Der tote Körper als Rohstoff Wie eine Leiche wiederverwertet wird

Düsseldorf (RPO). Das Geschäft mit den Leichen boomt. Fast alle Teile eines toten Körpers kann die Medizin gebrauchen. Sehnen, Haut, Knochen, Knorpel. Ein Stück Aorta kostet 3008 Euro, eine Herzklappe ist bereits für 2578 Euro zu bekommen. Bis sie auf dem Operationstisch oder auch in der Schönheitschirurgie Verwendung finden, werden sie tiefgefroren, eingelagert und auf dem Weltmarkt gehandelt. Ein Buch klärt auf.

Gewebemedizin: Was Körperteile kosten
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Foto: Verlag

Unbekannt und weit verbreitet Viele Bürger haben davon noch nie etwas gehört. Im Gegensatz zur Organspende ist die Gewebespende in Deutschland weitgehend unbekannt. Dabei steht auf der Rückseite des Organspendeausweises ein Hinweis: "Erklärung zur Organ- und Gewebespende", ist dort zu lesen. Wer nicht ausdrücklich widerspricht, gibt seine Zustimmung zur Entnahme von Knorpeln, Knochen, Gefäßen.

Was ist Gewebe? Der wesentliche Unterschied: Bei Organen muss es schnell gehen, sie werden nach der Entnahme möglichst umgehend wieder eingepflanzt. Gewebe hingegen wird zunächst weiterverarbeitet. Hornhäute sind durch Hightech-Methoden vier bis sechs Wochen haltbar, in Stickstoff bei minus 190 Grad eingelagerte Herzklappen sogar fünf Jahre und länger.

Ein Buch klärt auf Darauf weist Martina Keller in einem bemerkenswerten Buch hin. Die Praxis und Verwendung der Gewebespenden in Deutschland und weltweit ist schon seit langem ihr Thema. Sie hat beobachtet, wie einem Körper auf dem Sektionstisch in der Rechtsmedizin Knochen entnommen werden, sah zu, wie Körperteile in Biotechfirmen geputzt, geschrubbt, sterilisiert und auf tiefgekühlt werden. In ihrem Buch "Ausgeschlachtet. Die menschliche Leiche als Rohstoff" hat sie alles aufgeschrieben. Ihr Anliegen: enthüllen und aufklären!

Makabre Lektüre Was Keller beschreibt, lässt einen bei der Lektüre gelegentlich frösteln. Vermutlich eine unvermeidliche Begleiterscheinungen eines Gewerbes mit dem Tod. Dennoch: Manche Passagen sind schockierend. Etwa, wenn sie beschreibt, wie einer Leiche nach der Knochenentnahme maßgeschnittene Besenstiele eingesetzt werden, damit die Angehörigen auch am offenen Sarg Abschied nehmen können.

Gewebe kann lebensrettend sein Aber Keller geht es nicht um einen Schocker. Ebenso deutlich weist sie darauf hin, wie sehr Patienten durch derartige Spenden an Lebensqualität zurückgewinnen können. Eine Transplantation einer neuen Herzklappe kann lebensrettend sein. Die Folgen schwerer Verbrennungen — gelindert durch Leichenhaut. Ein neuer Knochen anstelle einer Amputation. Aber auch mit einer Spritze injiziertes Zellgewebe in der Schönheitschirurgie (besonders bei Lippen und Nase) gehören zur medizinischen Wirklichkeit. Mehrere zehntausend Menschen in Deutschland profitierten jährlich davon, schreibt Keller.

Profitabler Wirtschaftszweig Die Gewebeindustrie rechnet genauso wie jedes andere Wirtschaftsunternehmen. Nahezu jedes Körperteil lässt sich verwerten. Laut Keller lässt sich den USA mit dem Material einer Leiche ein Erlös von sage und schreibe 250.000 Dollar erzielen. Und auch darauf weist die Autorin hin: Wo viel Geld im Spiel ist, treten unweigerlich schwarze Schafe auf den Plan. Die Kontrollen der Produkte und Herstellungsmethoden lassen zuweilen zu wünschen übrig, schreibt die Journalistin und erinnert an Skandale, bei denen geldgierige Geschäftemacher Gewebe von Kranken angeboten hatten.

Und bei uns? In Deutschland ist der Gewebesektor noch in weiten Teilen gemeinnützig organisiert. Strenge Auflagen und Kontrollen sollen die Sicherheit der Patienten gewährleisten. Angehörige müssen im Regelfall ihre Zustimmung erteilen. Die Gewebespende gilt als relativ sicher. Allerdings bemängelt Keller einen erheblichen Mangel an Transparenz und verlässlichen Statistiken - eine hohe Dunkelziffer ist demnach nicht auszuschließen.

Forderungen Umso wichtiger ist es der Autorin aufzuklären und auf Defizite hinzuweisen. Sie fordert: Über Vorgang als auch Verwendung der von Gewebe sollte informiert werden — auch wenn die Zahl der Spenden dadurch sinken könnte. Mit Sorge registriert sie lauter werdende Forderungen nach einer Einführung der so genannten Widerspruchslösung. Das Verfahren würde die bisherige Regelung umkehren. Erst ein aktiver Widerspruch würde die Entnahme von Geweben und Organen verhindern. Schweigen bedeutet Zustimmung.

Keller warnt: Der tote Körper ist mehr als ein Mittel zum Zweck.

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