Chronisch erschöpft Wenn Ausruhen keine Erholung bringt

Stuttgart/Berlin · "Der soll sich mal richtig ausschlafen", das ist eines der Vorurteile, das chronisch Dauermüden begegnet. Unverständnis hinterlässt bei Außenstehenden neben einem Fragezeichen oft auch ein misstrauisches Gefühl. So ist denn auch die Zahl der Menschen, die am chronischen Erschöpfungssyndrom erkrankt sind nur eine geschätzte: Rund 300.000 Menschen bundesweit sollen es sein, nimmt der Bundesverband Chronisches Erschöpfungssyndrom an.

Was man über das Erschöpfungssyndrom weiß
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Foto: ddp

Das tückische an der Krankheit ist, dass sie schwer zu fassen ist. Selbst Ärzte übersehen oft das Gesamtbild aller Symptome und behandeln einzelne Aspekte — am Ende erfolglos. Nach Einschätzung des Bundesverbands Chronisches Erschöpfungssyndrom — Fatigatio e.V. verfügen weniger als 30 Experten in Deutschland über gute bis sehr gute Kenntnisse über die Krankheit. "Die Erkrankung ist jedoch real2, betont Professor Peter Henningsen, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift.

Diffuse Symptome zu einer Krankheit

Oft ist es eine lähmende und lang anhaltende geistige und körperliche Erschöpfung, die die Betroffenen befällt. Aber auch körperliche Symptome wie geschwollene Lymphknoten, Kopf, Hals-, Gelenk- und Muskelschmerzen können hinzukommen. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen machen den Erkrankten zu schaffen, doch eine psychische Ursache lässt sich nicht finden. Die chronische Müdigkeit ist so stark, dass sie den Betroffenen im Alltag stark behindert, ihn sogar ans Bett fesseln kann.

Was das chronische Erschöpfungssyndrom deutlich von anderen Formen körperlicher und geistiger Schwäche unterscheidet, ist nach Einschätzung des Experten für psychosomatische Medizin, dass bei den betroffenen Patienten die Erschöpfung schon nach geringster Belastung einsetze. Auch in Ruhe seien sie zu konzentrierter geistiger Tätigkeit kaum in der Lage, einige werden sogar bettlägerig, berichtet Professor Peter Henningsen.

Wenn plötzlich alles anders ist

Ein weiteres typisches Merkmal für die schwer greifbare Krankheit ist, dass sie nicht schon immer vorhanden war. Manchmal kommt sie schleichend, viel häufiger aber tritt sie plötzlich ab einem bestimmten Zeitpunkt auf. Es fällt ins Auge, dass ihr gerne ein Infekt vorausgeht. Doch anders als nach einer Grippe erholen sich die Patienten nicht wieder. Wenn die Symptome länger als sechs Monate anhalten und die Leistungsfähigkeit gegenüber dem gesunden Zustand um die Hälfte verringert ist, ist das Hauptkriterium für ein chronisches Erschöpfungssyndrom erfüllt.

Bevor Ärzte die Diagnose stellen, müssen allerdings weitere Beschwerden hinzukommen. Solche wie Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Halsschmerzen, schmerzende Lymphknoten, Schmerzen in Muskeln, Gelenken oder im Kopf und nicht-erholsamer Schlaf. Nur wenn mindestens vier dieser sechs Symptome oder Krankheitszeichen vorliegen, können Ärzte die Diagnose eines chronischen Erschöpfungssyndroms stellen, so Prof. Peter Henningsen. Das ist nach seiner Einschätzung relativ selten der Fall. Professor Henningsen schätzt, dass höchstens 0,5 Prozent der Allgemeinbevölkerung an einem chronischen Erschöpfungssyndrom leiden. Frauen sind häufiger die Leidtragenden als Männer.

Auf der Suche nach den Ursachen

Gespenstisch erscheint die Erkrankung, weil es unzählige unbekannte Faktoren gibt: "Man weiß noch nicht genau, was das Chronic Fatigue Syndrome ist", erklärt Prof. Dr. Andreas Brooks, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Helios-Kliniken Schwerin. Aus diesem Grund lässt sich auch nicht genauer fassen, welche Ursachen es sind, die die "unsichtbare Krankheit" auslösen können und wer sie bekommt. Mediziner können CFS weder mit Labortests, noch mit anderen objektiven Markern nachweisen. Die Ursachen bleiben also im Dunkeln. In manchen Fällen finden die Ärzte zwar Hinweise auf eine körperliche Ursache. "Dies kann ein Mangel am Stresshormon Kortison sein oder ein Anstieg von entzündlichen Botenstoffen wie Interleukin-6 im Blut. Nach derzeitigem Kenntnisstand sind dies aber eher Folgen der Erkrankung und nicht Ursache der Erschöpfungserkrankung", sagt Professor Henningsen von der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin.

Er vermutet, dass sexuelle, körperliche oder emotionale Traumatisierungen in der frühen Kindheit ein Auslöser sein können. Diese Annahme fußt auf eine größere Fall-Kontroll-Studie, in der derartige tiefgehende psychische Verletzungen mit einem sechsfach erhöhten Risiko einhergingen, später an einem chronischen Erschöpfungssyndrom zu erkranken. Ebenso in der Diskussion ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren: eine genetische Veranlagung könnte eine Rolle spielen, Veränderungen im Gehirn, ein geschädigtes Immunsystem, hormonelle Ursachen, Mangelzustände, Reaktionen auf Umweltfaktoren, eine lang andauernde schwere Belastung oder eine psychische Disposition.

Halbblinde Therapieversuche

Zu helfen versuchen einige Ärzte den ewig müden Patienten mit zwei Therapien, die sich in einer britischen Studie (PACE-Trial) an 641 Patienten als wirksam erwiesen: "Die kognitive Verhaltenstherapie gehört zu den Psychotherapien. Sie versucht, den Patienten die Angst vor der chronischen Erschöpfung zu nehmen und ihre zunehmende Passivität zu überwinden. Bei der gestuften Aktivierungstherapie trainieren Physiotherapeuten mit den Patienten, um sie für den Alltag körperlich wieder fit zu machen" berichtet Prof. Henningsen.

Helfen kann man aber auch mit diesen Therapieangeboten nur bedingt. Immerhin 30 Prozent der Patienten werden mit Psycho- und Physiotherapie wieder fit. Das sind rund doppelt so viele wie bei alternativen Therapieangeboten zurück zu einer Normalität finden, sagt der Experte. Britische Ärzte gehen hingegen davon aus, dass sich rund 35 Prozent der CFS-Patienten über Jahre langsam erholen, 20 Prozent schwer eingeschränkt bleiben und sich bei fünf Prozent der Betroffenen der Zustand sogar verschlechtert. Andere Therapie zielen auf die am stärksten ausgeprägten Symptome ab. Das kann also bedeuten, eine Virusinfektion oder Mangelzustände zu behandeln, die Ernährung umzustellen oder eine immunologische Therapie, Physio- oder Schmerztherapie durchzuführen.

(wat)
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