Ende zu schauen. Denn nicht jeder hat dasselbe verträgliche Angstmaß. Jeder reagiert anders auf den Schreck. Doch alle lieben das anschließende Wohlgefühl, wenn er nachlässt.

Die Lust an der Angst

Angstlust nennen es die Psychologen — eine Mischung aus Lust und Angst. Sie entsteht dadurch, dass wir wissen, das dass, was uns das Fürchten lehrt, nicht real ist. In dem Moment aber, in dem uns der Schreck in Mark und Bein fährt, lassen wir uns für einen kurzzeitigen Augenblick von der Vorstellung übermannen, alles sei real. Erst im nächsten Augenblick wird uns klar, dass wir nicht ernsthaft in Gefahr sind. "Das Bewusstsein schwankt zwischen der Fixierung auf den angsterregenden Reiz und dem Bauchgefühl, mir passiert nichts", sagt Psychologe Prof. Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Diese Nachzeitigkeit zeigt sich auch in unserem Verhalten: Erst schlagen wir uns vor Schreck die Hand vors Gesicht, doch dann blinzeln wir durch die Fingerschlitze hindurch, was nun passieren wird. Es ist nicht möglich, zur gleichen Zeit etwas Positives und Negatives zu erleben.

Warum die Evolution uns das Fürchten lehrte

Angst, wie wir sie zum Beispiel vor gigantischen Höhen empfinden, ist evolutionär einprogrammiert. Denn Furcht empfinden zu können ist lebenserhaltend. In der Entwicklungsgeschichte war es für den Menschen notwendig, dass der Körper beim Sichten einer Bedrohung durch das Ausschütten der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin sofort in Alarmbereitschaft versetzt wurde. Nur so konnten unsere jagenden Vorfahren im rechten Moment Reißaus vor dem Säbelzahntiger nehmen und ihr Überleben sichern.

Die Fachwelt hat eine Vorstellung davon entwickelt, wie verschiedene Hormone miteinander in Interaktion treten und bestimmte Reaktionen auslösen. "Eine spezifische Zuordnung von Transmittern oder Hormonen zu bestimmten Emotionen oder gar zu gemischten Gefühlen, wie Angstlust ist jedoch nicht möglich", sagt der Berliner Psychologe. Deutlich macht er das am Beispiel des Noradrenalins: Einerseits versetzt uns dieses Hormon in Alarmbereitschaft, indem es den Gefäßtonus erhöht und Blutdruck wie Herzfrequenz steigen lässt. "Andererseits wissen wir aus der Tierwelt, dass Noradrenalin auch bei der Fixierung auf den Partner wichtig ist", sagt Walschburger. Doch bei allem Tauziehen um die Wirkung der Hormone ist klar: ein prächtiger Hormon-Mix, etwa aus Cortisol, Endorphinen und anderen Hormonen ist offenbar beteiligt, wenn uns schaurig schön zumute ist.

Ohne Urvertrauen keine Angstlust

Das funktioniert schon bei Kleinkindern. Schon sie können Angstlust erleben. Walschburger berichtet von einem Experiment, in dem ein Kleinkind zu Hause in gewohnter Umgebung seine Mutter sieht, die sich plötzlich eine Maske vors Gesicht hält und dann wieder weglegt. Das Kind kräht vor Begeisterung. "Anders allerdings stellt sich die Sache dar, wenn die Mutter mit dem Kleinen im Wartezimmer eines Arztes sitzt. Das Kind heult, wenn seine Mutter hinter der Maske verschwindet", sagt Walschburger.

"Menschenkinder sind physiologisch besonders unreif. Sie müssen erst Urvertrauen aufbauen, das ihnen Sicherheit gibt. Diese Sicherheit ist wichtig, um sich neuen Erfahrungen öffnen zu können", so der Psychologe. Sie ist Voraussetzung dafür, dass wir als erwachsene Menschen Angstlust genießen können und uns Halloween angesichts glühender Augen und grausiger Masken hinter dem Gartenzaun so richtig schön mulmig wird.

Krank von zu viel Horror

Überspannen sollte man den Bogen allerdings nicht. "Besonders Jugendliche neigen dazu, sich zum Beispiel bei Initiationsriten in lebensgefährliche Situationen zu begeben. Sie wollen sich austesten. Dabei graust es ihnen vor gar nichts. Auch nicht beim Bahn-Surfen", so Prof. Peter Walschburger. Kritisch wird es auch, wenn Menschen gar nicht mehr los kommen wollen von Horrorfilmen oder Online-Kampfspielen. Das kann Suchtcharakter bekommen. Sie beschäftigen sich damit immer öfter und suchen immer heftigere Extreme.

"Die häufige Beschäftigung damit lässt die Schwelle absinken, im Spiel vollzogene Kampfhandlungen in der Realität auszuführen", sagt der Berliner Psychologe. Umgekehrt kann aus einer gewünschten Angst auch eine Phobie erwachsen. Das passiert vor allem selbstunsicheren Menschen. Sie können sich leicht in eine Angst — wie die vor aus einem Sarg krabbelnden Riesenspinnen — so hineinsteigern, dass sie das beim Anblick normaler Spinnen assoziieren. Dann allerdings nimmt Halloween kein Ende mehr.

(wat)
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