Junggesellenabschied An Schlaf ist nicht zu denken

Düsseldorf · Irgendwo müssen die ganzen Junggesellenabschiede und Fußballvereine ja übernachten, die am Wochenende die Altstadt bevölkern. Das A&O- Hostel an der Corneliusstraße wird am Samstag für Hunderte Gäste aus ganz Deutschland zum Basislager der Hoffnung auf dem Weg in eine unvergessliche Nacht. Und das riecht man.

 Los jetzt! Jetzt aber wirklich! Wirklich!

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Foto: Andreas Endermann

Franz ist nicht da. Franz trägt die Tracht eines Schwarzwaldmädchens und auf dem Kopf einen Hut mit roten Kugeln aus Wolle, den Bollenhut. Rot, weil Franz noch nicht verheiratet ist. Erst am 8. September. Es wäre also leicht, Franz zu erkennen. Doch er ist nicht da. Drei seiner Freunde sitzen in der Nacht von Samstag auf Sonntag an der Bar im A&O-Hostel und fragen sich, wo er bloß ist. Sie sind doch zusammen losgezogen Richtung Altstadt. Es kann nicht schaden, ein alkoholisches Getränk zu bestellen.

Junggesellenabschiede, Vereinsfahrten und Jungsabende sind das Rückgrat der Bolkerstraße an jedem Samstagabend. Ohne sie müssten Läden wie das Oberbayern ihr Geschäftsmodell überdenken. Irgendwo müssen diese Menschen übernachten, ohne dafür einen Kredit aufnehmen zu müssen. Zum Beispiel im A&O-Hostel/Hotel an der Corneliusstraße, einem sechsstöckigen Gebäude aus den 60ern, in dem früher Büros und eine Bank untergebracht waren. Wer dieses an einem Samstagnachmittag betritt, kommt leicht auf die Idee, dass sie ausschließlich dort übernachten.

Es ist kurz nach drei. In der Lobby und Lounge des Hostels steht die Hitze, obwohl ein Fenster aufgerissen ist. Die Ventilatoren haben keine Chance. Alles lärmt. Neben vielen jungen Frauen drängen sich sehr viele junge Männer nahe der Rezeption. Sie holen sich ihr Bier an der Bar, die direkt an die Rezeption anschließt. Sie lachen. Sie reden, reden, reden.

"Wer ist der Depp? Marco"

Auf T-Shirts wird verkündet, wer bald heiratet. "Wir haben die Lizenz zu feiern", steht vorne auf den Shirts, die eine Gruppe trägt. Hinten wird das erläutert. "Wer ist der Depp? Marco". Nur bei Marco steht "Ich habe die Lizenz zum Heiraten. Ich bin der Depp." Wer nicht wegen eines Junggesellenabschieds da ist, feiert was anderes. Mit der Feuerwehr, den Kumpels, dem Fußballverein, der Landjugend.

Es sind bereits Opfer zu beklagen. Ein junger Mann legt seinen schwer angeschlagenen Freund auf einem der Sessel ab. Der schläft sofort ein. Seine Irokesen-Frisur hängt müde nach unten. Auf einem Fernseher läuft Olympia. Beim Radrennen versuchen die Männer, die Grenzen ihres Körpers zu ignorieren. Niemand sieht hin. Es gibt Wichtigeres zu erleben.

Dann kommt Franz mit seinen acht Freunden aus dem Schwarzwald. Franz heißt in Wirklichkeit Tobias und ist 29 Jahre alt, aber alle außer seiner Mutter nennen ihn Franz, daheim in Lauterbach, einem Ort von 3000 Einwohnern, 50 Kilometer nordöstlich von Freiburg. Um halb neun ging es heute in den Zug. Umsteigen in Offenburg, Mannheim und Köln. Franz hat bis zuletzt gehofft, dass es nach Mallorca geht, seine Freunde haben sich für Düsseldorf entschieden. Während er die Tracht mit ausgestopfter Oberweite tragen muss, haben sich seine Freunde T-Shirts übergezogen, auf denen sie Schwarzwald-Tequila für 1 Euro anpreisen. Das ist Kirschwasser, den man mit Schwarzwurst und Senf zu sich nimmt. Auf dem Weg hierhin haben sie bereits alles verkauft und auch selbst einiges konsumiert. Am schlimmsten hat es Franz erwischt.

