Experten-Interview Nicht blind auf Diagnose von Medizin-Apps verlassen

Hannover · Sofa statt Wartezimmer, App statt Arzt: Das Angebot an Smartphone-Apps ist längst unüberschaubar, auch im Bereich Medizin. Urs-Vito Albrecht vom Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik an der Medizinischen Hochschule Hannover beschäftigt sich seit Jahren mit solchen Angeboten. Die meisten schätzt er kritisch ein, wie er im Interview mit dem dpa-Themendienst erklärt.

Medizin-Apps für das Smartphone
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Foto: dpa, zeh

Wie viele medizinische Apps gibt es - und was leisten sie?

Albrecht: "Für den Endverbraucher eröffnet sich ein unüberschaubares Angebot. Laut dem Branchenverband Bitkom gab es bereits 2011 geschätzt 15 000 Apps im Gesundheitsbereich. Unterscheiden kann man sie in "Medical Apps", die dem Medizinproduktgesetz unterliegen - zum Beispiel Apps, die mit Hilfe eines Adapters Temperatur, Blutdruck oder Blutzucker messen - und eine Vielzahl von "Health Apps", die nicht reguliert werden - zum Beispiel Apps für Arzneimittelinformationen oder Lifestyle Apps wie Schrittzähler oder Fitnessprogramme."

Welche Angebote halten Sie für sinnvoll? Albrecht: "Nutzen und Vertrauenswürdigkeit dieser Softwarehäppchen variieren stark. Ein geringes Schadenspotenzial haben Apps, die medizinische Inhalte erklären. Patiententagebücher, die bei der Dokumentation der Erkrankung und des Therapieverlaufs helfen oder an die Einnahme von Medikamenten erinnern, können ebenfalls sinnvoll sein. Ähnlich sind Apps zu bewerten, die zu gesundheitsbewussten Verhalten anregen, etwa Trainingspläne für körperliche Übungen."

Wovon würden Sie abraten?

Albrecht: "Ich würde nicht grundsätzlich von Apps abraten. Warnen will ich aber davor, sich auf medizinische Ergebnisse wie Diagnosen oder Therapieempfehlungen zu verlassen, wenn sie selbstständig von Apps erzeugt werden. Es gibt einfach zu viele Fehlerquellen: Der Hörtest mit dem Smartphone ist von der Qualität der Kopfhörer abhängig, die Beurteilung der Farbskala eines Urinstreifens von der Qualität der Handykamera. Auf einen Alkoholtest, für den ein Adapter aufs Telefon gesteckt wird, würde ich mich nicht verlassen: Die Polizei hat die besseren Geräte."

Wie erkenne ich eine vertrauenswürdige App?

Albrecht: "Prüfsiegel, Transparenz und klarer Menschenverstand helfen bei der Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit von Apps. Staatliche Prüfsiegel wie das CE-Kennzeichen stehen dafür, dass eine App als Medizinprodukt eingestuft wird und den gesetzlichen Vorgaben genügt.
Eine große Zahl der Apps, die für den Fitness-Bereich angeboten werden, unterliegen nicht dem Medizinproduktegesetz. Hier können eine informative Selbstauskunft und Prüfsiegel, wie sie durch Initiativen oder Firmen vergeben werden eine Orientierung geben."

Können Sie ein besonders auffälliges Beispiel nennen?

Albrecht: "Es gibt Apps zur Früherkennung von schwarzem Hautkrebs.
Risikopatienten gehen regelmäßig für ein Hautscreening zum Arzt, die Diagnose erfolgt mittels "Blickdiagnose". Da liegt es nahe, dass auch Bilderkennungssoftware geeignet erscheint. Man fotografiert oder filmt einen Leberfleck und der Algorithmus berechnet die Wahrscheinlichkeit, ob er gutartig oder bösartig ist. Eine Studie hat bewiesen, dass selbst die App mit dem vermeintlich besten Erkennungserfolg nach dieser Methode knapp ein Drittel der Testfälle falsch negativ klassifizierte."

(dpa)
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