Männerdiät Süße, findest du mich zu dick?

Berlin · Strandfigur, Eiweißdiät, Yoga – was bisher nur Frauenhirne terrorisierte, hat nun die Männer erfasst. Das treibt unsere Autorin in den Wahnsinn. Deshalb fordert sie: Hört gefälligst auf mit dem Diätwahn!

 Wo die wilden Kerle wohnen

Wo die wilden Kerle wohnen

Foto: dapd, Jens-Ulrich Koch

Strandfigur, Eiweißdiät, Yoga — was bisher nur Frauenhirne terrorisierte, hat nun die Männer erfasst. Das treibt unsere Autorin in den Wahnsinn. Deshalb fordert sie: Hört gefälligst auf mit dem Diätwahn!

"Ich kann Montag nicht, da hab ich doch Bykram-Yoga." Sagt sonst immer Nicole. "Ich esse momentan keine Süßigkeiten." War bisher immer Kerstins Credo. "Heute keinen Alkohol für mich, ich will morgen laufen gehen." Das kannte ich bisher nur aus Constanzes Mund.

Doch all diese Sätze habe ich in letzter Zeit ausschließlich von Männern in meinem Umfeld gehört. Wirklich. Offenbar haben sich alle männlichen Freunde gegenseitig mit etwas angesteckt, was bisher sonst nur Frauen ganzjährig befällt, aber vor allem im Frühling zu großer Unzufriedenheit und Panik angesichts des nahenden Sommers führt. Männer stehen neuerdings dazu, dass sie Gewicht verlieren wollen. Fitter werden wollen. Dünn sein wollen.

Das liegt nicht nur an den Berliner Hipster-Männern in ihren Skinny Leg-Jeans. Also auch, aber nicht nur. Homos, Heteros, Liierte und Singles — sie befinden sich allesamt im Diätwahn. Neben "Ich liebe dich" verursacht wohl kaum ein Satz mehr Druck und öffentliche Erwartungshaltung als die Worte "Ich muss abnehmen." Stopp! Männer reden doch nicht über ihre Gefühle? Und nun über Gewichtsprobeme?

Männer infiltrieren unser Lieblingsterrain

Damit ich nicht missverstanden werde: Es geht nicht um diese asketischen Disziplinjunkies, die ohne täglichen Sonnengruß nicht in ihrem Start-Up oder ihrer Kanzlei aufkreuzen können. Solche sehnigen Yoga-Männer meiden wir seit Jahren. Die machen uns per se unzufrieden. Sie haben Spiegel über dem Bett und bezeichnen sich selbst als beziehungsunfähig. Nein, es geht um Kumpel. Um normale Machos. Um Fußballfans. Um Musiker, Journalisten, Controller oder Marketingexperten. Um Nerds und um Frauenversteher. Männer halt. Die bisher über andere Themen redeten. Nicht über Bindegewebsschwäche, Fettanteile oder Cardiostepper.

Ein ganz besonderes Exemplar, das mir stets als spontane Abendverabredung bereitstand, hat jetzt montagabends keine Zeit mehr für mich. Und sonntags tagsüber auch nicht. Und ab nächster Woche auch mittwochs ab 21 Uhr nicht mehr, denn der Freund startet jetzt seinen Ashtanga-Yoga-Kurs. Er nervt. Und macht mir mit seinem Yoga-Gelaber ein schlechtes Gewissen. Ich will Männer um mich haben, die sich über Yoga lustig machen. Weil es mir dann leichter fällt, mal eine Stunde sausen zu lassen. Ich will keinen Kumpel, der weiß, was ein "Nach unten schauender Hund" ist. Männer haben nicht zu wissen, wer die Herren Atkins oder Dukan sind. Wir kennen dafür auch keine Namen von Bayern-Spielern. Außerdem rede ich schon genug mit meinen Freundinnen über diese Themen. Seit zwei Jahrzehnten. Nicht mit ihm.

Plötzlich sind ihm Kalorien wichtiger als Käsekuchen

Aber dann saß ich wie immer samstags in meinem Lieblingscafé, und wie so oft kam mein platonischer Kuchenkumpel vorbei. Wir bestellen stets zwei verschiedene Sorten, damit wir gegenseitig probieren können. Dazu Latte Macchiato. Aber vor zwei Wochen wurde der Spaßfaktor vom Speiseplan gestrichen. "Ich hätte gern einen Espresso und ein Glas Leitungswasser." Wie bitte? Keinen Kuchen? Keine Milch? Keine Lebensfreude? Der Kuchenesser war zum Kalorienzähler mutiert. "Ich will wieder in meine alten Jeans passen. Außerdem kommt bald der Sommer, und ich will bis dahin noch 9,5 Kilo abnehmen. Fünf habe ich schon."

Was? Wann? Wie?

Das Unfaire ist, dass Männer im Gegensatz zu uns Frauen einfach unsagbar schnell überflüssiges Gewicht verlieren. Sofern sie nicht parallel ins Fitnessstudio gehen und Fett direkt in Muskeln umwandeln. Ihr ohnehin geringerer Körperfettanteil schmilzt schneller als unser Eis in der Frühlingssonne. Wir Frauen haben die zusätzlichen Fettschichten nur von der Natur geschenkt bekommen, weil wir eventuell mal einige Monate unseres Lebens schwanger sind. Wie gemein. Und er? Isst ein paar Tage nur die Hälfte, tauscht Fleisch gegen Obst, lässt Mahlzeiten ohne Launeneinbruch komplett ausfallen, trinkt Schorle statt Bier und wird im Handumdrehen durch ein Ergebnis auf der Waage belohnt, das ihn mehr freut als ein Heimsieg.