A&O ist eine Hotel- und Hostelkette mit 21 Standorten in zwölf Städten. In Düsseldorf ist das Unternehmen seit 2009 vertreten. 376 Betten und 174 Zimmer. Es gibt gute Gründe, warum es schnell zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für Junggesellenabschiede und Vereinsfahrten geworden ist. Bis zur Altstadt sind es zu Fuß kaum 20 Minuten. Gleichzeitig sind die Preise so günstig wie fast nirgends in der Stadt. Knapp 50 bis 60 Euro kostet ein Einzelzimmer im Hotelbereich mit zwei Sternen im Sommer ungefähr. Wer es im Sechsbettzimmer, im Hostel-Bereich, aushält, der ist mit 20 Euro dabei.

Er drückt ihr einen Schein in die Hand. "Weil du so hübsch bist".

Unter der Woche ist die Hälfte der Zimmer frei. Dann schlafen dort Messegäste, Touristen, Arbeiter auf Montage, Shopper. In der Nacht von Samstag auf Sonntag sind sie quasi ausgebucht. Ja, an Samstagen übernachten hier auch Familien. Es gibt auch den Moslem, der sich regelmäßig mit der Isomatte zurückzieht, um gen Mekka zu beten, die Punkband, die abends ein Konzert im Zakk gespielt hat. Aber die meisten sind doch in Gruppen hier und wollen in die Altstadt, in die Nacht des Jahres.

Die hat für die Schwarzwaldjungs noch nicht begonnen. Gegen 18 Uhr sitzen sie noch an der Bar. Nur Franz ist sich mal kurz frischmachen. Sie flirten mit Viktoria, eine 22-Jährige mit langen braunen Haaren, die an der Theke bedient und das Lächeln einer MTV-Moderatorin hat, nur dass es echt ist. Ein junger Mann läuft barfuß auf die Bar zu, er sieht noch angeschlagener aus als Franz und hätte trotzdem gerne Alkohol von Viktoria. Die lehnt voller Fürsorge ab. Dafür gibt sie ihm eine Limo. Er drückt ihr einen Schein in die Hand. "Weil du so hübsch bist", sagt er. "Bist du sicher, dass du mir so viel geben willst?" Er ist sicher, und dann nimmt sie das Geld eben.

Franz kehrt zurück. Nicht wesentlich frischer. Die Schwarzwälder beginnen, das Lied "Liebe kleine Schwarzwaldmarie" anzustimmen. Dazu klatschen sie laut. Viktoria versucht, für Ruhe zu sorgen, doch die Jungs haben sie zwar lieb, nehmen sie aber nicht so ganz ernst. Zeit für die Chefin. Kristin Paufler, 33, ist die Hausleiterin, seitdem es das Hotel gibt. Junggesellenabschiede hat sie erst in Düsseldorf kennengelernt, in ihrer Heimat in der Nähe von Dresden gab es so etwas gar nicht. Sie weiß, dass das ein Haus für junge Leute ist, für Leute zwischen 20 und 30, aber alles kann sie auch nicht durchgehen lassen. Bei dieser Gelegenheit verweist sie zwei sehr Betrunkene der Bar. Das wird nichts daran ändern, dass in keinem anderen A&O so viel Umsatz an der Theke gemacht wird wie in Düsseldorf, so hat sie festgestellt. Ein Schlösser Alt 0,4 Liter für 2,50 Euro, das ist moderat.

Während die Schwarzwälder gegen 19 Uhr endlich Richtung Altstadt aufbrechen, bereiten sich andere auf den Zimmern noch auf den Abend vor. Im Erdgeschoss ruft ein junger Mann aus dem Fenster: "Ich mache meinen Schönheitsschlaf." "Dann geh lieber noch mal schlafen", ruft eine junge Frau zurück. Wer nun über die Flure geht, riecht Hoffnung, riecht große Erwartungen, riecht also eine Mischung aus Parfüm und Schweiß. Das Gebäude hat keine Klimaanlage. Das ist nie gut, wenn viele Männer sich in geschlossenen Räumen aufhalten. Die Wärme wird auch in der Nacht nicht aus dem Gebäude weichen.

