Welt-Alzheimertag Betroffene fordern neuen Umgang mit Demenz

Bonn · 1,4 Millionen Demenzerkrankte gibt es in Deutschland. Viele von ihnen werden zu schnell abgeschrieben, sagt Helga Rohra. Die frühere Dozentin schrieb das Buch "Ich bin dement, na und?".

Alzheimer frühzeitig erkennen
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Foto: Aletia / shutterstock.com

Scherzhaft gemeinte Sätze wie "Alzheimer lässt grüßen" kann Hildegard Menger (Name geändert) gar nicht gut hören. Denn was Alzheimer bedeutet, hat die 60-Jährige leidvoll erfahren: Mehr als zehn Jahre lang hat sie ihren an dieser Demenzerkrankung leidenden Mann zu Hause gepflegt - bis zum Tod.

Ein Abstieg vom erfolgreichen Wissenschaftler bis zum hilflosen Patienten, der aggressiv um sich schlagen konnte, seinen Kot im Haus verschmierte und niemanden mehr erkannte. "Es war, als wenn seine Worte umgedreht und leer gemacht worden wären", erzählt die Rheinländerin mit stockender Stimme. "Als die Ärzte endlich die Diagnose Alzheimer stellten, konnte mein Mann den Sinn dieser Aussage schon nicht mehr erfassen."

Weltalzheimertag unter dem Motto "Demenz zusammen leben"

Mutlosigkeit, Verzweifelung, Isolation: Wie Hildegard Menger und ihrem Mann geht es Hunderttausenden von Deutschen und 35 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen weltweit. Zum Weltalzheimertag am Freitag werben Wissenschaftler, Politiker und Mediziner unter dem Motto "Demenz: zusammen leben" dafür, die Interessen der Kranken stärker in den Blick zu nehmen.

Rund 1,4 Millionen Bundesbürger leiden derzeit an Demenzerkrankungen wie Alzheimer. Und jeder zweite Deutsche hat laut einer Umfrage große Angst, an einer Form von geistigem Verfall zu erkranken. "Wenn es eine Sache in der Welt gibt, wenn es eine Sache in meinem Leben gibt, vor der ich immer Angst hatte, so richtig Schiss auf gut Deutsch, dann Alzheimer", so hat der Fußballmanager Rudi Assauer in seiner im Januar erschienen Autobiografie geschrieben, ehe ihn genau dieses Schicksal ereilte. "Bloß nicht dement werden im Alter, das schwirrte mir oft im Kopf herum."

"Ich bin dement, na und?", schreibt demgegenüber herausfordernd Helga Rohra. Die 59-jährige frühere Dozentin und Dolmetscherin lebt schon seit fünf Jahren mit der Diagnose, spürt nach und nach immer größere Einschränkungen. Früher sprach sie fünf Sprachen, heute klappt es nur noch mit Deutsch und Englisch.

Menschen mit Demenz Mut machen

Doch Rohra hat trotzdem den Schock und ihre Verzweifelung überwunden. "Ich trete aus dem Schatten und spreche für uns Frühbetroffene" schreibt sie auf ihrer gerade frei geschalteten Homepage www.helgarohra.de. "Früher habe ich Sprachen gedolmetscht, heute dolmetsche ich die Gedanken und Gefühlswelten von uns."

Rohra hat ihre Depression überwunden, redet auf Konferenzen und Tagungen über die Probleme von Menschen mit Demenz, macht Mut, sich der Diagnose frühzeitig zu stellen. "Machen Sie keine Kreuzworträtsel, das ist zu wenig", sagt sie. Sie selbst betreibe Meditation, Gedächtnis- und Konzentrationstraining. Sie habe gelernt, "mich für das zu lieben, was ich noch kann", sagt sie.

Um so mehr ärgert sie die Haltung von Ämtern und Ärzten mit ihrer Erkrankung. "Wir werden behandelt wie Kinder. Und man traut uns nichts mehr zu", sagt sie und fordert von der Gesellschaft einen Umgang auf Augenhöhe. Als erste Betroffene bundesweit ist Rohra in den Vorstand der Alzheimer Gesellschaft in München gewählt worden.

Vor einem Jahr hat sie ein Buch über ihre Demenz ("Aus dem Schatten treten", Mabuse-Verlag) veröffentlicht, von dem jetzt ein Hörbuch erscheint. Darin fordert sie einen eigenen Status für Demente, ähnlich dem von Schwerbehinderten. "Gerade wir Frühdementen, die wir noch vieles können, werden viel zu früh abgeschrieben."

(KNA)
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