Die Natur ist so ungerecht. Aber vielleicht liegt es daran, dass Frauenkörper seit Menschengedenken auf den Jo-Jo-Effekte geeicht sind. Vielleicht steckt es uns einfach in den Genen, dass wir immer fünf Kilo weniger wollen, als wir gerade wiegen. Dass wir uns einen Schokoriegel in den Mund stopfen können und gleichzeitig Tränen darüber vergießen, dass uns der Arsch wegen dieser langweiligen, dürren Blondine verlassen hat. Dass wir heimliche Heißhungerattacken vor uns selbst mit Regelblutungen rechtfertigen, wir machtlos einfach 20 Prozent unseres Monatsgehalts für Anti-Cellulite-Cremes ausgeben und wir aus einem einzigen Grund High-Heels tragen: weil sie unseren Body-Mass-Index auf einen positiveren Wert senken.

Wir Frauen machen Diäten. Nicht ihr Männer.

Der Mann war immer ein Fels in der Brandung unserer eigenen Unzufriedenheit. Seine warmen Worte und seine heiße Hand auf unserer Hüfte haben uns Bestätigung gegeben. Doch seine Hand tätschelt neuerdings nicht mehr unseren Oberschenkel, sondern befühlt seinen eigenen. Er fragt jetzt Dinge wie "Süße, findest du mich zu dick?". Der Mann erwartet, dass wir seinen Sixpack unter dem behaarten Männerbach vermissen. Ich hoffe, dieser Männer-Diät-Frühling ist ein großes Missverständnis.

Wo sind die lebensfrohen Männer hin?

Indem sie sich — wenn auch flirtend — mit uns gegen die Schönheitsindustrie und die ständigen Diäten in Frauenmagazinen verschworen haben, halfen sie uns. Wir konnten neben ihnen zunehmen und nur vereinzelte Exemplaren rutschte mal ein "Willst du wirklich Kuchen essen?" raus.

Jetzt ist das anders. Jetzt müssen wir uns mit ihnen solidarisieren. Wir verzichten trotz köstlicher Auslage ebenfalls auf den obligatorischen Kuchen. Wir bestellen stattdessen einen Jasmintee, denn er hat in der "Petra" gelesen, dass Grüner Tee den Appetit zügelt. Wir erwischen uns abends selbst an der Theke, wie wir ihm unser jahrhundertelang angehäuftes, wertvolles Frauenwissen verraten.

Man kann mittags nicht mehr mit Arbeitskollegen Essen gehen, muss schon Tage vor dem gemeinsamen Kochabend seine neuesten Extrawünsche entgegennehmen oder geht abends mit hungrigem Magen aus der Kneipe. Nicht mal auf Facebook sind Frauen mehr vor dem männlichem Fitnesswahn sicher. Sein sportlicher Ehrgeiz ist nichts Ungewöhnliches. Aber Posts wie der meines Ex-Freundes nerven. "Achtung: 10 Kilo minus in 6 Wochen!", inklusive 32 "Gefällt mir"-Klicks seiner Buddies. Dazu jeder zweite Post eine der unzähligen Kontroll-Apps, die seine Laufkilometer/Radkilometer/Schwimmkilometer, etc. morgens um 6.30 Uhr gemessen haben. Selbstredend synchronisiert mit seinem iPhone, auf dem er penibel parallel Diät-Apps mit Angaben über jedes Glas Diät-Cola füttert. Er kauft sich übrigens auch Eiweißshakes. Das Fiese daran: Eiweiß verursacht Hautprobleme. Bei Frauen. Männerhaut ist weniger sensibel.

Bisher war in unserer Welt eines sicher: Die abgedroschene Frage "Schatz, findest du mich zu dick" war für uns reserviert und wurde von ihm zuverlässig mit einem genervten Augenrollen und dem geflunkerten, aber durchaus liebevollen "Nein" quittiert. An Tagen, an denen unsere Hosen kniffen, wir lieber Kleider trugen und böses Brot zum Salat knabberten, war immer darauf Verlass, dass er mehr isst, als wir. Immer. Ja, natürlich wollen wir keinen dickbäuchigen Kerl, der zum Frühstück eine Packung Schokoflakes mampft. Wir wollen aber auch keinen Asketen, neben dem wir uns dick fühlen.

In der vergangenen Woche nahte Rettung. Ich saß mit einem Mann romantisch beim Italiener, und wir aßen flirtend Pizza. Er brachte mich mit dem Auto heim, und ich fiel trotz Pizzabauchs glücklich beseelt in mein Bett. Und dachte noch, wie schön, dass er eine Frau mit Appettit und Hintern wie mich mag und nicht ständig auf seine Linie achtet. Am nächsten Morgen machte ich eine Entdeckung auf seinem Facebook-Profil: Er war nachts um eins noch zum Brandenburger Tor gejoggt.

(seeg)
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