Lieder unseres Lebens Eine Nacht mit Grönemeyer

Brocken/Harz (RPO). In unserer neuen Serie "Lieder unseres Lebens" erzählen Autoren, mit welchen Songs sie besondere Erlebnisse verbinden. Sebastian Peters berichtet von Herbert Grönemeyer in einer Nacht ohne Hotel.

Ich bin kein Herbert Grönemeyer-Fan. Ich schätze ihn exakt so sehr, wie ihn alle Deutschen mittlerweile schätzen. Trotzdem hat dieser Mann ein Lied meines Lebens geschrieben. Es heißt "Kinder an die Macht", und die Nacht, in der ich dieses Lied (und das dazugehörige Album "Sprünge") kennenlernen durfte, war eigentlich nur die logische Folge einer Fehlplanung.

Ich war zwölf und mit Familie erstmals im Harz, die Mauer war gerade gefallen, wir reisten erstmals an die Grenze zum Osten. Am Hotel angekommen, sagte uns die Dame an der Rezeption, dass wir erst ab dem nächsten Tag gebucht hätten. Wir setzten uns also wieder ins Auto, fuhren an die Grenze, entdeckten einen gottverlassenen Wach-Grenzposten auf einem kleinen Hügel. Es sah friedlich aus, Wachmänner gab es nicht mehr, wir hielten an. Mein Vater legte die Kassette ein, die ich mir einen Tag zuvor bei einer Klassenkameradin geliehen hatte. Danach öffneten wir die Autotür, drehten das Radio auf, legten uns alle sechs auf den Boden und fühlten uns gut. Es erklang "Sprünge", das Album von Grönemeyer.

Als er "Kinder an die Macht" sang, bekam ich eine Gänsehaut. Eigentlich ist es ein versöhnliches Lied. Doch weil ich den Text sehr ernst nahm, glaubte ich in dem Moment erstmals an die Kraft der Jugend. Grönemeyers "Kinder an die Macht" war mein "Anarchy in the UK". Wir blieben liegen, bis die Sonne unterging. Ob wir danach noch ein Hotel fanden, weiß ich nicht mehr. Wohl aber erinnere ich mich, dass auf der anderen Seite der Kassette Marius Müller-Westernhagen sang. Da machte mein Vater aus.

(RPO)
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