Die Etagenbetten haben keinen Lattenrost

Es sind nicht nur diese Details, an denen sich erkennen lässt, warum die Zimmer so günstig sind. Das ist ein akzeptabler Ort zum Übernachten, aber keiner, an den sich die Gäste wegen des Komforts erinnern. Die Einzelbetten sind von Ikea, die Etagenbetten aus blaugestrichenem Stahl haben keinen Lattenrost. Das Bad ist klein, die billigen grauen Teppiche in den Fluren sind nicht frei von Flecken. Die Wände haben die Farbe von Eierschalen.

Gespart wird auch am Personal. In jedem A&O-Hostel gibt es einen Hausleiter, einen Rezeptionschef, drei Azubis, einen Hausmeister und knapp 15 studentische Aushilfen. Statt einer ausgebildeten Köchin kümmert sich eine "Küchenfee", wie Paufler sie nennt, um das Frühstück. Das kostet ohnehin extra. Wer in einem Hostelzimmer übernachtet, also in einem 4- oder 6-Bett-Zimmer, bezahlt auch für Bettwäsche und Handtuch, wenn er nicht selbst etwas dabeihat. Ein Computerprogramm berechnet jede Viertelstunde die Zimmerpreise neu.

Doch das Hotel erfüllt die Grundbedürfnisse seiner Gäste und ist ohnehin nur das Basislager, von dem aus es in die Altstadt geht. Sie wollen sich an die Nacht erinnern, nicht ans Hotel. Wenn die Leute sich beschweren auf der Website von A&O, und so viele sind das gar nicht, dann über die mangelnde Sauberkeit der Zimmer und die fehlende Klimaanlage.

Es ist nun kurz vor acht. Vor dem Eingang sammeln sich die Gruppen, die nun wirklich losgehen wollen und dann aber wirklich, jetzt aber wirklich losgehen. Oder doch noch aufs Taxi warten. "Was habt Ihr vergessen gehabt?" "Pille." "Wir gehen jetzt in die Bökerstraße."

Nach 20 Uhr leert sich die Lobby zügig. Als letzte bespricht dort eine Gruppe mit einem Noch-Junggesellen aus Stuttgart die Pläne für den Abend. Sebastian steckt in einem blauen Ganzkörperanzug, einem Morphing Suite, der nur seinen Mund freilässt. In diesem soll er, erklärt sein Freund Stefan, in der Altstadt Dinge verkaufen. Außerdem soll sein Anzug mit Preisfeldern versehen werden, die gegen Zahlung des Betrags ausgeschnitten werden dürfen. Je intimer, desto höher der Betrag. Auf geht's.

Jungs, Alkohol, Hormone

Gegen halb zehn ist die Lobby gästefrei. Im Fernsehen läuft ein Film über einen erfolglosen Musikproduzenten, dem drei Streifenhörnchen zur Hilfe kommen. Auf einem anderen Fernseher testen Sportler weiterhin ihre Grenzen. Classic Rock schallt durch die Halle. Die Mitarbeiter kommen zur Ruhe.

Nun beginnt Davids Schicht. David ist einer von zwei Sicherheitskräften, die A&O am Wochenende einsetzt, weil es eben doch manchmal nötig ist. Jungs, Alkohol, Hormone, man weiß, wohin das führen kann. David ist 22 und studiert Mathe und Physik in Düsseldorf. Um kurz vor zwölf dreht er seine Runde durch das Gebäude. Er wechselt sich mit seinem Kollegen ab. Jede Stunde macht sich einer von ihnen auf den Weg, aber immer etwas später oder früher, damit sich die Gäste nicht darauf einstellen können.

David geht alle Flure ab, sieht in der Tiefgarage nach, checkt den Raum mit den Waschmaschinen. Ohne jemandem zu begegnen. David hat wie seine Kollegen keine Schulung als Security gemacht, aber er hat zehn Jahre Erfahrung als Kampfsportler. Als er mal im Dortmunder A&O gearbeitet hat, ging jemand mit dem Schraubenzieher auf ihn los, David trat ihm ins Gesicht. In Düsseldorf muss er ungefähr einmal im Monat die Polizei rufen. Sonst sorgen die Gäste für ganz andere Probleme. Das Größte: Sie vergessen dank Alkohol ihre Zimmernummer. Dann hilft David.

