"Magische Formel:'Nikotin plus hoher pH-Wert'" Suchtexpertin: Erlaubte Stoffe wirken beim Rauchen "teuflisch"

Tübingen (rpo). Die Tabakindustrie setzt Zigaretten diverse Stoffe zu. Diese sind zwar alle durch das Lebensmittelrecht erlaubt. Nach Meinung einer Expertin erhöhen sie dennoch die Suchtwirkung der Zigaretten, weil sie beim Rauchen "teuflisch" wirken würden.

Dies sei ersichtlich aus internen Dokumenten der Tabakindustrie, sagte Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum bei einem medizinischen Fachkongress in Tübingen.

Nach ihren Angaben wirken scheinbar harmlose erlaubte Stoffe wie Kakao, Vanille und Menthol beim Rauchen "teuflisch". Die Zigarettenindustrie wies die Vorwürfe zurück.

Erste Klage abgewiesen

Die erste deutsche Schadenersatzklage gegen einen Tabakkonzern wurde erst kürzlich vom Landgericht Arnsberg in Westfalen abgewiesen. Die vom Kläger behauptete Beimischung von Stoffen mit angeblich Sucht steigernder Wirkung sei nicht hinreichend genau vorgetragen worden, hieß es in dem Urteil. Alle Zigaretten beigegebenen Substanzen seien vom Lebensmittelrecht erlaubt.

Der Geschäftsführer des Verbands der Cigarettenindustrie mit Sitz in Berlin, Ernst Brückner, hält die Vorwürfe für unbegründet. Alle Zusatzstoffe für Zigaretten würden seit Jahren analysiert. "Wenn es einen Nachweis gegeben hätte, müsste die Bundesregierung die Rechtslage verändern."

"Bioverfügbarkeit des Nikotins drastisch erhöht"

Nach Darstellung von Pötschke-Langer wirken aber Kakao, Vanille und Menthol in der Gasphase des Rauchens "teuflisch", weil sie unter anderem den Säure-Basen-Haushalt in höhere pH-Werte verschieben.

"Damit wird die Bioverfügbarkeit des Nikotins drastisch erhöht", betonte die Medizinerin. Die magische Formel für Tabakabhängigkeit laute schlicht "Nikotin plus hoher pH-Wert". Vor allem der Zusatz Menthol scheine eine wichtige Rolle zu spielen, da er die Nikotinaufnahme verstärke.

Zudem wird der Expertin zufolge erörtert, ob Menthol selbst unabhängig vom Nikotin Sucht erzeuge. Menthol erlaube eine deutlich tiefere Inhalation. Damit werde Rauchen für Einsteiger - vor allem junge Leute - angenehmer und genießbarer, sagte Pötschke-Langer.

"Entwicklung eine Kindermarktes mit frühzeitigem Einstieg"

So sei ein Kick auch durch Zigaretten mit wenig Nikotin, aber hohem pH- Wert und entsprechenden Zusatzstoffen schon bei Kindern auslösbar. "Die derart designten Zigaretten führen zur Entwicklung eine Kindermarktes mit frühzeitigem Einstieg in die Tabakabhängigkeit."

Entsprechend alarmierend sei die Zunahme des Rauchens bei jungen Leuten, sagte Epidemiologe und Sozialmediziner Prof. Ulrich Keil aus Münster. "Im europäischen Vergleich liegt Deutschland an der Spitze."

Zur Finanzierung der Behandlung von Nikotinabhängigkeit sind gesetzliche Krankenkassen in Deutschland nicht verpflichtet. Nach Angaben des Leiters der Tübinger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Anil Batra, übernehmen nur wenige Kassen die Kosten.

Jährlich mehr als 110.000 frühzeitige Todesfälle

"Doch Tabakabhängigkeit ist eine Abhängigkeit wie jede andere, muss daher auch wie eine Krankheit behandelt werden", betonte Batra. Wirksam sei eine Kombination von Psychotherapie und Medikamenten. Rauchen verursache allein in Deutschland jährlich mehr als 110.000 frühzeitige Todesfälle.

Der vom Bundesgesundheitsministerium unterstützte zweitägige Kongress unter dem Titel "Rauchen - eine Abhängigkeit wie jede andere?" endet am Donnerstag.

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