About a Boy Die Coolness habe ausschließlich ich erfunden

Mönchengladbach (RPO). Unser Kolumnist will nach Berlin ziehen. Dann fällt ihm ein, dass er keine Shirts mit V-Ausschnitt trägt. Außerdem entgeht er nur knapp der Notaufnahme bei dem Versuch, sich eine Jeans anziehen.

 So sehe ich in 20 Jahren aus, Jon Stewart bereits heute.

So sehe ich in 20 Jahren aus, Jon Stewart bereits heute.

Foto: Kevin Fitzsimons

Ich bin nicht cool. Ich war nie cool.

Ich erinnere mich daran, wie ich gestern in einem Kleiderfachgeschäft aus Versehen in eine dieser engen Jeans stieg, die alle schwedischen Rockmusiker tragen. Wer in diese Jeans passen will, darf keinen einzigen Muskel haben, nicht essen und muss außerdem heroinabhängig sein. Ich passte nicht in die Jeans und stolperte fast bei dem Versuch, sie wieder ausziehen.

Ich erinnere mich daran, wie mir ein Mädchen in der Geschichtsstunde in 7. Klasse einen Zettel zuschob. Ich dachte: Sie lädt mich ins Kino ein. Sie schrieb: Kannst du mir später bei den Mathehausaufgaben helfen?

Die Gefahr, dass ich noch cool werde, ist nur mit sehr sensiblen Messgeräten messbar. Dabei ist es doch so wichtig, dass ich cool werde. Sonst kann ich nicht nach Berlin ziehen.

Ich habe Berlin nie gemocht. Ich zwar zweimal da. Beim ersten Mal gab es in dem Restaurant sehr kleine Portionen, beim zweiten Mal interviewte ich einen Hollywoodschauspieler und fand, dass die Gegend um den Hauptbahnhof so belebt war wie der Mond. Ich dachte: Wenn Berlin mich fragt, ob ich nicht zu ihm ziehen möchte, dann sage ich: Nur über meine Leiche.

Jetzt aber will ich nach Berlin ziehen. Übers Internet habe ich mich mit einem coolen Berliner angefreundet, er macht was mit Internet und Medien. Das ist natürlich ultracool. Er trägt zum Beispiel diese T-Shirts und dünnen Pullover mit den weiten V-Ausschnitten, so dass man die Brusthaare sieht. Er erzählt häufiger, dass er ausgegangen ist und gut aussehende Däninnen getroffen hat.

Ich dachte: Das will ich auch. Ich will nach Berlin. Dann fiel mir ein, dass ich nie ausging. Und dass ich ja nicht cool bin. Ich habe Angst, dass ich nach Berlin ziehe und der Freund sagt: "Oh, du trägst ja gar nicht diese T-Shirts mit dem weiten V-Ausschnitt." Er glaubt, dass ich cool bin.

An dieser Stelle muss ich von Jon Stewart erzählen. Jon Stewart ist der Moderator der amerikanischen Satire-Nachrichtensendung "The Daily Show". Er ist sehr erfolgreich. In Deutschland würde seine Sendung unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufen. In Deutschland fände ihn niemand witzig.

In Deutschland gilt das als witzig: "Angela Merkel hat sich in einem Zeitungsinterview zur Arbeitslosigkeit geäußert. Auf die Frage, was ihr Friseur hauptberuflich mache, wollte sie nicht antworten."

Jon Stewart wäre der Friseur von Angela Merkel egal. Er würde sagen: "Angela Merkel hat sich in einem Zeitungsinterview zur Arbeitslosigkeit geäußert. In dem sagte sie: 'Es ist nicht leicht, von Hartz IV zu leben, weil man damit sehr sparsam umgehen muss.' Wenig später sagte sie: 'In Deutschland ist der Sozialstaat in der Verfassung verankert und bietet den Schwächeren Schutz.' Zwischen diesen beiden Sätzen liegen nur ein paar Zeilen — und außerdem die Erkenntnis, dass sie vorher aus Versehen das Programm der Linkspartei zitiert hat."

Ich bin der Jon Stewart der Coolness. Nur weil ich in Berlin nicht cool bin, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht irgendwo anders cool bin. Vermutlich gibt es Orte, da sagen die Menschen über mich: "Dieser Typ ist fast gestolpert bei dem Versuch, sich eine Jeans anzuziehen. Das ist echt cool. Ultracool." Und sie würden sagen: "Guck mal, dieser Typ da mit dem großen V-Ausschnitt. Was macht der eigentlich hauptberuflich? Clown?” Und die Frau, die mir einen Zettel zuschiebt, würde schreiben: Kannst du mir bei den "Mathehausaufgaben" helfen?

In demselben Laden, in dem ich nicht in die Jeans passte, probierte ich auch einen Kapuzenpullover an. Er war blau mit riesigen gelben Buchstaben. Ich stülpte die Kapuze über meinen Kopf und sah in den Spiegel. Ich war, ich war… verdammte Scheiße, war ich cool.

Sebastian Dalkowski veröffentlicht jeden Freitag die Kolumne "About a Boy". Seine bessere Gesichtshälfte hat Andreas Krebs fotografiert.

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