Als er in die Lobby zurückkehrt, sitzt dort ein älterer Mann telefonierend auf dem Sofa. Er trägt T-Shirt und Boxershorts. David bittet ihn, sich eine Hose anzuziehen. Wenige Minuten später spricht er ihn ein zweites Mal an. Statt sich eine Hose anzuziehen, geht der Mann lieber vor die Tür auf den Bürgersteig. Sonst gibt es für David wenig zu tun.

Ab Mitternacht kehren die Geschlagenen heim. Doch weil sie sich noch nicht ganz geschlagen geben wollen, setzen sie sich an die Bar, die sich nun wieder zu füllen beginnt. Drei der Schwarzwälder kehren zurück und setzen sich dazu. Sie haben festgestellt, dass die Fahrt nach Düsseldorf ganz schön weit und teuer war.

Und wo ist eigentlich Franz? Ein Burschenschaftler mit großer Leibesfülle diskutiert mit der neuen Thekenkraft Gina über die Zapfanlage. Die Gasflasche ist fast leer, das schmälert den Genuss. Er würde sie gerne austauschen, aber das lässt Gina nicht zu. Der Gast dürfe nicht hinter die Theke. Wo Viktoria auf Freundlichkeit gesetzt hat, setzt sie auf Resolutheit. Der Burschenschaftler riskiert trotzdem ein Krefelder, es kommt sehr viel Schaum dabei heraus.

Da muss doch noch was gehen!

Wenig später sitzt auf demselben Platz ein junger Mann aus dem bayerischen Donauwörth. An diesem Wochenende sind ungefähr alle Dialekte südlich von NRW vertreten. Er ist mit der Landjugend da. Weil seine Augen glasig sind, glauben ihm die anderen sofort, als er sagt: "Wir haben 40 Kästen Bier für 40 Leute im Bus mitgenommen." Er bestellt sich erstmal eine Pizza, aufgewärmte Snacks gibt es hier rund um die Uhr. Alkohol wird auch noch engagiert bestellt. Bier, Tequila, Killepitsch. Der Tag ist ja eigentlich gelaufen, aber da muss doch noch was gehen.

Wer hier eine Weile zusieht, kommt schnell auf die Idee, dass Trinken ein Sport ist und kein Genuss. So viel, wie geht. Nicht so viel, wie gut ist. Der Schlaf ist ein Bedürfnis, das es zu überwinden gilt. Denn wer schläft, kann nicht feiern, kann nicht trinken, kann nicht Pizza essen. Ein Jungsabend (und auch ein Mädchenabend) ist deshalb nichts anderes als der Versuch, die Grenzen des Körpers zu ignorieren. Bundesjugendspiele der Volljährigen.

Die Leute tropfen nun in Einer- oder Zweiergruppen zurück. Sie sind gemeinsam losgegangen, sie haben Zerstreuung gesucht und sie haben sich zerstreut. Viele gehen gar nicht mehr an die Bar, sondern direkt ins Zimmer. Das gilt besonders für die Frauen, deren Anblick den Männern kurz Hoffnung gibt. "Na, kommen eure Mädels jetzt noch?" Beliebte Sätze sind auch "Ich habe morgen Urlaub", "Eigentlich waren wir zu neunt", und "Wir haben einfach keinen Bock mehr gehabt." Die Zeit der Auflösung hat begonnen. Sie dauert bis in den Morgen. Die Hoffnung ist, dass dann alle wieder da sind.

Der nächste Tag zeigt das Wunder der menschlichen Regenerationsfähigkeit. Leute, von denen nicht anzunehmen war, dass sie überhaupt noch mal aufwachen würden, sitzen fast munter beim Frühstück im Speisesaal oder holen sich Kaffee am Buffet. Eine Frau, hoffentlich nicht die Küchenfee, fragt resolut nach der Frühstücksmarke. Das Frühstück ist… nun ja. Es erfüllt seinen Zweck, aber niemand wird sich nachher daran erinnern, wie frisch diese Brötchen schmeckten.

Um halb zehn geschieht das Wunder. Franz kommt zum Frühstück. Niemand weiß, wann er zurückgekehrt ist, am wenigstens er selbst. Was zählt, ist nur: Der Schlaf hat nicht gesiegt. Er lag nur für ein paar Stunden vorne.

(jco)
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